YouTube-Protest in Saudi-Arabien Film prangert Armut im Staat der Millionäre an

Armut in Saudi-Arabien: Videoaktivist Feras Boqna zu Besuch in einem Armenviertel
Ein junger Mann steht in einer engen, schmutzigen Straße. In den heruntergekommen Mietshäusern wohnen Menschen wie Abu Mansour, der mit seiner 13-köpfigen Familie in einer winzigen Wohnung lebt. Die Familie würde nur einmal am Tag essen, sagt eine Stimme aus dem Off, meistens nur Brot.
An sich sind die Bilder in dem zehnminütigen Video nicht ungewöhnlich. Sie zeigen Armut und Verwahrlosung, wie man sie aus vielen Ländern kennt. Das Besondere daran ist, dass die Bilder in Saudi-Arabien entstanden sind, wo derartige Fotos und Videos bisher kaum an die Öffentlichkeit gelangten. Das Video, das am 10. Oktober auf YouTube geladen wurde und seit einigen Tagen auch mit englischen Untertiteln verfügbar ist, stammt von den drei saudi-arabischen Videoaktivisten Feras Boqna, Hussam al-Drewesh und Khaled al-Rasheed.
Es ist das insgesamt fünfte Video , das die drei seit Juli unter dem Namen "Mal3ob 3alena" auf YouTube veröffentlichten. Dieses letzte Video schien der saudi-arabischen Regierung nun zu viel: Die drei Filmemacher wurden kurz nach der Veröffentlichung festgenommen, wie der "Guardian" berichtete. Nach Angaben der britischen Zeitung sind Feras Boqna, Hussam al-Drewesh und Khaled al-Rasheed seit letzter Woche in Haft.
In ihren Videos sprechen die Filmaktivisten offen Probleme an, die ansonsten in Saudi-Arabien mit Tabus belegt sind, so wie die schlechten Straßenverhältnisse, dreckigen Strände und Preissteigerungen. Und jetzt also die Armut der Bevölkerung. Die Aufnahmen entstanden in Aljaradiyah, einem Viertel in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad, "nur fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt", wie Feras Boqna, der auch in den Videos auftritt, erzählt.
Die Mehrheit der Saudis kenne die Probleme, die der Film anspreche, sagte die "Saudi Civil and Political Rights Association" (ACPRA) gegenüber dem "Guardian". Der Regierung ist das Video allerdings ein Dorn im Auge. Erst vor einigen Monaten verschärfte das saudi-arabische Königreich, eine absolute Monarchie unter König Abdullah, seine Pressegesetze. Demnach sind alle Veröffentlichungen verboten, die sich gegen staatliche Interessen richten oder die öffentliche und staatliche Sicherheit gefährden. Es ist ein Gummiparagraf, mit dem die Regierung praktisch alle Meinungsäußerungen verbieten kann, die ihr nicht passen.
Der Videokanal YouTube, der in den USA sitzt und nicht an die saudi-arabischen Pressegesetze gebunden ist, wird also auch in diesem Teil der arabischen Welt zur Meinungsplattform. Ein heikles Unterfangen für Videoaktivisten: In autoritären Ländern wird immer wieder der Zugang zu YouTube von Behörden oder Providern gesperrt - zeitweise war die Video-Plattform unter anderem in Iran, Tunesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht zu erreichen. Und immer wieder werden dort YouTube-Regierungskritiker von den Behörden verfolgt - nun auch in Saudi-Arabien: Im Mai wurde bereits eine Frau verhaftet, weil sie ein Video von sich beim Fahren eines Autos veröffentlichte.
In dem Video der drei inhaftierten Filmemacher besucht Feras Boqna drei verarmte Familien in Aljaradiyah, und er spricht mit dem Imam, der von Drogendeals und Prostitution erzählt. Dazwischen sind Statistiken eingeblendet, etwa, dass 22 Prozent der saudi-arabischen Bevölkerung im Jahr 2009 arm waren. Woher die Zahlen stammen, bleibt jedoch offen. Es ist ein Amateurvideo, aber es spiegelt das Entsetzen über die Armut im eigenen Land, die niemanden zu interessieren scheint.
Am Ende des Films macht Feras Boqna Vorschläge, wie man die Situation der Armen verbessern könnte und bittet Hilfsorganisationen, die Armenviertel aufzusuchen. Es soll eine Web-Seite eingerichtet werden, um festzustellen, welche Stadtteile und Dörfer Hilfe brauchen.
Auf YouTube wurde die englische Version des Videos bisher über 30.000-mal gesehen, die Originalversion über 1.100.000-mal. Auch nach ihrer Verhaftung sind alle Videos der Filmemacher weiter online. Inzwischen gibt es eine Facebook-Gruppe, die sich für die Freilassung der drei Videoaktivisten einsetzt. Damit ist der Versuch der Regierung, das Thema Armut im Land totzuschweigen, fürs Erste missglückt.