Wulffs Mailbox-Affäre Die Salami-Taktik der "Bild"-Zeitung

Christian Wulff und Kai Diekmann: Verschwiegene Informationspolitik
Foto: Soeren Stache / dpaEs ist eine herzerwärmende Geschichte, die "Bild" darüber erzählt, wie Christian Wulffs Nachricht auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann in die Öffentlichkeit gelangte. Es ist eine Geschichte von seriösen Journalisten, die sorgfältig abwägen, was Recht und was Unrecht ist, die zögern und sich externen Rat holen. Die von einer Veröffentlichung absehen, nachdem sich der Bundespräsident entschuldigt hat, und die anscheinend beim besten Willen nicht genau sagen können, wieso wörtliche Zitate aus der Nachricht plötzlich in anderen Zeitungen standen.
Die "Bild"-Zeitung hat diese Geschichte der "tageszeitung" ("taz") erzählt. Die hatte in der vergangenen Woche die Idee, die Forderung nach Transparenz gegen diejenigen zu richten, die sie erheben.
Insgesamt 15 Fragen über die undurchsichtige Rolle des Boulevardblatts richtete die "taz" an Kai Diekmann und machte sie - "im Sinne der von Ihnen gewünschten Transparenz" - öffentlich. Diekmann reagierte wie häufig auf solche Auseinandersetzungen, insbesondere mit der "taz": Er machte sich einen Spaß daraus. Er antwortete zunächst im Stil einer Parodie auf den Bundespräsidenten, bat um Aufschub, witzelte: "Hier ist jetzt ein Punkt erreicht, wo für mich und meine Sekretärin wirklich die Aller überschritten ist."
Die Heuchelei der "Bild"-Redaktion
Immerhin ließ er seinen Pressesprecher die Fragen schließlich doch noch sachlich beantworten - oder jedenfalls so tun, als ob. Entscheidende Details verschweigt die "Bild"-Zeitung nämlich und lässt ihre Rolle so in einem falschen Licht erscheinen.
Die "taz" bezog sich in ihren Fragen unter anderem auf Nikolaus Blome, den stellvertretenden Chefredakteur und Berliner Büroleiter von "Bild". In der Talkshow "Günther Jauch" hatte er gesagt, "manche Journalisten aus anderen Redaktionen" hätten sich "in Teilen vielleicht ein ganz kleines Bild" von der Mailbox-Nachricht machen können. Die "taz" wollte nun wissen, "wie vielen und welchen Journalisten" und in welcher Form die Nachricht zugänglich gemacht wurde, bevor die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" am Neujahrswochenende explizit darüber berichtete. "Bild" antwortete: "Der Bild-Chefredakteur hat seinerzeit persönlich mit zwei externen Journalisten über den Anruf gesprochen und ihnen in diesem Zusammenhang auch den Text zukommen lassen. Gerade aufgrund der eigenen Betroffenheit ging es ihm dabei um das Einholen von Einschätzungen nicht betroffener Kollegen außerhalb der Redaktion."
Die "taz" versuchte außerdem, die Bitte von "Bild" an den Bundespräsidenten vom 5. Januar, die Nachricht veröffentlichen zu dürfen, als Heuchelei zu entlarven. Parallel dazu hätten "Bild"-Redakteure den Inhalt schon weitergegeben, so die "taz". Die Antwort von "Bild": "Nachdem die Redaktion die Abschrift der Nachricht an das Büro des Bundespräsidenten übermittelt hatte, häuften sich bei der Axel-Springer-Pressestelle Anfragen von Journalisten zum vollständigen Inhalt der Nachricht. In Gesprächen wurden einige der bereits bekannten Passagen erläutert. Eine Abschrift der Nachricht wurde von der Pressestelle an keine Zeitung oder Zeitschrift geschickt. Es gab keinen Auftrag an Redakteure von 'Bild', die Nachricht oder Passagen daraus weiterzugeben."
Kunstvoll an der Wahrheit vorbei
Die Formulierungen sind kunstvoll so gewählt, dass sie womöglich in einem sehr engen Sinne zutreffen, aber an der Wahrheit vorbeigehen. Unauffällig unbeantwortet lässt die "Bild"-Zeitung nämlich, was sie vor dem 6. Januar tat, dem Tag, an dem sie Wulff das Transkript zukommen ließ.
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE soll ein "Bild"-Sprecher das Transkript schon am 1. Januar, nach ausdrücklicher Rücksprache mit "Bild"-Chef Diekmann, einem Journalisten der "Süddeutschen Zeitung" ("SZ") am Telefon vorgelesen haben - unter der Maßgabe, das Gespräch nicht mitzuschneiden oder mitzustenografieren und nicht zu ausführlich zu zitieren. Auf dieser Grundlage habe die "SZ" am nächsten Tag über den genauen Inhalt der Nachricht berichten können. Der "SZ"-Redakteur hatte demnach den Artikel in der "FAS" gelesen, in dem erstmals explizit, wenn auch eher versteckt, aus Wulffs Nachricht zitiert worden war, und daraufhin bei Springer nachgefragt. Auch der SPIEGEL zitierte ausführlich aus dem Mitschnitt des Gesprächs, allerdings erst in seiner Ausgabe vom 9. Januar.
Warum hat die "Bild"-Zeitung diese Art der Informationspolitik hinter den Kulissen bisher verschwiegen? Warum erweckt sie den Eindruck, eine solche Art des Briefings eines Berichterstatters einer anderen Zeitung hätte es zu keinem Zeitpunkt gegeben? Gab es noch weitere solcher Gespräche?
SPIEGEL ONLINE hat der "Bild"-Zeitung am Dienstagnachmittag sechs Fragen dazu gestellt. Die Antwort des Pressesprechers kam gut drei Stunden später: "Natürlich können wir verstehen und respektieren, dass Sie als Medienjournalist an einer möglichst detaillierten Darstellung der Ereignisse interessiert sind. Ich muss Sie aber auch darum bitten, zu respektieren, dass wir grundsätzlich zu Inhalten von vertraulichen Gesprächen, die wir mit Journalisten führen, keinem anderen Journalisten Auskunft geben können - und das ganz unabhängig vom aktuellen Fall."
Der "Bild"-Sprecher ließ auch unbeantwortet, ob "Bild" im fraglichen Zeitraum grundsätzlich Journalisten den Inhalt der Mailbox-Nachricht in ähnlicher Form zugänglich gemacht hat.
Alles eine Parodie auf Wulff?
So redet sich "Bild" aus der Affäre: Das Blatt antwortet scheinbar mit ungewohnter Transparenz auf Fragen, wie es mit dem Inhalt der Nachricht umgegangen ist, spart dabei aber heikle Punkte aus. Auf Nachfrage, die auf diese heiklen Punkte zielt, beruft sich das Blatt dann plötzlich auf die Pflicht zur Vertraulichkeit.
Man könnte denken, "Bild" parodierte so immer noch das Verhalten des Bundespräsidenten; vermutlich handelt es sich aber eher um die eigene, seit längerem erprobte Taktik der Desinformation. Dahinter steckt anscheinend der Versuch, die eigene Rolle zu verschleiern. Die Boulevardzeitung ist in der Auseinandersetzung mit Wulff nicht bloß Beobachter oder gar Opfer, wie sie glauben machen will, sondern Akteur. Sie spielt den Trumpf, den ihr Wulff durch den wütenden Anruf gegeben hat, nicht offen aus, sondern setzt Information und Nicht-Information geschickt zum größten eigenen Nutzen und Schaden Wulffs ein. Ihr Verhältnis zu Transparenz und Ethik ist ein rein taktisches.
Kai Diekmann spielt nicht mit offenen Karten. Er hat im Schlagabtausch mit der "taz" nur gespielt, mit offenen Karten zu spielen.