Eklat um Xavier Naidoo Zerstörer statt Erlöser

Popsänger Xavier Naidoo
Foto: Uwe Anspach/ dpaXavier Naidoo gibt keine Interviews. Das muss er auch gar nicht, denn erstens erklärt er sich in seinem neuen Song "Marionetten" hinreichend selbst - und positioniert sich endlich unverstellt als der rechtspopulistische Hetzer und Verschwörungstheoretiker, für den ihn viele schon lange gehalten haben. Zweitens sorgen die Medien auch ohne PR-Auftritte für genügend öffentlichen Wirbel. Die mediale Erregung, die sich in den letzten Tagen über Naidoos Lied aufgebaut hat, zeigt auf erschreckende Weise, wie schnell und einfach sich rechte Verschwörungsrhetorik mit antisemitischen Untertönen aus der Spinner-Ecke ins ganz große Forum projizieren lassen.
Am Donnerstagabend, auf dem Gipfel der Empörungskurve, wurde Naidoo auch noch mit einer Böhmermann-Parodie in dessen Sendung "Neo Magazin Royale" geadelt. Besser und wirkmächtiger geht es nicht im aktuellen deutschen Medien-Diskurs.
Natürlich hat es Nachrichtenwert, wenn ein populärer deutscher Sänger, der Millionen Platten verkauft hat und durch diverse Shows und Moderationen ein bekanntes TV-Gesicht ist, in einem Songtext Politiker als "Volks-in-die-Fresse-Treter" bezeichnet und damit droht, sie "in Fetzen" zu reißen. Da helfe auch "kein Verstecken hinter Paragrafen und Gesetzen", wenn "der wütende Bauer mit der Forke" dafür sorgt, "dass Ihr einsichtig seid". Das ist die umstürzlerische, staatsfeindliche Rhetorik von Pegida und der AfD-Rechten, die sich schon im Titel eines gängigen Antisemitismus-Bildes bedient: Politik und Staat als Marionetten einer jüdisch-amerikanischen Finanzverschwörung. Den vollständigen Songtext kann man hier nachlesen .
Rechtsideologische Märtyrer- und Opfertrutzburg
Es wird einem schon beim Lesen dieser Hetzschrift übel, zudem taugt der Song noch nicht einmal musikalisch etwas - Naidoo rappt ihn holpernd und ohne Flow über einen billig anmutenden Elektropop-Beat. Ein Machwerk, über das man normalerweise den Mantel des Schweigens breiten würde. Und auch sollte.
Denn wen, außer denen, die spätestens seit Naidoos Auftritt bei der "Reichsbürger"-Demo in Berlin vor drei Jahren verstanden haben, dass sich der Popstar ins gedankliche Abseits manövriert hat und sich nun lediglich bestätigt sehen, erreicht man wirklich mit einer um Aufklärung bemühten Berichterstattung über das Lied "Marionetten"?
Den Anhängern Naidoos, zu denen eben auch viele jener "Reichsbürger" gehören, die wie er glauben, Deutschland sei kein souveräner Staat, kann man ohnehin mit keiner Art von Kritik oder Satire beikommen: Sie halten alles, was in der sogenannten Mainstream-Presse gegen Naidoo hervorgebracht wird, ohnehin für die programmatische, aus Kanzleramt und/oder CIA-Zentrale gesteuerte Abwehrreaktion, so jedenfalls ist den hasserfüllten Kommentaren auf Facebook oder Twitter zu entnehmen. Je größer die Empörung in den Medien, desto mehr verstärkt sich das "Wir gegen die"-Gefühl zum immer trotzigeren und letztlich undurchdringlichen Bollwerk gegen die Vernunft.
Im Zentrum dieser typisch rechtsideologischen Märtyrer- und Opfertrutzburg, die auch völkisch raunende Bands wie Freiwild um sich errichtet haben, steht jedoch kein namenloser Provinz-Wirrkopf oder eine obskure Rockgruppe aus Tirol, sondern ein sich seiner Wirkmacht bewusster Popstar wie Naidoo.
Zynisches Puppenspiel
Der 45-Jährige nennt sich gerne kokett den "kleinen Sänger aus Mannheim" und gibt sich verwundert, warum sich alle so aufregen, er sage doch nur die Wahrheit. Sekundiert wird er von Bandkollegen wie Henning Wehland, der das Lied "Marionetten" als "Appell zum Nachdenken darüber, dass Politik oft missbraucht wird", versteht, wie er in einem aktuellen Interview sagte. Da wolle man "mit zugegeben überzeichneten Worten" aufrufen, "etwas dagegen zu tun". Wie Naidoo ist auch Wehland durch Jury-Tätigkeiten in Castingshows einer großen Fernsehöffentlichkeit bekannt. Ihren auch weit in unpolitische Sphären der Gesellschaft reichenden Einfluss zu ignorieren, wäre falsch. Deshalb muss man berichten, bei allem Unmut darüber, zugleich als weitere Plattform für die giftigen Inhalte von "Marionetten" zu dienen.
Missbrauch betreiben vor allem Naidoo und seine Kollegen, indem sie ihre Popularität instrumentalisieren, um demagogische, verhetzende Inhalte massentauglich zu machen. Als Medien- und Entertainmentprofi, der seit 20 Jahren erfolgreich in Deutschland Musik macht und auftritt und es damit zu Wohlstand gebracht hat, weiß er genau, auf welche wunden Punkte er drücken muss, um maximale Aufmerksamkeit zu erhalten. Das Album der Söhne Mannheims, um die es zuletzt eher still geworden war, wird sich vor allem auch dank der Aufregung um Naidoo gut verkaufen. Von selbstloser Aufopferung und Gegenkultur kann bei so viel Marktkalkül keine Rede sein. Eher von zynischem Puppenspiel.
Aber gut: Man weiß jetzt unzweifelhaft, wo Xavier Naidoo steht - sehr tief im Wutbürger-Morast nämlich, wo Kampfbegriffe wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" gesellschaftszersetzend vor sich hin stinken. Ein tiefer Fall für einen christlichen Soulsänger, der sich einst für Liebe und Nächstenliebe engagierte, gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Man könnte diesen "Saviour" Naidoo gerade jetzt, angesichts von nationalistischem Getöse und Gewalt gegen Flüchtlinge gut gebrauchen. Er könnte sich mutig und öffentlichkeitswirksam für Versöhnung, Humanismus und Integration einsetzen. Stattdessen erntet er nun die Früchte dessen, was er über die letzten Jahre in zunehmender Wahnhaftigkeit gesät hat: Spaltung und Zerstörung.