
Wiedereröffnung in Frankfurt: Begegnungen im Ufo
Mousonturm Frankfurt Ein Ufo mit offenen Türen
Ab wann ist man eigentlich erwachsen? Wenn man von den Großen endlich für voll genommen wird, wenn man bewiesen hat, dass man auf eigenen Füßen stehen kann? 24 Jahre alt ist das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main jetzt, aber zur Wiedereröffnung dreht sich alles ums Erwachsenwerden.
Das Motto habe einfach in der Luft gelegen, erklärt der Intendant Niels Ewerbeck, 50, der im Januar 2012 die Nachfolge des Mousonturm-Gründers Dieter Buroch antrat: "In Krisenzeiten wird einem erst bewusst, wie schnell man sich entmündigen lässt." Es geht ihm um Machtverteilung, bürgerliche Eigenverantwortung oder die Rechte, die man freiwillig abgibt. Ewerbeck spricht von einem "Erwachensprozess der Gesellschaft", der demjenigen vieler Jugendlicher nahe komme. Nicht von ungefähr hätten Erwachen und Erwachsenwerden gleiche etymologische Wurzeln.
Der Blick der Jugend
Passend dazu gestaltet sich Ewerbecks Spielplan im Mousonturm. So steht der Übergang von Kindheit und Jugend zum Erwachsenendasein im Mittelpunkt von "Before Your Very Eyes", mit dem das Künstlerhaus seine Saison eröffnet. Das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad lässt Jugendliche in einer Art gläsernem Versuchslabor auftreten, wo sie ihre Zukunft als 40-, 60-, 80-Jährige spielen. Ein Leben im Schnelldurchlauf, bei dem die Zuschauer auf sich selbst zurückgeworfen werden: Die Hoffnungen und Sehnsüchte der jungen Darsteller spiegeln die eigenen Wünsche längst vergangener Jahre wieder. "Plötzlich sieht man die Brüche im Leben, die unerfüllten Pläne", sagt Ewerbeck begeistert. Man sieht ihm den Stolz an, den Publikumserfolg des diesjährigen Berliner Theatertreffens mitproduziert und nach Frankfurt geholt zu haben.
Ewerbeck will das Künstlerhaus wieder in die erste Riege der Freien Theaterszene in Deutschland hieven. Der Mousonturm solle in einem Atemzug genannt werden mit dem Berliner Hebbel am Ufer und Kampnagel in Hamburg. Mit diesem Ziel knüpft er an Gründerzeiten an, als die ehemalige Seifenfabrik Mouson in eine Avantgarde-Stätte mit Tanz, Performance und Installationen umgewandelt worden war. Damals, 1988, hatte die Produktionshalle noch den Anforderungen vieler Künstler entsprochen. Dies sei am Ende nicht mehr der Fall gewesen.
Vom Barocktheater zum Performance-Labor
"Der Raum war deutlich in die Jahre gekommen", sagt Ewerbeck. Allein die Säulen und der Balkon hätten die Darsteller stark eingeschränkt. "Einiges erinnerte an ein Barocktheater in modernem Gewand und nicht an ein Labor für experimentelle Ausdrucksformen." Konsequenterweise war die erste Amtshandlung des neuen Intendanten, die Spielstätte zu sanieren. Für 3,9 Millionen Euro wurden die Säulen von der Mitte des Raumes nach außen verlegt, die Bühne auf 14 Meter vergrößert und eine ausfahrbare Zuschauertribüne installiert.
Die achtmonatige Umbauphase nutzte das Mousonturm-Team, um sich als Spielstätte neu zu definieren. "Wenn ein Haus zu lange unter derselben Leitung steht, gibt es Bindungen, die die Gestaltungsfreiheit einschränken", sagt Ewerbeck. Weil das nicht nur für seinen Vorgänger gilt, hatte sich der gebürtige Kölner Ewerbeck dafür entschieden, nach acht Jahren die Führung der Gessnerallee in Zürich abzugeben und nach Hessen zu ziehen.
Ein Schwerpunkt in seiner ersten Frankfurter Saison ist die Präsentation einer neuen Künstlergeneration. Zwölf Koproduktionen mit Studenten und Hochschulabgängern sind geplant. Ein gutes Signal für die Stadt, der gerade eine Expertenkommission bescheinigt hat, dass es ihrer Kulturszene an "jungen Wilden" fehle - obwohl es genug Absolventen aus den drei naheliegenden Hochschulen Frankfurt, Offenbach und Gießen gibt.
Verklärte Vergangenheit, ungewisse Zukunft
In einem eigens gestarteten Radioprojekt wurde außerdem die Frankfurter Bevölkerung nach ihren Ideen zum Künstlerhaus befragt. "Uns war es wichtig, den Anwohnern das Ufo näherzubringen, als das ein Avantgarde-Labor wie der Mousonturm angesehen werden kann", sagt Ewerbeck. In Zukunft sollen deshalb gezielter die Bürger eingebunden werden. Ein erstes Ergebnis ist Mats Staubs Langzeitprojekt "21", das nun einen Monat lang im Foyer des Hauses zu sehen sein wird. Der Schweizer Künstler präsentiert darin Interviews, die er mit den Bewohnern des angrenzenden Altersheims geführt hatte. Die Männer und Frauen berichten von ihren Erinnerungen an das 21. Lebensjahr - die Zeit, in der man in den vierziger Jahren als erwachsen galt. Wie bei Gob Squad geht es auch hier um das Gegenüberstellen von Erwartungen und Realität, von verklärter Vergangenheit und ungewisser Zukunft.
Die Zukunft wird auch in der Installation von Tim Etchells thematisiert. Der Brite, Gründungsmitglied der Performance-Gruppe Forced Entertainment, hat für den Mousonturm zur Eröffnung eine Lichtinstallation geschaffen. Auf der Außenfront des Hauses steht in bunten Neon-Lettern "The Future Will Be Confusing". Im Eingangsbereich sind die gleichen Farbbuchstaben zu sehen, diesmal jedoch als zerstobener Haufen. Für Intendant Niels Ewerbeck stellt Etchells Arbeit das ideale Motto des Hauses dar. "Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass wir uns in den letzten Jahren zu stark auf wissenschaftliche Formeln, Wirtschaftstheorien und Politik verlassen haben", sagt der Mousonturm-Chef. "Unsere Aufgabe ist es, die Kunst als neuen Erkenntnislieferanten auf eine Stufe mit der Wissenschaft zu stellen."
"The Future Will Be Confusing". Wiedereröffnungsfeier des Mousonturms in Frankfurt am Main. 6.-9. September, Tel. 069/40 58 95 20.