
Widerstand Eine Geisteshaltung, die man einüben kann

Ich war vor ein paar Wochen bei einer Veranstaltung zum Widerstand gegen das Hitler-Regime. Die Karten waren rasch ausverkauft, 1400 Menschen waren an einem Sommerabend in den Berliner Dom gekommen. Es muss ein großes Interesse daran geben, über die Worte und Taten von Menschen nachzudenken, die sich fragten, was sie tun konnten, um sich dem Rechtsbruch, dem Totalitarismus, der Barbarei entgegenzustellen.
Dieses Interesse ist nicht nur historisch. Es stellen sich gerade in Deutschland viele Menschen die Frage, wie sie sich wehren können gegen den Rechtsbruch und die Barbarei unserer Zeit. Sie haben demonstriert gegen die Toten im Mittelmeer und die Apathie, die Verhinderungspolitik, die Stumpfheit der herrschenden Politik. Sie haben demonstriert gegen die AfD, sie wollen die Rechtsverschiebung in diesem Land nicht hinnehmen.
Sie sehen sich ratlos einer opportunistischen Politik gegenüber, die Stück für Stück die Demokratie demontiert und dem Nationalismus, dem Egoismus, der gesellschaftlichen Kälte und Ausgrenzung immer neue Räume eröffnet. In Italien werden Sinti und Roma gezählt, als gebe es einen Plan, was mit denen geschehen soll, die so erfasst werden. Und in der "Zeit", Gradmesser der Republik, erscheint ein Text, in dem die universellen Menschenrechte und das Retten von Notleidenden infrage gestellt wird. Die Grundlagen von allem, so scheint es, stehen zur Disposition, nach unten gibt es kein Maß.
Eine Geisteshaltung, die man einüben kann
Widerstand beginnt damit, dass man sich dem Drang der Masse genauso wenig beugt wie einem Denken der Homogenität, das die Verantwortung für eine imaginäre Gruppe, oft die Nation, über die Verantwortung für den Einzelnen stellt. Widerstand ist eine Geisteshaltung, die man einüben kann, Widerstand ist etwas, das man in sich trägt und auf einen wartet.
Widerstand kann aus verschiedenen Richtungen kommen und verschiedene Formen annehmen. Die Texte, die bei der Veranstaltung im Berliner Dom vorgelesen wurden, erzählten von Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, es wurde der Arbeiterwiderstand genauso gewürdigt wie die Aktionen Einzelner. Es waren die Attentäter des 20. Juli und der national-konservative Widerstand genauso vertreten wie kommunistische Gruppen. Besonders beeindruckt haben mich die Mitglieder von "Onkel Emil", eine Gruppe von Ärzten, Journalisten, Intellektuellen, die in den Worten von Ruth Andreas-Friedrich ein Maß von undogmatischer Menschlichkeit zeigten, das speziell heute einen starken Widerhall findet.
Vom Winter 1938 bis zum Kriegsende 1945 gelang es dieser Gruppe, ein Netzwerk der Hilfe und Unterstützung aktiv zu halten, sie beherbergten Verfolgte, besorgten Quartiere, beschafften Lebensmittelkarten und falsche Dokumente. Besonders deutlich zeigt die Gruppe, dass Widerstand möglich war, was von vielen Deutschen damals und später bestritten wurde, dass Widerstand unterhalb der Schwelle des Staatsstreichs denkbar war, dass es alltäglichen und praktischen und direkt den Menschen zugewandten Widerstand gab und gibt.
Von rechts gekapert
Der Widerstand gegen Hitler wurde nach dem Krieg viele Jahre weitgehend ignoriert, von den Alliierten, die West-Deutschland als Bollwerk im Kalten Krieg brauchten, von den Deutschen sowieso, die nicht an die eigenen Verbrechen durch das Vorbild derjenigen erinnert werden wollten, die zeigten, dass Apathie tödlich ist und Wegschauen der Anfang der Unmenschlichkeit. Im Lauf der Jahre fand der Widerstand seinen Platz in der Mythologie der BRD, er wurde dabei oft auf den Widerstand der Attentäter des 20. Juli reduziert.
In der gegenwärtigen politischen Situation, mit einer rechtsextremen Partei wie der AfD, gibt es eine andere Dringlichkeit, über Widerstand nachzudenken - vor allem auch, weil diese demokratiefeindliche Partei selbst dieses Wort für sich nutzen will, als Widerstand gegen Merkel oder den Rechtsbruch, so wie sie ihn sieht. Der Widerstands-Begriff ist damit, wie manch anderer Begriff, von rechts gekapert worden - und wenn der rechte Maler Neo Rauch den rechten Schriftsteller Uwe Tellkamp als "Wiedergänger Stauffenbergs" bezeichnet, als ob das gegenwärtige Deutschland eine menschenvernichtende Nazi-Maschine wäre, dann zeigt sich nur, wie krude und verramscht das gegenwärtige Reden über Widerstand geworden ist.
Es ist deshalb nötig, auch für Deutschland den Begriff des Widerstandes für die demokratischen Kräfte wiederzugewinnen: Wie es schon in den USA kurz nach der Wahl von Donald Trump der Fall war, als sich für viele Amerikaner die Frage, wie sie sich als "resistance" organisieren sollten, wie sie dem fortschreitenden Rechtsbruch begegnen wollten, was sie tun konnten, um zu verhindern, dass die amerikanische Demokratie zerstört wird - von "rebel cities" bis zur Schülerbewegung für mehr Waffenkontrollen und dem "March for Our Lives" reichen hier die Beispiele einer widerständigen Zivilgesellschaft.
Es gibt ein Gefühl von Dringlichkeit
Es sind gerade viele Menschen dabei, sich politisch zu organisieren, es gibt ein Gefühl von Dringlichkeit, gerade auch, weil die etablierten Parteien angstvoll und apathisch auf den Aufstieg der AfD reagieren und so gut wie jede progressive Gesellschaftsvision sausen lassen. Es braucht aber auch andere Strategien, die weniger politisch sind und mehr auf eine starke Zivilgesellschaft zielen, wie das Beispiel der USA zeigt, wo der Occupy-Veteran Micah White eine Anleitung für die "Zukunft der Rebellion" geschrieben hat, oder auch Frankreich, wo Cyril Dion gerade ein "kleines Handbuch zum zeitgemäßen Widerstand" veröffentlicht hat.
Die beiden sind sich einig, dass der Widerstand im Kopf beginnt, es ist eine Frage der Sicht auf die Welt und das, was den Menschen zum Menschen macht, erst dann wird der Mensch zur Tat befähigt. Diese Veränderung des Bewusstseins ist nötig, um Widerstand zu ermöglichen, persönlich und gesellschaftlich. Es sind Gedanken, es sind Geschichten, es sind Beispiele aus Gegenwart und Vergangenheit, die die Menschen aufrütteln, sie ermutigen, sie mit Energie und Ideen versorgen. Es sind Memes, es sind Fiktionen, die notwendig sind, um die Wirklichkeit zu verändern.
Der Abend im Berliner Dom endete mit einem Aufruf, der wie ein Echo im Raum widerhallte, es war in gewisser Weise schockierend, vor allem wegen des Rahmens. Es war der Aufruf zum bewaffneten Widerstand, konkret gegen Hitler, abstrakt gegen andere Ungerechtigkeit. Die Berliner Bürger gingen danach hinaus in den sonnigen Sommerabend.