Weltkriegs-Doku in USA Burns' Band of Brothers

Sechs Jahre lang hat der Dokumentarfilmer Ken Burns daran gearbeitet. Heute hat sie in den USA Premiere: "The War", eine 15-stündige TV-Serie über den Zweiten Weltkrieg. Was diesem filmischen Marathon an politisch-analytischen Nuancen fehlen mag, macht er mit einzigartigen Bildern wett.

Es sind die Gesichter, die einem Stunden später noch durch den Kopf spuken, wie Echos eines fernen Schreis. Die Gesichter der Soldaten, anfangs jung, kindlich und voller Tatendurst, dann allmählich immer verzerrter, dann ausgemergelt vom Horror, schließlich alt, weise und traurig. Die Augen, die erst blitzen, bevor sie langsam erlöschen - und die sich heute noch, mehr als 60 Jahre später, mit Tränen füllen. "Es gibt Wunden im Krieg, die zeigen sich nie", sagt einer von ihnen, Quentin Aanenson, am Ende. "Es sind innere Wunden."

Ken Burns zeigt sie alle, in Nahaufnahme und ohne schnellen Schnitt. Die Kamera verweilt lange, fast elegisch auf jedem Detail, wo die Gedanken doch lieber weiterhasten würden.

An einer Stelle zwingt Burns den Blick des Zuschauers auf einen toten Soldaten und fährt dann hoch zu dessen Kameraden, der unter Schock direkt in die Linse starrt. Später zeigt er einen blutjungen Marineinfanteristen, verdrehte Glieder von sich gestreckt, Zähne gebleckt, ein Loch im Stahlhelm. Qualvoll langsam zoomt die Kamera auf seine leeren Augen zu, zum Himmel gerichtet. Der ganze Shot dauert 40 Sekunden. Eine TV-Ewigkeit.

Der Dokumentarfilmer Ken Burns ist ein Meister der Bilder. Und so erzählt "The War", sein bisher aufwendigstes und ehrgeizigstes Projekt, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus amerikanischer Sicht denn auch in Bildern, viele davon nie zuvor gezeigt: verhungernde GIs auf dem Todesmarsch von Bataan, Leichenstapel in den Ardennen, seltene Aufnahmen von KZ-Befreiungen. Fast 15 Stunden lang, ab heute vom öffentlichen US-Fernsehsender PBS auf sieben Folgen verteilt ausgestrahlt, konfrontiert Burns seine Landsleute so mit dem Krieg, der ihre globale Unschuld beendete - dem "notwendigen Krieg".

Sehen, Spüren, Fühlen

Sechs Jahre hat Burns an diesem Lebenswerk gearbeitet, länger, als der Krieg selbst dauerte. 13 Millionen Dollar kostete es. Und wie seine früheren, bahnbrechenden Filme ("The Civil War", "Baseball", "Jazz") ist "The War" ein eindringlich visuelles Werk geworden, das historische Umwälzungen auf intime Vignetten reduziert und sich mit den Menschen befasst, die diese Geschichte erlebt oder in diesem Fall ausgefochten haben.

"Von unten herauf" nennt Burns das: keine Historiker, keine Militärs, keine "Experten". Sondern nur die, "die wirklich in diesem Krieg waren", an der Front oder der Heimatfront. Sie sprechen in Interviews, durch Tagebuch-Einträge oder als stumme Bilder. Und nur ein einziger Politiker von heute taucht auf: US-Senator Daniel Inouye, der mit der Armee in Italien focht und dort den rechten Arm verlor.

Burns geht es dabei ums Sehen, Spüren, Fühlen, nicht um historische Analyse oder neue Erkenntnisse. Bewusst beschränkt er sich auf die amerikanische Sicht. Er zeichnet nur nach, wie US-Soldaten und ihre Familien "WW II" erlebten. Alliierte und Feinde sind wortlose Komparsen, die Schlachtfelder Europas und Asiens Kulissen für amerikanische Schicksale.

So handelt er die letzte Schlacht um Berlin in exakt eineinhalb Minuten ab. Für den Untergang der "U.S.S. Indianapolis" im Pazifik hingegen nimmt er sich mehr als fünf Minuten Zeit. Manche Kritiker stört das: "Dieses Maß an Engheit, bei solcher Länge und Detail, ist befremdlich", nörgelte die "New York Times".

In falscher Idylle geschlummert

Doch Burns beansprucht auch gar nicht, eine komplette Weltkriegsgeschichte zu erzählen wie etwa 1974 die britische Serie "The World at War". Ihn interessiert die Auswirkung des Krieges - jedes Krieges - auf Amerikas Seele. "Krieg ist bestialisch, ruhmlos und eine furchtbare Verschwendung", schrieb damals der Zeitungskolumnist Al McIntosh, dessen poetischen Worte Burns immer wieder zitiert und dem hier Tom Hanks seine Stimme leiht.

Man gerät schnell in den Sog der Regie. Und wie die Soldaten, die ihre Erlebnisse als einen epischen Rausch beschreiben, wird auch der Zuschauer schnell zur Geisel der brilliant komponierten Bilder (und Töne).

Burns führt einen zunächst nach Sacramento, Mobile, Luverne und Waterbury - vier Orte, in denen 1941 noch Idylle herrschte, als Europa längst brannte. Dann: Pearl Harbor.

"The War" folgt nun einer Handvoll Soldaten aus diesen Orten an die Fronten, über sechs Kontinente hinweg. Sam Hynes, der widerwillig zur Waffe griff. Glenn Frazier, der nach Asien ging, weil er sich dort sicherer wähnte, und dort so als Erster im Kreuzfeuer landete. Ray Leopold, der Sohn jüdischer Immigranten, der ahnungslos auf die Konzentrationslager zumarschierte. John Gray, der Schwarze, der für eine Freiheit kämpfte, die ihm zu Hause verwehrt blieb.

Ballett des Todes

Burns begleitet die GIs nach Asien, nach Nordafrika, nach Italien, in die Normandie, macht die elende Körperlichkeit der Schlachten greifbar. Meist lässt er die Soldaten selbst erzählen, oft in Form ihrer ergreisten Alter Egos, von denen sich einige offenbar zum ersten Mal derart öffnen. Derweil verschmelzen die blutigen Gefechtsszenen - darunter seltene Farbaufnahmen - zu einem Ballett des Todes, untermalt von der Musik Wynton Marsalis'.

Dem ist keine Tränendrüse gewachsen. Und erst recht nicht der Ballade "American Anthem" von Norah Jones, die sich als klagendes Leitmotiv durch alle sieben Folgen windet: "America, America, I gave my best to you".

Burns' schwerer Pinselstrich übertüncht politische Nuancen. London, Stalingrad, Bergen-Belsen, Warschau - Fußnoten. Da Burns erst mit dem amerikanischen Kriegseintritt 1941 einsteigt, reißt er alles Frühere nur an, etwa Hitlers Polen-Überfall. Über die Hälfte der Zeit verbringt er stattdessen im "namenlosen, endlosen" Pazifik (Hynes) - und zeigt so, in schonungslosen Nahaufnahmen, eine Seite dieses Krieges, die in Europa fast unbekannt ist, doch nicht minder grausig war.

Nur auf den Protest von Latino-Gruppen hin hat Burns auch noch ein 20-minütiges Kapitel über eine Latino-Einheit namens "Carlson's Raiders" eingefügt, die sich furchtlos hinter die japanischen Linien schlug. Heraus kam eine der packendsten Geschichten in "The War".

"Keiner weiß, keiner versteht"

Nur langsam dämmerte den Amerikanern, dass dieser Krieg mehr war als Vergeltung für Pearl Harbor, sondern "in Wahrheit zur Verteidigung einer noblen Idee geführt wurde", wie es der Soldat Dwayne Luce aus Mobile erst angesichts der Konzentrationslager erkannte.

Burns ruft längst vergessene, in Europa vermutlich eher unbekannte Ereignisse ins Gedächtnis zurück. Wer spricht schon noch vom Todesmarsch von Bataan, bei dem bis zu 11.000 Männer starben? Oder davon, dass der legendäre General Douglas MacArthur seine Truppen auf den Philippinen im Stich ließ? Oder dass das US-Militär generell anfangs völlig unvorbereitet war? Welch glorreiche Armee: "140.000 Männer in Zinnhüten und Gewehren von 1903." Jeder durfte ran, so er größer war als 1,52 Meter und "wenigstens die Hälfte seiner Zähne hatte".

Während der Krieg für die Europäer am 8. Mai 1945 zu Ende war, ging er im Pazifik weiter. Burns führt einen tief in die "Kloake der Hölle" Okinawa, wo mehr GIs starben als sonstwo im Pazifik. Er sitzt mit an Bord der "Enola Gay", die die Atombombe auf Hiroshima abwarf (ein Ereignis, das strikt aus der Vogelperspektive gezeigt wird). Er kehrt mit den Soldaten nach San Francisco zurück, wo der dreieinhalb Jahre in Gefangenschaft verschollene Glenn Frazier feststellt, dass seine Familie ihn für tot hielt.

Der Zweite Weltkrieg machte die USA zur Weltmacht. Seine Krieger machte er, so sie überlebten, zu Männern - doch nicht immer zu Helden. "Keiner weiß, keiner versteht", murmelt Quentin Aanenson über die inneren Qualen, die ihn bis heute verfolgen. "Mein Krieg", berichtet der von Alpträumen verfolgte Frazier, "dauerte noch weitere 30 Jahre."

Es sind die Bilder, die Frazier am meisten nachhängen - und, dank Burns, nicht nur ihm. Zum Schluss fährt die Kamera ein letztes Mal über die Gesichter der Toten. Doch diesmal sind es keine Kriegsbilder, sondern Fotos aus ihrer Idylle zuvor: Verlobungen, Hochzeiten, Familienfeste. Jeder einzelne, spätere Soldat lächelt - jung, kindlich und voller Tatendurst.

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