
Fotostrecke: Yael Ronens "The Situation"
Yael Ronen "Ich muss jetzt mal ernst machen mit meiner Integration"

Die Theatermacherin Yael Ronen, Jahrgang 1976, geboren in Jerusalem, lebt in Tel Aviv und vor allem in Berlin. Bekannt geworden ist sie mit Stückentwicklungen, in denen die Schauspieler ihre eigene Biografie verarbeiten. So auch in ihrer aktuellen Produktion "The Situation" über junge Israelis, Palästinenser und Syrer, die den Nahostkonflikt spiegelt. Darin spielt der Schauspieler Yousef Sweid, mit dem Yael Ronen einen Sohn hat, einen palästinensischen Israeli (was er tatsächlich ist); sie selbst hat ihre Biografie einfließen lassen in die Figur der jungen Jüdin Noa (gespielt von Orit Nahmias). "The Situation" ist nach "Common Ground" 2015 Ronens zweite Einladung zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer "Stücken".
SPIEGEL ONLINE: Yael Ronen, mit ihrem Stück "The Situation" über den Nahostkonflikt sind Sie gleich zu zwei bedeutenden Festivals eingeladen: Bei den "Stücken" in Mülheim geht es um die besten neuen Theatertexte der Saison, beim Berliner Berliner "Theatertreffen" um die besten Inszenierungen. Bei welchem Festival fühlen Sie sich mit Ihrer Arbeit besser aufgehoben?
Yael Ronen: Uh, es ist, glaube ich, nicht meine Aufgabe, der Entscheidung dieser Jurys zu widersprechen. "The Situation" ist sicher ein politisch relevantes Stück, aber ich finde, es ist nicht meine beste Arbeit aus diesem Jahr. Aber das ist eine sehr subjektive Ansicht.
SPIEGEL ONLINE: Sie lassen in dem Stück Israelis, Palästinenser und Syrer - lauter auf unterschiedliche Art vom Nahostkonflikt-Betroffene - ausgerechnet in einem Berliner Deutschkurs aufeinanderprallen. Gesprochen wird meistens Englisch, Arabisch oder Hebräisch. Haben Sie davon gehört, dass das die Festival-Jurys in Schwierigkeiten gebracht hat, weil sie eigentlich nur "deutschsprachige" Produktionen auswählen sollen?
Ronen: Nein, das wusste ich nicht. Dass das Stück am Ende zu beiden Festivals eingeladen wurde, zeigt ja, dass es eine interne Diskussion war. Und "The Situation" hat einen deutschen Kontext, auch wenn darin wenig Deutsch gesprochen wird. Es spielt in Berlin, es ist eigentlich ein Berliner Stück. Es gehört definitiv hier in die Arena.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Stück scheint, wenn man das so sagen darf, auf den ersten Blick sehr kunstlos. Die Bühne wirkt vor allem zweckdienlich, die Sprache ist so direkt und realitätsnah wie die Figuren. Ist das Ihre Kunst: so zu tun, als sei es keine?
Ronen: "The Situation" ist, wie häufig bei mir, halbbiografisch, der Inhalt, die Ansichten dieser Leute waren in diesem Fall wichtiger als die Form. Einige der Darsteller sind keine Profischauspieler, das macht das Stück so roh und authentisch. Es geht hier nicht um Kunst.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie ein Projekt entwickeln, arbeiten Sie oft mit Darstellern, die persönlich in das Thema involviert sind. Welchen Vorteil hat das?
Ronen: Wenn man Glück hat, bekommt man unerwartete Ansichten. Man muss nicht seine eigenen Ansichten auf die Geschichten anderer projizieren. Etwa wenn Ayham Majid Agha, der im Stück Hamoudi heißt, auf der Bühne die Geschichte von seiner Flucht aus Syrien erzählt. Dass er nie nach Deutschland wollte. Er kam aus Versehen her und muss jetzt auch sozusagen aus Versehen hierbleiben. Das ist völlig verrückt. Und dass er gerne zurückgehen würde nach Syrien, war auch eine neue Erkenntnis für mich.
SPIEGEL ONLINE: Sie selbst arbeiten seit acht Jahren immer wieder in Deutschland und sind inzwischen Hausregisseurin am Gorki Theater. Sind Sie in Berlin angekommen?
Ronen: Mein nächstes Projekt, das im Herbst am Gorki rauskommt, heißt "Denial". Da geht es genau um dieses Thema: um Realitätsverweigerung, gesellschaftlich wie individuell. Ich glaube, ich bin in Berlin angekommen, aber ich weigere mich immer noch, das zu akzeptieren. Dass ich jetzt Englisch mit Ihnen rede, gehört auch zu dieser Geschichte. Ich bin dabei, zu begreifen, dass mein Leben hier stattfindet, und es in den nächsten Jahren wahrscheinlich auch dabei bleiben wird. Mein Kind sieht sich in erster Linie als deutsches Kind. Es sieht so aus, als sei ich angekommen, und ich muss jetzt mal ernst machen mit meiner Integration. Ich muss endlich auch so einen Deutschkurs machen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre größten Erfolge haben Sie mit Produktionen am Berliner Gorki Theater, das 2013 als "postmigrantisches Theater" neu gestartet ist und explizit anders sein wollte als die anderen Stadttheater. 2014 war das Gorki "Theater des Jahres", am Wochenende wird das Leitungsduo Shermin Langhoff und Jens Hillje mit dem renommierten Theaterpreis Berlin der Stiftung Preußische Seehandlung ausgezeichnet. Klingt verdammt nach Establishment. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Ronen: Die Auszeichnung kommt zu einem sensiblen Zeitpunkt. Als wir anfingen, waren wir so eine Art Underground. Dann wurden wir plötzlich von allen umarmt und geliebt. Natürlich müssen wir uns über die Akzeptanz freuen, aber danach kann man schnell süchtig werden, und das verträgt sich nicht so gut mit dem Gefühl, Underground zu sein. Weil man plötzlich Angst hat davor, zu scheitern oder abgelehnt zu werden. Man muss sich sehr darauf konzentrieren, anders zu bleiben, inhaltlich, aber auch in der Art, wie hier die Dinge geregelt werden. Diese andere Arbeitsatmosphäre zu erhalten, damit das hier keine Kunstfabrik wird. Ich will keine Angst vor dem Scheitern haben müssen.
SPIEGEL ONLINE: Woher kommt das, dass die Arbeitsatmosphäre am Gorki anders ist?
Ronen: Hier arbeiten einfach mehr Leute, die vorher zu den Underdogs in der Gesellschaft gehört haben, Menschen, die ganz besondere Geschichten mitbringen. Wir versuchen, die zu repräsentieren, die bisher zu wenig repräsentiert werden in der Gesellschaft und im Kunstbetrieb.
SPIEGEL ONLINE: Eine dieser Außenseiter-Geschichten erzählt der Schauspieler Dimitrij Schaad in einem langen Monolog als Deutschlehrer Stefan in "The Situation": Er berichtet, wie er in den Neunzigern aus Kasachstan nach Deutschland kam, und welche Schwierigkeiten seine Familie und er hatten, sich zu integrieren. Ist das auch autobiografisch?
Ronen: Ja, ziemlich. Dimitrij hat den Monolog selbst geschrieben. Wir reden gerade sehr viel über Flüchtlinge und Migranten in Deutschland, aber es gab auch in den Neunzigern viele Einwanderer. Dimitrij ist, wie er selbst sagt, ein "Meisterwerk der Integration". Seine Geschichte ist so interessant, weil sie zeigt, wie die Migration ihn geformt hat. Er ist sehr ehrgeizig, will immer exzellent sein. An ihm kann man sehen, wie die Position des Underdogs einen dazu motivieren kann, sich besonders für die Gesellschaft einzusetzen. Weil du etwas beweisen musst, was andere nicht beweisen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Man muss immer ein bisschen besser sein als die anderen, um das Gleiche zu bekommen.
Ronen: Genau. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man versteht, dass Einwanderung eine Gesellschaft nach vorn bringen kann. Die Migranten sind wie ein Motor. Eine Gesellschaft, der dieser Antrieb fehlt, läuft Gefahr, stumpf und unflexibel zu werden.
"The Situation" läuft im Rahmen der Berliner Festspiele am 13., 18. und 20. Mai um 19.30 Uhr am Maxim Gorki Theater.