VW-Theater in Hannover Ratlos vor der Ampel

Anmutiger Tanz neben aufklärenden Recherchefilmen: Szene aus Stefan Kaegis "Volksrepublik Volkswagen"
Foto: Katrin RibbeDie "Sendung mit der Maus" war in jungen Jahren vermutlich die Lieblingssendung der drei Theatermacher von Rimini Protokoll. Den Ansatz des Fernsehformats haben sie jedenfalls kopiert für ihre tollen, vielfach ausgezeichneten Theatershows. In ihren aufklärerischen Stücken, mit denen sie das Dokumentartheater in den Nullerjahren neu erfunden haben, gehen sie den Dingen auf den Grund: Wie funktioniert der Bundestag, das internationale Waffengeschäft oder die Wirtschaft in Nigeria - oder warum funktioniert das alles eben nicht?
Gerade bereitet das Trio (Helgard Haug, Daniel Wetzel, Stefan Kaegi) für das Schauspielhaus Hamburg eine Simulation der Weltklimakonferenz vor. Davor aber hat Stefan Kaegi einen Abstecher nach Hannover gemacht und mit einem anderen Team die Frage untersucht, wie das eigentlich aussieht, wenn der Volkswagen-Konzern, dessen Logo riesig über dem Hannoveraner Hauptbahnhof leuchtet, in China produziert. 1985 eröffnete VW dort als erster großer westlicher Konzern ein Werk; heute stellt der Konzern in China jährlich rund drei Millionen Autos her.
Es fallen einem ja sofort eine Menge Klischees ein zum modernen China: Mao, die Ein-Kind-Politik und der Smog; die Chinesen als fleißige, höfliche und vor allem unglaublich viele Menschen, die auf keinen Fall ihr Gesicht verlieren wollen und ungenießbare Dinge essen; Alte, die an jeder Straßenecke Tai Chi machen und Junge, die geil sind auf westliche Statussymbole.
All das kommt in Kaegis Stück "Volksrepublik Volkswagen" vor, das am Freitag im Schauspielhaus Hannover auf der großen Bühne uraufgeführt wurde. Mit bewunderswertem Forscherdrang und unverstellter Neugier ist Kaegi nach Art eines Anthropologen losgezogen und hat offenbar eine ganze Menge Volkswagen-Angestellter, Deutsche wie Chinesen, dazu bekommen, ihm aus ihrem Arbeitsleben zu erzählen. Er hat sich in den Werkshallen und in den Arbeiterunterkünften umgeschaut; Deutsche und Chinesen haben ihm auch Briefe und Mails zur Verfügung gestellt, in denen sie den Daheimgebliebenen aus dem jeweils anderen Land berichten.
Die Chinesen wollen kein Start-Stop-System
All das hat er nun in seinen Theaterabend gepackt, und genau da beginnt das Problem: Dutzende Aspekte werden verhandelt, aber ein Fokus fehlt. Deshalb gleicht der Abend einem aufwendigen Diavortrag - der über 100 pausenlose Minuten leider ganz schön ermüdet.
Zwei Dinge macht Kaegi anders als sonst mit Rimini Protokoll: Er verzichtet auf einen Rahmen (in "Wallenstein" von 2005 etwa erzählen Menschen entlang des Schiller-Dramas von ihren Karrierebrüchen) - und er stellt nicht die Befragten selbst, die sogenannten Experten des Alltags auf die Bühne, sondern lässt Schauspieler die Texte performen.
Beides ist ein Fehler, der zweite ist der schwerwiegendere: Plötzlich wirken all die authentischen Texte extrem gekünstelt und hohl. Die Arroganz der deutschen VWler gegenüber den Chinesen, die ja durchaus durchscheinen soll, bekommt etwa bei Susana Fernandes Genebra als aufgekratzter PR-Managerin etwas unangenehm Penetrantes. Als sie erzählt, dass das neue Start-Stop-System in China nicht gut ankommt, weil die Chinesen irritiert sind, wenn an der roten Ampel der Motor ausgeht, gibt es Lacher im Publikum; Hagen Oechel und Janko Kahle spielen mit übertriebenen Gesten und forscher Intonation nur Managerkarikaturen.
Den fehlenden Rahmen des Abends versucht Kaegi zu kaschieren durch ein vollgepfropftes Bühnenbild (Eva-Maria Bauer hat ihm eine merkwürdig altmodisch wirkende Werkshallen-Pappsimulation gebaut) und viel hektische Betriebsamkeit: Die chinesische Tänzerin Fang Yun Lo darf ab und zu sehr anmutige Tanzbewegungen machen, der Musiker Tomek Kolczynski einen albernen Song über China zum Besten geben, der an die Neue Deutsche Welle erinnert, und ein Hannoveraner Kinderchor singt chinesische Karaoke.
Um die unzusammenhängenden Szenen voneinander zu trennen, müssen sich alle Darsteller immer wieder unmotiviert fallen lassen, als brächen sie vor Erschöpfung zusammen - ein Start-Stop-System, das leider auch nicht recht funktioniert.
Es gibt sie allerdings, die Momente, in denen an diesem Abend plötzlich Zusammenhänge und Widersprüche aufscheinen und in dem sonst so merkwürdig naiv daherkommenden Bericht aus einer anderen Welt die Ironie durchblitzt.
So etwa, wenn es ums Kopieren geht: Die Chinesen sollen sich doch von den Deutschen bitte das verantwortliche Arbeiten abschauen, sagt Hagen Oechel als deutscher Abteilungsleiter eines chinesischen VW-Werks - aber bitte nicht die technischen Neuerungen der Motorenentwickler. Oder wenn der Regisseur Kaegi erst das Video vom Nationalkongress der Kommunistischen Partei zeigt und danach das von der Hauptversammlung der VW-Aktionäre. Die Bilder ähneln sich verblüffend - nur dass bei VW "niemand aufsteht, wenn der Vorsitzende reinkommt".
Überhaupt sind die Bilder und Videos, die Kaegi von seiner Recherchereise in China mitgebracht hat und die er den ganzen Abend über an die Wände der simulierten Fabrikhalle projiziert (dem Goethe Institut China wird groß gedankt für seine Unterstützung), das Erhellendste an diesem Abend. Die "Sendung mit der Maus" würde sich über das Material bestimmt freuen.
"Volksrepublik Volkswagen" läuft wieder am 16. und 25.10. sowie 15., 21. und 26.11. im Schauspielhaus Hannover