
Fotos von Christoph Bangert: So sieht Krieg aus
"War Porn" von Christoph Bangert "Es gibt niemanden, den diese Bilder nicht berühren"
SPIEGEL ONLINE: Herr Bangert, ganz ehrlich: Ich habe mir nur einen Teil Ihrer "War Porn"-Bilder ansehen können und musste das Buch immer wieder weglegen.
Bangert: Mit dem Buch muss man kämpfen und sich sehr überwinden, die Fotos anzusehen. Das macht keinen Spaß. Als Betrachter wird man herausgefordert und muss sich immer fragen: Will ich das jetzt sehen? Kann ich das sehen?
SPIEGEL ONLINE: Folteropfer, geköpfte Menschen, Blutlachen: Wenn ich mich am Ende doch nicht überwinden kann, mir das anzusehen?
Bangert: Mich macht es wütend. Das sind Abbilder der Realität, und wir schaffen es nicht, uns das anzusehen! Das ist frustrierend für den Fotografen. Auf der anderen Seite habe ich auch Verständnis dafür, dass es vielen sehr schwerfällt. Die Selbstzensur ist ein natürlicher Reflex. Da kann ich mich selbst nicht ausnehmen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben also selbst auch noch Probleme damit?

Christoph Bangert, geboren 1978, ist Journalist und Fotograf, der unter anderem in Kriegs- und Krisengebieten arbeitet. Er ist in Deutschland geboren und hat Fotografie in Dortmund und New York studiert. Bangert hat Palästina, Japan, Afghanistan, den Irak, Indonesien, Zimbabwe und Nigeria bereist.
Bangert: Ich behaupte nicht, dass es leicht ist. Mir fällt das Hinsehen selbst schwer - obwohl ich dabei war. Jeden schockiert das, wobei sich das manche vielleicht nicht eingestehen wollen. Aber es gibt niemanden, den die Bilder nicht berühren. Wenn man den Schock überwunden hat, kommt die Reflexion. Dann kann man den Horror hinter den Ereignissen erkennen.
SPIEGEL ONLINE: Welches Bild wühlt Sie besonders auf?
Bangert: Einige Fotos aus einer Leichenhalle in Bagdad. Vor Ort war es extrem. Im Irak gab es zu der Zeit viele Anschläge und Entführungen, also unfassbar viele Opfer. Dazu war es Sommer, es war heiß und nirgends gab es eine Kühlung. Die Gerüche, die Atmosphäre, die Töne, das alles kommt wieder hoch, wenn ich die Fotos betrachte.
SPIEGEL ONLINE: Auch für Menschen, die so etwas noch nicht selbst erlebt haben, sind Ihre Bilder hart. Der natürliche Reflex ist das Wegschauen. Warum sollte man sich selbst nicht schützen?
Bangert: Es kann für einen persönlich und auch für die Gesellschaft unheimlich gefährlich werden, wenn man diesem Drang nachgibt. Mein Großvater war überzeugter Nazi. Er war Arzt in der Wehrmacht und hat nur positiv vom Krieg erzählt. Dass alles nur ein großes Abenteuer war und es nur Helden gab. Die schrecklichen Dinge hat er völlig ausgeblendet. Als ich dann selbst in Kriegs- und Krisengebieten gearbeitet habe, ist mir klargeworden, wie sehr er sich selbst belogen hat. Ich habe jetzt keine Chance mehr, das zu verdrängen. Ich habe meine Bilder.
SPIEGEL ONLINE: Wir können uns doch auch ohne Schockfotos vorstellen, wie schrecklich der Krieg ist. Warum muss ich mir dazu eine Wasserleiche oder einen geköpften Menschen ansehen?
Bangert: Wer bin ich, wenn ich sage: "Ich will das nicht sehen"? Das ist unfair den Menschen gegenüber, die das tatsächlich erlebt haben. Ein Einwand ist, dass es unmoralisch sei, sich diese Bilder vom Leid anderer Menschen anzusehen. Ich finde, es ist umgekehrt. Es ist unmoralisch, sich diese Bilder nicht anzusehen.
SPIEGEL ONLINE: Vielleicht hätten es die abgebildeten Menschen auch nicht gewollt, dass wir hier in Deutschland auf dem Sofa sitzen und uns ihr Leid ansehen.
Bangert: Im Gegenteil. Die Leute vor Ort wollen fotografiert werden. Sie wollen, dass alle sehen, was da passiert. Das allermeiste Leid wird nicht fotografiert. Aber das, was aufgenommen wird, muss auch veröffentlicht werden. Deshalb tue ich das jetzt. Die Bilder haben eine Funktion: Sie informieren diejenigen, die sich das nicht mit eigenen Augen ansehen können. Wir müssen uns für das interessieren, was auf der anderen Seite der Welt passiert, egal wo. Und wenn es schrecklich ist, sollte es uns erst recht interessieren.
SPIEGEL ONLINE: Was sagen Sie zu der Kritik, dass diese Bilder eher dem Voyeurismus denn der Aufklärung dienen?
Bangert: Das ist immer ein Totschlagargument. Bilder aus Kriegsgebieten zu zeigen, das sei voyeuristisch, pornografisch, entmenschlichend. Deshalb heißt das Buch auch "War Porn", um das umzukehren. Denn im Grunde ist es egal, wie man diese Bilder bezeichnet. Selbst wenn man sie als Kriegspornografie beschimpft, muss man sie dennoch betrachten und das Leid des anderen anerkennen.
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie nach alldem, was Sie gesehen haben, Pazifist?
Bangert: Jeder, der etwas Zeit in einem Kriegsgebiet verbracht hat, muss gegen Krieg sein. Ich nenne mich aber weder Kriegsfotograf noch Pazifist. Ich fahre nirgendwohin, um das Töten dort zu beenden, genausowenig helfe ich irgendjemandem. Ich dokumentiere, was ich sehe, und zeige die Bilder. Es liegt dann in der Verantwortung des Betrachters, daraus etwas zu machen.
"War Porn" von Christoph Bangert, 192 Seiten, Kehrerverlag, erschienen im Mai 2014, 29,90 Euro