Migrations-Theater In einem palästinensischen Dorf namens Neukölln

Lost in Translation: Die Darsteller des Maxim-Gorki-Theaters spielen "The Situation" auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch
Foto: Ute LangkafelWas kann das Theater tun in einer Zeit, in der die Wirklichkeit die größeren Tragödien schreibt als jeder Dramatiker? Es kann die Wirklichkeit auf die Bühne holen, literarisch verdichtet. Das Berliner Maxim-Gorki-Theater macht das wieder einmal vor.
Schon die Ausgangsthese des Abends ist bestechend: Der Nah-Ost-Konflikt hat Israelis, Palästinenser und Syrer einst auf größtmöglichem Abstand voneinander gehalten - und führt sie nun, fern ihrer Heimatländer, auf denkbar engem Raum zusammen.
Viele Israelis, darunter viele junge Kulturschaffende, sind in den vergangenen Jahren nach Berlin gezogen, leben dort Tür an Tür mit Palästinensern und Libanesen, die schon lange vor ihnen eingewandert sind. Hinzu kommen in diesen Tagen all die syrischen Flüchtlinge. Wie begegnen sie sich, wenn sie sich erstmals wirklich begegnen? Und, nicht weniger spannend: Wie begegnet die sogenannte Mehrheitsgesellschaft ihnen und ihrem Konflikt, ihren Kriegstraumata und Fluchterfahrungen?
Bissig und bitter
Die israelische Regisseurin Yael Ronen hat das Stück "The Situation" gemeinsam mit Schauspielern entwickelt, die selbst aus Israel, Palästina, Syrien und Kasachstan nach Berlin gekommen sind. Ihre Biografien und jene der Figuren, die sie spielen, sind zwar nicht identisch. Aber sie verschwimmen immer wieder.
So spielt der palästinensische Israeli Yousef Sweid, der einen gemeinsamen Sohn mit Ronen hat, einen palästinensischen Israeli namens Amir, der sich in Tel Aviv jahrelang nicht getraut hat, mit seinem Sohn Arabisch zu sprechen. Geändert habe sich das erst, so erzählt er, als er "in ein palästinensisches Dorf namens Neukölln" zog. Dort war er schnell mit einem ganz neuen Problem konfrontiert: In einem arabischen Café auf der Sonnenallee bestellte er auf Arabisch, und sein Sohn bestellte, wie er es gewohnt war - auf Hebräisch. "Der Kellner schaute mich an wie einen Juden, der Arabisch beim Mossad gelernt hat."
Anekdoten wie diese sind lose eingebunden in eine Rahmenhandlung: ein Neuköllner Deutschkurs, in dem die Figuren aufeinandertreffen. Sie radebrechen Deutsch, sprechen aber häufiger und besser Englisch, Arabisch und Hebräisch, weshalb das Stück komplett übertitelt ist. Das oft zitierte "postmigrantische" Theater der Gorki-Intendantin Shermin Langhoff ist an diesem Abend ein post-deutschsprachiges Theater.
Der Effekt: Alle sind ein wenig lost in translation, alle ringen um Verständigung, die Figuren, aber auch die Zuschauer.
Zu den besten Momenten gehören jene, in denen sich die Figuren zwischen den Sprachen verlieren - und dabei eine tiefere Wahrheit finden: Die Israelin Noa, gespielt von der Israelin Orit Nahmias, will den anderen weismachen, dass es kein Problem für sie sei, nun in Berlin zu leben, denn sie sei über den Holocaust hinweg. Sie sagt aber: "Ich bin über es." Und: "Es ist hinter mir", als ob der Gedanke sie verfolge. Und genauso ist es, wie sie bald einräumt: Sie denkt an den Holocaust in der vollen U-Bahn, unter der Dusche der Sauna, wenn sie Pyjama trägt und barfuß herumläuft. "Und natürlich denke ich an Massengräber, wenn ich eine Orgie sehe."
Es ist ein typischer Ronen-Moment: voller schwarzem Humor, bissig, aber auch ein bisschen bitter.
Das Säuseln des Sozialpädagogen
Der Kursleiter Stefan korrigiert die Sprachfehler der Figuren in säuselndem Sozialpädagogen-Ton: eine Parodie des empathischen Deutschen dieser Tage, der ganz berauscht ist von der eigenen Willkommenskultur - und dabei nicht merkt, wie übergriffig diese auch sein kann: "I want to integrate you!"
In aller Regel aber agiert Stefan übervorsichtig: Er weiß nicht umzugehen mit all den echten, harten, existenziellen Kriegs- und Krisenerfahrungen, die er bislang nur aus der Zeitung kannte. Er vermutet überall und nirgends Traumatisierungen und andere Empfindlichkeiten. Als er mal wieder nach den richtigen Worten tastet, in all seiner gutmenschelnden Verklemmtheit, springt ihm eine palästinensische Kursteilnehmerin bei: "Say it in English." Und schon klappt es.
An der Szene lässt sich ganz nebenbei ein Erfolgsrezept der Inszenierung ablesen: Die Dominanz der Fremdsprachen ermöglicht die unverfrorene Oberflächlichkeit, die nötig ist, um über die ganz großen Probleme zu sprechen und sich einander anzunähern.
Der ach so deutsche Kursleiter Stefan gesteht irgendwann, dass er mal Sergej hieß und in den Neunzigern als Kind eingewandert ist. "Ein Meisterwerk der Integration" nennt er sich selbst, bevor er in einem minutenlangen Monolog seine Geschichte erzählt und die seiner Eltern, die nicht ganz so gut ausgegangen ist: Sein Vater ist ein gebrochener Mann, der sich bis heute mehr vor dem Gang zu einer deutschen Behörde fürchtet als vor einer Begegnung mit der russischen Mafia. Gespielt wird Stefan von Dimitrij Schaad, der - natürlich - in Kasachstan geboren wurde.
An der Entwicklung seiner Rolle im Laufe des Abends lässt sich sehr gut ablesen, was Ronens Theater ausmacht: Es ist in einem Moment klamaukig - und im anderen klug. In einem Moment komisch - und im anderen kitschig. Ronens Inszenierungen bieten das vielleicht beste politische Kabarett, das es zurzeit in Deutschland zu sehen gibt, aber sie bieten noch mehr: Pathos.
Yael Ronen & Ensemble: "The Situation". Uraufführung von Yael Ronen am Maxim Gorki Theater Berlin . Nächste Vorstellungen 9. und 20. September, 8. und 16. Oktober. Karten unter Telefon 030/20221115.