"Zeitungszeugen" Bayern stellt Strafantrag wegen Nachdruck von Nazi-Zeitungen

Eskalation im NS-Zeitungsstreit: Weil die "Zeitungszeugen" weiter erscheinen, hat Bayern jetzt Strafantrag gestellt - das Land reklamiert die Urheberrechte von Nazi-Zeitungen für sich. Besonders pikant: Der neuen Ausgabe liegt ein Hitler-Plakat zum Herausnehmen bei.

München - Der britische Verleger Peter McGee ließ sich nicht beeindrucken: Obwohl ihm das bayerische Finanzministerium untersagt hatte , weitere Nachdrucke von Nazi-Zeitungen zu verbreiten, erschien an diesem Donnerstag die zweite Ausgabe seiner "Zeitungszeugen". Darin lässt er für den deutschen Markt Zeitungen der Jahre 1933 bis 1945 im Original nachdrucken - Nazi-Presse und gegnerische Blätter, zum Herausnehmen. Drumherum ein Einband mit Experteneinschätzungen.

Das Problem: Der Freistaat Bayern reklamiert die Urheberrechte für braune Blätter wie "Völkischer Beobachter" oder "Angriff" für sich, da die Alliierten den Bayern nach 1945 die Rechte aller einst im Münchner Eher-Verlag erschienen Produkte überantworteten. Darunter auch Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf". Bayerns Finanzministerium verwaltet diese Rechte.

Die neueste "Zeitungszeugen"-Ausgabe beschäftigt sich nun mit dem Brand des Reichstags. Es liegen Nachdrucke des sozialdemokratischen "Vorwärts", der liberalen "Vossischen Zeitung" sowie des NSDAP-Blatts "Völkischer Beobachter" bei. Letzterer titelt am 1. März 1933: "Das Maß ist voll! Jetzt wird rücksichtslos durchgegriffen." Den Kommentar schreibt Nazi-Chefpropagandist Joseph Goebbels.

Links daneben ein Hakenkreuz

Im Heft findet sich zudem noch ein Supplement: Der Nachdruck jenes Plakats, das die Nazis in der Nacht des Brands verbreiteten. "Der Reichstag in Flammen! Von Kommunisten in Brand gesteckt!", heißt es in großen Lettern auf DIN-A3. Es ist eine Aufforderung, bei den anstehenden Reichstagswahlen am 5. März Hitler zu wählen: "Zerstampft den Kommunismus! Zerschmettert die Sozialdemokratie! Wählt Hitler." Links daneben ein Hakenkreuz.

Bayerns Finanzministerium erklärte nach Erscheinen der aktuellen "Zeitungszeugen", man werde "auf die Veröffentlichung des nationalsozialistischen Kampfblatts 'Völkischer Beobachter' mit rechtlichen Schritten reagieren". So werde Strafantrag gestellt, "unter anderem wegen Verletzung urheberrechtlicher Vorschriften". Außerdem werde gegen McGees Verlag zivilrechtlich vorgegangen, "um künftige Nachdrucke der NS-Hetzpresse zu verhindern".

McGee hatte allerdings bereits in der vergangenen Woche die rechtlichen Ansprüche Bayerns zurückgewiesen: "Entgegen den Behauptungen des bayerischen Finanzministeriums ist völlig unklar, ob dem Freistaat die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den NS-Blättern 'Angriff' oder dem 'Völkischen Beobachter' jemals zugestanden haben."

Und selbst wenn, dann bleibe "fraglich, ob diese Rechte 70 Jahre nach der Veröffentlichung überhaupt noch in Bayern liegen". In Deutschland erlischt das Urheberrecht allgemein 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. "Zeitungzeugen"-Chefredakteurin Sandra Paweronschitz sprach von einem "Angriff auf die Pressefreiheit".

Bayerns Finanzministerium dagegen beharrt auf dem Rechtsstandpunkt, dass das ehemalige Vermögen von Hitler und dem Eher-Verlag "aufgrund besatzungsrechtlicher Vorschriften" auf den Freistaat übergegangen sei. Und weiter: "Mit der Übertragung dieser Rechte wurde auch die Verantwortung, die Wiederverbreitung nationalsozialistischer Propaganda durch die Wahrnehmung seiner rechtlichen Position zu unterbinden, in die Hände des Freistaats Bayern gelegt."

Komplettnachdrucke enthalten nach Ansicht des Ministeriums eine nicht akzeptable Missbrauchsgefahr. Einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung stehe das Finanzministerium allerdings immer offen gegenüber: "Hierfür ist allerdings erforderlich, dass die Verantwortlichen vorab mit dem Freistaat Bayern als Rechteinhaber Kontakt aufnehmen und die Rahmenbedingungen abklären."

Dies aber wurde - zur Verärgerung der Bayern - offenbar bewusst unterlassen. Chefredakteurin Paweronschitz sagte vor wenigen Tagen zu SPIEGEL ONLINE, dass sie mit dem Verbot gerechnet habe. Da man aber nicht die Meinung des Finanzministeriums in Sachen Urheberrecht teile, habe man es auch nicht vorab kontaktiert.

Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

Der Strafantrag des Ministeriums war am späten Donnerstagnachmittag noch nicht bei der zuständigen Münchner Staatsanwaltschaft I eingegangen, erklärte deren Sprecher, Oberstaatsanwalt Anton Winkler gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Allerdings habe man die "Zeitungszeugen" bereits im Haus vorliegen und werde den Sachverhalt prüfen. Beachtet werde dabei auch das beiliegende Hitler-Plakat mit Hakenkreuz. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Allerdings gilt dies nicht, wenn das Zeichen Kunst, Wissenschaft oder Forschung dient.

"Zeitungszeugen" selbst verwies in den vergangenen Tagen stets auf die historische Einordnung der Original-Nachdrucke durch "Koryphäen ihres Fachs", so Chefredakteurin Paweronschitz. So schreiben etwa in der aktuellen Ausgabe der Historiker Hans Mommsen über den Reichstagsbrand und die frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel, über den Beginn des NS-Staatsterrors.

Beide gehören auch dem "Wissenschaftlichen Beirat" der Zeitung an, der vor wenigen Tagen ein Memorandum veröffentlichte. Darin appellierten sie an Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU), die Verbotsverfügung zu überdenken: "Nur Aufklärung schafft Erkenntnis und dies ist das Ziel des bereits in acht anderen europäischen Ländern erfolgreichen Projekts Zeitungszeugen."

Im Beirat sitzt auch Frank Bajohr, Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. Die "bayerische Giftschrank-Position" umgebe die NS-Presseerzeugnisse mit einer Aura, die diese gar nicht hätten, so Bajohr zu SPIEGEL ONLINE: "Durch nichts widerlegt sich der Nationalsozialismus mehr als durch den Nationalsozialismus selbst." Deshalb unterstütze er die Idee der Nachdrucke.

Für Neonazis sei die ganze Sache "nicht attraktiv", die könnten sich auch bisher schon alles im Internet herunterladen: "Ich glaube nicht, dass dieses Projekt Gefahr läuft, den Neonazis in die Hände zu spielen", so Bajohr.

Im Nazi-Blog "Altermedia" im Internet werden die "Zeitungszeugen" bereits rege diskutiert. Das Verbot zeige "nur mal wieder, was für eine winselnde Angst dieses jämmerliche System vor den Schriften unserer Ahnen hat", heißt es da. Diskutant "BdU" freut sich über "die Angst der Systemvertreter vor der Möglichkeit, die NS-Presse unzensiert und im Original zu lesen". Und "Meinungsmacher" sagt, er werde "nur die alten Zeitungsartikel lesen und die Einbandseiten Frau Knobloch schicken". Er lasse sich "nicht von vermeintlichen Geschichtsforschern beeinflussen".

Nicht alle Historiker unterstützen das "Zeitungszeugen"-Projekt - trotz gleichzeitiger Kritik an der bayerischen Haltung. Udo Wengst, der stellvertretende Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ), hat eigene Erfahrungen mit Bayerns Finanzministerium gemacht. Vor ein paar Jahren wollte sich das IfZ daran beteiligen, die Ausgaben des "Völkischen Beobachters" komplett zu digitalisieren und sie so dem wissenschaftlichen Publikum zugänglich zu machen. Doch die Regierung untersagte dies.

Wengst zu SPIEGEL ONLINE: "Das Finanzministerium verhält sich gegenüber Veröffentlichungen von NS-Dokumenten sehr restriktiv." Er halte dies "für ausgesprochen problematisch, wenn es um wissenschaftliche Editionen geht". Aber er sehe es kritisch, "wenn man NS-Zeitungen für ein breites Publikum nachdruckt. Und ein Hitler-Plakat als Beilage dient sicherlich - wenn der historische Kontext fehlt - nicht der politischen Aufklärung."

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