Chris Dercon und die Volksbühne Die Theaterhölle von Tempelhof

Chris Dercon, neuer Intendant der Berliner Volksbühne
Foto: Jörg Carstensen/ dpaWenn Theaterleute reden könnten, müssten sie nicht auf der Bühne Faxen machen - deshalb gelten die Kaffeeklatsch-Empfänge, bei denen die Chefinnen und Chefs deutscher Theater ein paar interessierten Medienmenschen ihre Pläne vorstellen, gewöhnlich nicht als spektakuläre Veranstaltungen. Am Dienstagmittag aber fand im Restaurant des stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof ein Ereignis statt, das eine Hauptstadt-Tageszeitung in typischer Berliner Bescheidenheit schon vorher "die Pressekonferenz des Jahres" genannt hatte. Der aus Belgien stammende Kulturprominente Chris Dercon und sechs Frauen und Männer, die mit ihm arbeiten, absolvierten ihren ersten programmatischen Auftritt vor Presse, Funk und Fernsehen.
80 Minuten lang verkündeten die Theaterleute vor rund 150 zunehmend grimmigen Journalisten, was sie an Shows und Attraktionen vom Herbst an in der traditionsreichen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und im Hangar 5 des Tempelhofer Geländes zeigen wollen. Es war eine Show des Schreckens, in der ein rotes Buch eine wichtige Rolle spielte, und eine Orgie des hochtrabenden, aber kaum wirklich bedeutsamen Geschwafels.
Tanzen in Berlin
Aber der Reihe nach. Die Stoffe und die Namen, die Dercon und sein Team für das erste Halbjahr ihrer Volksbühnen-Arbeit am Dienstagmittag präsentierten, sind nicht sensationell, aber durchaus interessante Versprechen für all jene, die sich für Theaterkunst auf der Höhe der Zeit begeistern. Es wird eine "Iphigenie" mit Darstellern geben, die aus Syrien geflüchtet sind, Regie führen Mohammad al-Attar und Omar Abusaada; ein Theaterprojekt der bekannten Regisseurin Susanne Kennedy geht unter dem Titel "Women in Trouble" an den Start; und ein Abend der noch weitgehend unbekannten Theatermacherin Yael Bartana schildert ohne Fragezeichen "Was, wenn Frauen die Welt regieren".
Von 16 für die ersten Monate versprochenen Premieren sollen 13 Eigenproduktionen sein, darunter ein Beckett-Spektakel des Aktionskünstlers Tino Sehgal in fast sämtlichen Volksbühnen-Räumen und -Hinterzimmern und ein Massentanz mit möglichst großer Publikumsbeteiligung auf dem Tempelhofer Feld, den der französische Choreograph Boris Charmatz veranstaltet. Motto: "Fous de danse - ganz Berlin tanzt auf Tempelhof".
Ganz offensichtlich wollte Dercon die Programmpräsentation zu einer Charmeoffensive, zu einer Werbeshow um öffentliche Sympathie nutzen. Seit anderthalb Jahren steht fest, dass er nach einer eher theaterfernen Karriere als Museumsdirektor (er leitete zuletzt die Londoner Tate Modern) Chef eines der wichtigsten deutschen Sprechtheater werden soll, als Nachfolger von Frank Castorf, der das Haus 25 Jahren ruhmreich führte. Seit anderthalb Jahren wird Dercon von vielen Berliner Kulturmenschen als angeblicher Theaterignorant und als angeblich mit dem Kapitalismus verbündeter Kunstfuzzi angefeindet. Deshalb hat sich Dercon an diesem Dienstag ein breites Lächeln ins Gesicht gepflanzt, einen besonders schönen seiner vielen knittrigen Schals umgelegt und - des besseren Verständnisses halber - ein Mikroport um den Hals hängen lassen. Zu Beginn hebt er das hellrote Buch mit dem Volksbühnen-Halbjahresprogramm in die Luft und sagt: "Ich bedanke mich für das öffentliche Drama der Skepsis, das ich in den letzten Monaten in Berlin erlebt habe."
Der "charismatische Nullpunkt"
Das Tempelhofer Flughafengebäude gibt ein hübsches Bühnenbild ab für diese Inszenierung der Zerknirschtheit, in der Dercon und seine Mitstreiter einer nicht unbedingt freundlich gesinnten Zuhörerschaft erst mal gestehen, dass sie nicht immer glücklich kommuniziert haben. Dann kommunizieren sie noch unglücklicher weiter. In sechs Sitzreihen ist das Publikum aus 150 Medienfrauen und Medienmännern platziert. Es macht mehr und mehr Lärm. Nicht ausgeschaltete Mobiltelefone klingeln, Kaffeetassen werden klirrend umgestoßen, es wird geredet und geraunzt. Denn leider begnügen sich die neuen Volksbühnen-Leute nicht mit der nüchternen Vorstellung von Künstlern und Aktionen. Sie machen fast alle ein schreckliches Geschwafel drumherum.
Die nervös-heisere Marietta Piekenbrock, Dercons Programmdirektorin, redet von einem "charismatischen Nullpunkt", von dem aus man loslege. Die hintersinnig lächelnde Susanne Kennedy behauptet, die Kraft des Theaters bestehe insbesondere darin, dass Bühnenspieler und Zuschauer "zusammen was durchmachen". Der aufgekratzte Boris Charmatz spricht von "permeablen Momenten". Und der dauergrinsende Chef Dercon labert davon, dass man die Volksbühne zu einem "durchlässigem Ort" machen wolle und zu einem "Stadttheater ohne Grenzen".

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin
Foto: Jens Kalaene/ picture alliance / dpaEs ist kein Spießrutenlaufen, sondern ein Spießrutenschwafeln, das hier 80 erschöpfende Minuten lang unerbittlich durchgezogen wird. Dann bekommen die Journalistinnen und Journalisten endlich das rote Buch in die Hand gedrückt, in dem Tanzabende, Kunstaktionen, Popkonzerte und Theateraufführungen der ersten Monate aufgelistet sind. Dazu gibt es schon wieder einen zusammengetackerten Erklärtext. In dem steht nicht drin, dass offenbar ein rotes Quadrat mit der Aufschrift "VOLKSBÜHNE Berlin" das neue Volksbühnenlogo sein soll. Dafür heißt es in der Handreichung: "Nach der Ära Castorf wendet sich die Volksbühne Berlin bewusst der Essenz und den Fundamenten des Theaters zu".
Fürs Erste wäre man erleichtert, wenn sich die neuen Volksbühnen-Künstler endlich vom Labern abwenden und einfach die Theaterkunst selbst sprechen lassen - oder noch besser: kunstvoll schweigen lassen.