"Was ihr wollt" Zürcher Shakespeare als Monty-Python-Film
"Aus Solidarität mit unseren Schauspielern sind alkoholische Getränke im Zuschauerraum verboten", verkündet ein Schild im Schauspielhaus Zürich. Vielleicht ist es aber auch nur eine listige Rückversicherung an die sittenstrenge calvinistische Tradition der Schweiz, dass die vielen Flaschen, die in Christoph Marthalers Neuinszenierung von "Was Ihr wollt" geleert werden, wirklich nur Tee und gefärbtes Wasser enthalten.
Marthaler hat die Shakespeare-Komödie, die am Samstag Premiere hatte, als Hommage an Rimbauds Gedicht "Das trunkene Schiff" inszeniert. Das Bühnenbild von Anna Viebrock ist wie ein Querschnitt durch den Rumpf eines Seelenfängers: Unten in der Kajüte dämmert man seekrank und verkatert vor sich hin, oben auf einer Reling sitzen die Musiker und hüllen die Szenerie in ein träumerisches Klangnetz. Diese Reling nimmt jedoch auch den Schwung des Balkons im Zuschauerraum gegenüber auf. Insgesamt spiegelt Viebrocks Kulisse genau den Publikumsaal mit seiner niedrigen Höhe zwischen Parkett und Erstem Rang wieder, und sie verschafft der Inszenierung damit große Vorteile. Ersten haben die Schauspieler einen Grund, auf der Bühne herumzusitzen und das Geschehen zu verfolgen, als seien sie selbst Zuschauer. Zweitens entspricht dies genau dem Stück, in dem die Figuren wie so häufig bei Shakespeare unter verwirrenden Spiegeleffekten leiden und einander etwas vorspielen.
Viola (Judith Engel) hat sich als Junge verkleidet und dient dem Herzog Orsino (André Jung). Orsino will die schöne Olivia (Karin Pfammatter) erobern, doch die verliebt sich in den vermeintlichen Pagen, der längst sein Herz an seinen Herren verloren hat. Kein Wunder, dass alle zur Flasche greifen. "So brannte noch kein Branntwein, kein Lied und keine Leier, wie hier das bittre Rostrot der Liebe brennt und gärt", heißt es bei Rimbaud. Auch Plastiktütchen mit weißem Pulver werden gerne herum gereicht. Jungs Herzog Orsino ist ein gealterter 68er-Guru, der im Samtoutfit durch die Gegend schlappt und musikalisch in John Lennons Indien-Phase stehen geblieben ist. Irgendeine politische Kritik steckt in der Inszenierung jedoch nicht.
Shakespeare in heiter-wüster Drogentrance zu spielen, funktioniert oft gut. Jürgen Kruse hatte zum Beispiel am Bochumer Schauspielhaus den "Sturm" unter ähnlichen Vorzeichen samt Schiffswrack inszeniert. Dennoch gerät Marthaler diesmal sehr nahe ans Scheitern. Wie meistens bei ihm sieht man in der ersten halben Stunde, dass der Text regelrecht verdaut wird. Die Inszenierung speichelt ihn mit ästhetischen Kniffs - den sphärischen Klängen, den Zeitlupenbewegungen der Schauspieler, ihren Sprachspielen und gewollt aufgesetzten Clowns-Nummern - ein und saugt ihn aus. Man bedauert, dass den Figuren die Vitalität und Leidenschaft so ganz genommen wird, und man fragt sich, was sie im jugendlichen Gefühlschaos überhaupt noch verloren haben, wenn sie in einem dekadenten Ennui-Gefühl doch schon so frühzeitig in Pension gegangen sind.
Marthaler holt aus seinen Schauspielern immer wieder eine grandiose Körperkomik heraus. Man genießt es, wenn Josef Ostendorf als Sir Toby Belch in einer Mischung aus Falstaff und Bud Spencer über die Bühne walzt oder wenn Graham F. Valentine als der Narr Feste im Schottenrock zu seinen dadaistischen Logeleien anhebt. Doch mit Ausnahme von Judith Engel, die eine überzeugende Rolleninterpretation der äußerlich androgynen, aber mit viel "weiblicher Seele" ausgestatteten Viola liefert, steht Shakespeare hinten an. Es ist eher so, als würde man in einen neuen Monty-Python-Film gehen und zusehen, wie die verehrten Komiker in den stehen gelassenen Klassiker-Kulissen blödeln.
Man sieht am Ende also doch sehr gerne zu und lässt sich von der Inszenierung in ihren Dämmerzustand hinüber treiben. Graham F. Valentine singt eine wunderbare Coverversion von "Crimson and Clover", Ostendorf sorgt für Raufereien wie in den besten italienischen Haudrauf-Komödien. Am Ende aber wird das Putzlicht eingeschaltet. Statt Shakespares versöhnlichem Schluß blinzelt alles in eine jähe Unterbrechung des Rauschs, in der die Verhältnisse noch unsicherer erscheinen als vorher. Gegen den Kater hilft am besten, weiter zu machen, lautet eine alte Trinkerregel. Nach dieser Logik werden Marthalers Figuren sicher auch beim nächsten Mal wieder schwelgen, und auch wir bleiben gerne dabei - vorerst noch...
"Was ihr wollt" von William Shakespeare. Regie: Christoph Marthaler, Bühnenbild: Anna Viebrock, mit Judith Engel (Viola), Josef Ostendorf (Sir Toby), Graham F. Valentine (Feste) u.a. Schauspielhaus Zürich, nächste Vorstellungen: 18., 21.-23., 25.2. jeweils 20 Uhr. Kartentelefon: (00 41 1) 26 55 858. Weitere Infos: www.schauspielhaus.ch.