
"Warten auf Godot" am Thalia-Theater: Und das Warten geht weiter
"Warten auf Godot" im Thalia Theater Zwischen Flüchtling und Rapper
Natürlich kommt Godot wieder nicht.
Die ultimative Regietheaterprovokation, am Ende den obskuren Titelhelden aus Samuel Becketts "Warten auf Godot" aufmarschieren zu lassen, brachte auch Spielleiter Stefan Pucher im Hamburger Thalia Theater nicht auf die Bühne. Das hätte gepasst - Pucher gab sich nämlich alle Mühe, zu überraschen und aus der berühmtesten Warteschleife der Theatergeschichte eine süffige Personality-Show zu machen.
Tagesaktualität, Rampen-Soli, Rap-Passagen. Dazu düstere Schwarzweißvideos, fette Bässe vom Plattenspieler und plakativ angezogene Protagonisten, die jede Menge Interpretationsraum auffächerten. So muss man das heute machen, fast 60 Jahre nach der Uraufführung von "Warten auf Godot" in Paris. Und so lange Godot nicht kommt, wird dieses Beckett-Bühnenmonster weiterleben.
Warten auf den Schleuser
Ein Stufenbau aus Europaletten bildet die clever erdachte Rampe (Bühne: Stéphane Laimé) für die kühl choreografierten Dialoge von Wladimir (Jens Harzer) und Estragon (Jörg Pohl). Die sind in ihren Outfits - mit Jogginghose, warmer Jacke, schlaffem Deckelhut und Turnschuhen - irgendwo zwischen Flüchtling und Rapper angesiedelt.
Wartend, unbehaust, heimatlos, arm und nur von der vagen Hoffnung auf die Ankunft des nebulösen Godot befeuert, der sich immer wieder entschuldigen lässt und auf morgen vertröstet. Ein riesiges Deutungsangebot, wie es im Theater nach dem Zweiten Weltkrieg kaum Parallelen fand.
Beckett begann bereits 1948 an "Warten auf Godot" zu schreiben - und die Idee, Wladimir und Estragon warteten als vor dem Holocaust fliehende französische Juden vergeblich auf ihren Schleuser, mutet neben allen philosophischen Ansätzen heute zumindest diskutabel an.
Mix aus Sido und Dieter Hildebrandt
Stefan Pucher geht einen Schritt weiter: Gnadenlos vermengt er alle bekannten und möglichen Deutungsweisen. Dann beschließt er, dass alles letztlich wieder auf den Anfang zusammenschnurrt: das Warten aufs Nichts. Willkommen in der Zeitschleife.
Jens Harzer spielt einen enttäuschten und gekränkten Wladimir, der sich seine Situation mit Zynismus und sarkastischem Spiel vage bewusst macht; schon ästhetisch ist der mit seiner Riesenbrille als Mix aus Sido und Dieter Hildebrandt angelegt. Erfolglos mäandern Wladimirs Welterklärungsversuche ins Leere, prallen am naiven Durchhaltewillen seines Leidgenossen Estragon ab. Jörg Pohl nutzt jede Gelegenheit, die ihm die sonst straffe Personenregie Puchers bietet, Komik-Erleichterung in der Düsternis zu finden - die tiefschwarze Bühnenwand grenzt eh alles erbarmungslos ein.

"Warten auf Godot" im Thalia Theater: Willkommen in der Zeitschleife
Foto: Armin SmailovicDiese Komik macht sogar die Auftritte vom Duo Pozzo und Lucky erträglich, die Stefan Pucher in brachialer Schlägerästhetik inszeniert hat. Oliver Mallison entwickelt seinen Sado-Pozzo - in Lederjacke als Metalfreak kostümiert - von jovialer Selbstgefälligkeit zu zügelloser Brutalität, die er an seinem Diener Lucky hemmungslos auslässt. Mirco Kreibich spielt den mit überzeugender Traumahysterie, was seine Staffage als Abu-Ghuraib-Opfer gar nicht erfordert hätte. Eine Pointe mehr.
Doch die Szene, als Wladimir und Estragon ihn aus seinem bedeutungsschwangeren Umhang befreien, gelingt als groteske Körperkomik vom Feinsten. Die Hilflosigkeit der Helfer - noch so ein griffiges Bild, das Regisseur Pucher zur Flüchtlingsaktualität eingefallen ist.
Mirco Kreibichs anschließender Stand-up-Monolog als entblößtes, halb wahnsinniges Unterdrückungsopfer explodiert förmlich. Ein einziger herzzerreißender Schrei, der ebenso ins sinnlose Sein verpufft wie Wladimirs ironische Rap-Einlage zu Beginn des zweiten Teiles.
Warten auf Gott? Nö.
Überhaupt die Bühnenmusik: Christopher Uhes Ideen setzen Akzente, bleiben aber Mittel zum Zweck. Auch Estragons exaltiertes Gesangssolo "I Go to Sleep" wird zur dienlichen Episode, nicht zum Selbstzweck.
Und dann sind da noch die coolen Hamburger Kids, nett gecastet, die immer wieder wenig zielführende Godot-News bringen: Er kommt dann doch erst morgen. Eventuell.
Und Godots weißer Bart wird erwähnt. Ist Godot vielleicht doch Gott? Nein, soll Samuel Beckett einmal auf die entsprechende Frage geantwortet haben. "Dann müsste das Stück ja 'Warten auf Gott' heißen." Logisch.
Großer Beifall am Ende für das Ensemble und das Regieteam um Stefan Pucher - denen kein wirklich neuer Godot erschienen ist, die aber den aktuellen Bestand gut zusammengezimmert haben.