Wettbewerb "Das bedrohte Wort" Kleinod besiegt Schlüpfer

Es geht um die Kleinodien der deutschen Sprache. Aus rund 2000 Vorschlägen hat ein unabhängiges Expertengremium beim Wettbewerb "Das bedrohte Wort" zehn Begriffe prämiert. Jury-Sprecher und SPIEGEL-ONLINE-Kolumnist Bodo Mrozek berichtet exklusiv von der Arbeit der Wort-Kommission.

Es war keine leichte Wahl. 2982 Beiträge wollten ausgewertet werden, darunter 2000 verschiedene Begriffe. Der Wettbewerb "Das bedrohte Wort" hatte nach dem schönsten bedrohten Wort gefragt. Aus allen deutschsprachigen Ländern kamen die Beiträge, selbst aus Asien, den USA und Neuseeland trafen Wortmeldungen ein.

Auch die Jury war international besetzt. Die Schriftstellerin Eva Menasse vertrat nicht nur die Interessen Österreichs, sie befindet sich auch im Besitz vieler alter Wiener Begriffe. Der Autor Jakob Hein, geboren in Leipzig, verfügt über eine Sammlung von Wörtern aus der Jugendsprache, darunter etliche Ausdrücke aus der DDR. Der Essayist und Kritiker Michael Angele vertrat die Schweiz und der Germanist Marco Scheider, an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beschäftigt mit der Fortführung des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm, brachte sprachwissenschaftliche Expertise ein.

Vor dem Ergebnis kam die Arbeit: Zunächst mussten alle auf Papier eingesandten Wörter in einer vom Programmierer Daniel Burckhardt eingerichteten Datenbank digitalisiert werden. Die mühselige Handarbeit lohnt sich: Es entsteht ein Buch mit mehr als hundert Seiten. Die ehrenamtlichen Juroren arbeiten es Wort für Wort durch. Am Tag der Entscheidung tagt die Jury dann im diskret gelegenen Garten des Berliner Lokals "Storch" - in Anwesenheit eines Unparteiischen aus der neutralen Schweiz. Es ist ein schwüler, heißer Tag und trotz eines kühlenden Sommerregens glühen bald die Köpfe beim Sichten der Vorschläge. Das längste Wort lautet Flanschgabelkabelschuh, die Begründung beweist Humor. Eine andere Teilnehmerin beklagt in ihrer Einsendung, dass ihre Kinder das Wort Geschmeide bereits für etwas Unanständiges halten.

Wörter schwirren wie Mücken

Das schöne alte Wort Labsal steht ganz oben auf der Liste, auch der Luftikus hat seine Fürsprecher, scheidet aber aus. Wörter schwirren wie Mücken durch die Luft. Am Wort Fracksausen, eine von der modernen Kleiderordnung abgeschafftes Lampenfieber, scheiden sich die Geister: Die Norddeutschen halten das Wort für veraltet, doch die Vertreterin des alten Österreichs hat es noch im aktiven Wortschatz. In der mehrsprachigen Schweiz dagegen sind viele aus dem Französischen importierte Begriffe keineswegs bedroht. So klären sich allmählich die Fronten. Un-Wörter wie Ungemach oder unflätig fliegen raus, ebenso der Liebestöter. Der Jury-Vorsitzende wird mehrfach überstimmt, allmählich zeichnet sich ein Ergebnis ab. Ein Juror bringt die Stimmung auf den Punkt: "Es ist spannender als die Papstwahl." Am Ende steigt zwar kein weißer Rauch auf. Doch das Wort auf Platz eins ist konsensfähig. Es lautet Kleinod. Warum?

Das Wort ist sehr alt. Schon im Mittelalter war ein Kleinod die Zierde an einem Ritterhelm. Hier rührt seine heraldische Bedeutung her, in der Ordenskunde ist es der Name des sichtbaren Zeichens, oftmals des Kreuzes am Band. Die Insignien eines Königs, Reichsapfel und Zepter, nannte man einst die Reichskleinodien. Das Kleinod war aber auch ein Geschenk oder eine Abgabe, das Deutsche Rechtswörterbuch kennt das alte Kleinodgeld aus dem 16. Jahrhundert. In einer anderen Bedeutung konnte das Wort Kleinod auch Vieh oder Gemüse bezeichnen. Immer aber geht es um etwas Wertvolles. Noch bis ins 20. Jahrhundert versteht man unter einem Kleinod ein Schmuckstück. Der Duden kennt das Wort noch, doch dürften die nur die wenigsten Zeitgenossen es noch im aktiven Wortschatz mit sich führen.

Käseigel, alter Freund!

In übertragenem Sinn kann ein Kleinod ein ganz unscheinbarer Gegenstand sein, dessen persönlicher oder ideeller Wert erst auf den zweiten Blick erkenntlich ist. Solche Kleinodien überreichen sich Liebende, ein Dichter der Jahrhundertwende nennt die Liebe selbst ein Kleinod. Auch ein Wort kann so zu einem Kleinod werden, denn oftmals muss man es länger drehen und wenden, um seinen ganz besonderen Wert zu verstehen. Diese Begründung gibt den Ausschlag für die Wahl der Jury. Die Teilnehmerin, die das Wort vorschlug, erhält dafür den Hauptpreis: Der "Käseigel", eine von der kanadischen Künstlerin Laura Kikauka nach einem bedrohten Wort gestaltete Skulptur, geht nach Schwerin. Passend zur Prämierung mit dem ersten Preis ist auch diese Bedeutung: Im Mittelalter konnte das Wort Kleinod auch den Hauptgewinn in einem Wettbewerb bezeichnen, etwa bei einem Preisschießen.

"Mir schwinden die Sinne!"

Auf den zweiten Platz wählt die Jury das alte Adjektiv blümerant. Hier folgt das Gremium dem Willen vieler Teilnehmer: 16 Mal wurde das Wort vorgeschlagen. Sprachhistoriker kennen es als Paradebeispiel für einen Wortimport. Es leitet sich vom Französischen "bleu-mourant" her und bedeutet wörtlich übersetzt "sterbendes Blau". Friedrich II. ließ sein Porzellan in diesem Pastellblau bemalen. Hugenottische Einwanderer hatten das Wort nach Preußen mitgebracht. Wenn in jener Zeit eine Dame im zu eng geschnürten Korsett in Ohnmacht fiel, so wurde ihr nicht schwarz, sondern blassblau vor Augen. "Mir wird janz blümerant" hieß es dann. "Das sterbende Blau ist eine sehr noble Begründung um zu sagen: Mir schwinden die Sinne!", schreibt deshalb eine 30 Jahre alte Teilnehmerin aus Aalen in ihrem Wettbewerbsbeitrag - eine sinnenfrohe Begründung, die von der Jury mit einem Bücherpaket honoriert wird.

Welches Wort steht für String, Tanga und Boxershorts zusammen?

Eine weitere Begründung überzeugte aufgrund ihrer Originalität: Das Wort "Dreikäsehoch", einst für ein kleines Kind geläufig, sandte ein Student aus Marburg mit der flotten Erklärung ein: "Die Wortschöpfung aus einer Nummer, einer Naturalie und dem Hoch ist einfach ein Knaller." Das ist linguistisch zwar nicht ganz korrekt, aber der nahezu kabbalistischen Zahlenmagie eines solchen Dreiklangs kann sich die Jury nicht entziehen – und gibt der Versuchung nach, ein bildhaftes Wort mit einer dreifachen Drei auf den dritten Platz zu wählen. Die weiteren Platzierungen honorieren mal den Wohlklang eines Wortes, mal die inhaltliche Schönheit. Es sind der Reihenfolge nach die Wörter Labsal, bauchpinseln, Augenstern, fernmündlich, Lichtspielhaus, hold.

Schlüpfer und Büstenhalter

Eine Teilnehmerin zitiert in ihrer Begründung die Zeilen von Matthias Claudius "so traulich und so hold" – eine Poesie, der die Jury beugt. Den zehnten und letzten Platz erhält das Wort Schlüpfer. Einerseits weil es ein durch und durch ehrliches Wort ist. Andererseits weil sich ein Verb in diesem Substantiv versteckt. Das als String, Tanga oder Boxershorts entfremdete und sprachlich wie symbolisch oftmals überhöhte Kleidungsstück, wird mit dem alten Wort Schlüpfer gewissermaßen geerdet, auch schwingen Kindheitserinnerungen mit. Eine Jurorin lobt sogar die erotische Qualität des Wortes. Überzeugend in jedem Fall die Begründung der Einsenderin aus Sarstedt: "Das Wort passt so schön zu Büstenhalter."

Neben solchen Stil- und Geschmacksfragen ergibt der Wettbewerb auch statistische Antworten. Etwa auf die Frage, welche Wörter von der deutschsprachigen Bevölkerung am meisten vermisst werden. Auch wenn die Zahlen nicht repräsentativ sind, lassen sie sich als Indizien werten: Mit 35 Nennungen scheint das Wort Backfisch am meisten vermisst zu werden. Gefolgt wird es vom Adjektiv hanebüchen (28 Einsendungen), der Sommerfrische (20) und blümerant (16). Mit dem geizigen Pfennigfuchser (15) und dem Heiermann (14), einem norddeutschen Wort für ein Fünf-Mark-Stück, erinnern die Teilnehmer an alte Währungen.

Schmerzlich vermisst: der Backfisch

Interessant immerhin, dass unter den meist genannten Einsendungen gleich mehrere aus Fremdsprachen entlehnte Wörter sind: Neben dem französischen blümerant auch der Backfisch. Nach zwei verschiedenen Herleitungen stammt er entweder aus dem Anglerlatein der britischen Inseln, wo ein Fisch, der zu klein zum Essen war, wieder back – zurück – ins Meer geworfen wurde. Eine andere Erklärung deutet zurück in die Studentensprache des 16. Jahrhunderts. Demnach stammt das Wort vom lateinischen Begriff baccalaureus (englisch Bachelor) ab und bezeichnete einen jungen Studenten.

Das Ergebnis des Wettbewerbs birgt also nicht etwa ein heimliches Plädoyer für eine Wende zum Sprachnationalismus, sondern vielmehr ein Bekenntnis zur Internationalität der deutschen Sprachgeschichte, die ohne ihre vielfältigen Einflüsse aus anderen Kulturkreisen, ohne ihre Schichten und Jahresringe, um so vieles ärmer wäre. Das ist – nach Meinung der Jury - ein schönes Ergebnis für einen Wettbewerb. Der wird das Wörtersterben zwar nicht aufhalten, aber vielleicht einige Sprachschichten und -Geschichten frei legen und das Interesse auf den Bedeutungswandel der deutschen Sprache und die Schönheit mancher Wörter lenken. Wenn das mit der Hilfe Tausender Menschen gelang, so wäre das mindestens knorke - wenn nicht sogar famos.


Alle Ergebnisse und Gewinner werden im Internet  bekannt gegeben.

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