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Münchener Kammerspiele: Gemischtwarenladen im Garten Eden

Foto: David Baltzer

Münchner Kammerspiele Gott ist nur ein bisschen tot

Im Garten Eden ist einiges schiefgelaufen - keine Frage. Doch wer ist eigentlich Schuld? Regisseurin Yael Ronen kämpft sich an den Münchner Kammerspielen tantig-harmlos und comedy-schnippisch durch die "Genesis".

Irgendwann sagt Gott einmal von seinen Geschöpfen, sie seien alle Idioten. Und man kann ihm das aus seiner Sicht durchaus nicht verübeln: Was haben sie nicht auch alles verbockt seit den ersten Tagen der Menschheit, die immer auf der Kippe zu deren letzten standen! Aber der Macher des Ganzen meint das gar nicht so böse, eher resigniert und auf jeden Fall ohne festen Glauben, dass sich an diesem Drang zum Untergang noch mal etwas ändern könnte. Jetzt geht es nur noch darum nachzufragen, wer eigentlich Schuld ist an dem Dilemma, das am Baum der Erkenntnis begann und bis in unsere Tage andauert, mit Vertriebenen, Entrechteten, Gequälten, Ermordeten...

Ganz einig sind sich da die Menschen und ihr Herr nicht. Gott auf der einen Seite fühlt sich missverstanden und scheint überhaupt ein ziemlich einsamer Tropf zu sein, dem es zwar nicht an Ideen fehlt, aber an der perfekten Ausarbeitung mangelt es. Und warum, bitte, hat er sich keine Partnerin erkoren, die ihm die einsamen Ewigkeitsstunden ein wenig verkürzt? Adam und Eva zumindest glauben, dass dies ein Grund dafür ist, dass so viel schief geht zwischen Himmel und Erde: Gott ist depressiv. Und zudem ein Aktenvernichter, der seine Fehler nicht eingestehen will.

Die Verantwortung suchen sie also naturgemäß erst einmal gar nicht bei sich selber, wenngleich sie wissen, dass sie manchmal schon über die Stränge geschlagen haben. Ob bei Masturbation oder Atheismus, ob mit Zweifeln an der Autorität oder mit ihrer dauernden Selbstherrlichkeit, wenn sie mal wieder schlauer als ihr Schöpfer sein wollten. Und dann jammern sie, vornehmlich darüber, dass sie nur einen Vater und nie eine Mutter gehabt haben, und sie zähneklappern, weil sie zu Ausgestoßenen mit Paradiesmigrationshintergrund geworden sind.

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Münchener Kammerspiele: Gemischtwarenladen im Garten Eden

Foto: David Baltzer

Freilich, für eine Umkehrung der "Genesis", so nenntYael Ronen ihre neue Arbeitmit dem Ensemble der Münchner Kammerspiele, ist es endgültig zu spät. Da mag die Erkenntnis "Der freie Wille ist an allem schuld" doch noch irgendwann bei den Menschen wie ein Groschen fallen und Gott ihnen verzweifelt nachrufen: "Ich wollte, dass ihr glücklich seid!" Die Zerstörung des Vollkommenen fand statt wie das Amen in der Kirche, zu der sich bei diesem heiteren Herätikertreffen längst auch niemand mehr hingezogen fühlt.

Von all dem und noch viel mehr wird uns erzählt in Ronens neuem Stück, dem sie den Untertitel "A starting point" gegeben hat, was soviel heißen soll: Die israelische Regisseurin, die ihre Arbeiten stets zusammen mit ihren Schauspielern entwickelt, fängt noch einmal ganz von vorne an, bei Adam und Eva - nicht nur sozusagen sondern wortwörtlich. Seltsam nur, dass sie sich jetzt auf den Anfang besinnt, hieß doch ihre erste Münchner Arbeit (über die Folgen eines Terroranschlags) ganz diametral und irgendwie final "A point of no return". Sollte da doch noch Zuversicht keimen? Kaum, denn am Ende sieht man Michelangelos schwebenden alten Bärtigen, wie er dem Adam eben nicht gönnerhaft die Hand reicht, sondern ihn keck aus der Szene schnippt - eine Um- und Wiederkehr, ein Zurück in paradiesische Zustände können sich er und seine Nachkommen abschminken.

Gemischtwarenladen im Garten Eden

Ronen lässt all das mitunter ganz amüsant erzählen und spielen, ohne verwirrenden geistigen Tiefgang und unter Vermeidung jeglicher blasphemischer Ausrutscher: Man einigt sich darauf, dass Gott nur ein bisschen tot ist. Die Regisseurin und ihre etwas untertourige Truppe bedienen sich ausführlich aus dem Gemischtwarenladen im Garten Eden, packen verstaubte Mythen aus zerknitterten Tüten, springen durch die biblische Geschichte und finden dabei nie so richtig den Anschluss an unsere Gegenwart. Was da geschrieben steht, nehmen sie plappernd auf die leichte Rippe.

Ein bisschen tantig harmlos (die fleischfarbenen Kostüme der Ur-Eltern sind putzig) und comedy-schnippisch gerät ihr der ganze Abend, der sich so gar nicht entscheiden kann, ob er nun eine Kritik der wahren Unvernunft, eine Empörung gegen den doch augenscheinlich unvollendeten Akt der Erschaffung einer perfekten Welt oder doch nur eine bunte Nabelschau der ersten Menschen sein soll, die, kaum waren sie verwiesen und eigenverantwortlich, an sich so schlimme Eigenschaften wie Gewaltbereitschaft oder Mängel wie Zellulitis entdeckten.

Gottvater (Samouil Stoyanov) kommt in träger Mauligkeit, verweint und verwienert wie ein Heurigen-Opfer daher; Wiebke Puls ist meist eine Eva als intellektuelle Kratzbürste; Damian Rebgetz ein beleidigter Adam, dessen Schwulen-Bekenntnis doch eigentlich die ganze Menschheitsgeschichte obsolet machen müsste; Daniel Lommatzsch ist eine Schlange ("Das Böse hat einen schlechten Ruf"), die gerne und lasziv züngelnd von gymnastischen Selbstbefriedigungsakten erzählt - lauter solch Karikaturen bevölkern hier eine Bühne (Wolfgang Menardi), die uns die Erde als Scheibe vorstellt, trickreich gespiegelt noch einmal und manchmal raffinert genützt als Kunstobjekt.

Nicht im Unfrieden von Gott scheiden

Da sieht man alten Gemälden nachempfundene lebende Bilder, Landschaften verformen und verflüchtigen sich, gehen unter wie Reiche von Menschenhand; Spermien formieren sich zu einem komischen Ballett und das Universum entwischt den zurückbleibenden Menschen schließlich wie ein Versprechen, von dem sie nichts gehalten haben. Dann liegen sie auf den Resten ihrer rotierenden Existenz und erzählen - ganz wie es bei Ronen üblich ist - von ihren sehr persönlichen Erfahrungen mit Gott und dem Vater und der Welt. Das ist anrührend.

Warum sie zum ergreifenden Ende dann aber auch noch "Knocking on heavens door" gefühlssatt wie einen Hoffnungsruf singen müssen (schön, das muss man zugeben)? Es scheint, als wollte man an diesem unentschlossenen Abend, an dem als Diversität-Maniküre auch mal eine schwarze Göttin erscheint, sicherheitshalber nicht ganz in Unfrieden scheiden vom Vater im Himmel oder sonstwo. Anklopfen kann man ja mal.

Das Ganze übrigens beginnt noch vor dem Eisernen mit einer veritablen Publikumsbeschimpfung, die aber in Bezug auf das folgende Stück weitgehend unerfindlich bleibt: Damian Rebgetz verkündet - wahr oder nicht? - in sprudelndem Englisch, dass er die Münchner Kammerspiele verlassen wird. Man habe ihn nicht wirklich gewollt hier, seine Zweideutigkeit nie akzeptiert, die Differenzen waren zu groß. Er hätte das Gefühl, sich eingemischt zu haben in dieses München und Bayern, das in seiner Selbstbezogenheit auf dem Standpunkt stand: "Der zerstört unsere Kultur." Natürlich bezieht sich diese Kapriole auf Matthias Lilienthal, der das Theater vorzeitig verlassen wird. Dem kann man zwar vieles nachsagen, aber was Gottgleiches nun wirklich nicht...

Für das Ensemble gab es großen Applaus, für Yael Ronen dagegen heftige Buhs.

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