Zu viele Fremdwörter Keiner versteht die "Tagesschau"

Sind die Nachrichten zu kompliziert für den Normalbürger? Eine neue Umfrage hat ergeben, dass manche alltägliche Fachbegriffe in der "Tagesschau", darunter "Tarifautonomie" oder "Koalitionsfreiheit", von nahezu keinem Zuschauer verstanden werden.

Hamburg - Laut einer heute veröffentlichten Umfrage der Programmzeitschrift "TV Digital" wissen 100 Prozent der Befragten nicht, was Begriffe wie "Schutzschrift" oder "Vorteilsabschöpfung" bedeuten. Auch "Koalitionsfreiheit" (99 Prozent), "Pflegestützpunkte" (98 Prozent) oder "Basta-Politik" (90 Prozent) seien weitgehend unbekannt, berichtete die Zeitschrift. Selbst beim in den vergangenen Wochen dank Bahn-Streik topaktuellen Begriff "Tarifautonomie" mussten 89 Prozent passen.

Bei der TNS-Emnid-Umfrage wurden vom 1. bis zum 7. Oktober 1002 Personen befragt. Je sechs Begriffe aus Sendungen der ARD-Nachrichtensendung wurden ihnen vorgelegt. Zwar hätten bis zu 76 Prozent der Befragten angegeben, den einen oder anderen Begriff zu kennen. Die große Mehrheit sei aber bei dem Versuch gescheitert, diesen zu erklären. Manche der Befragten verstehen etwa unter "Vorteilsabschöpfung" "etwas Neumodisches", "Vorteilsaktien" oder das "Insider-Wissen von Bankern". In Wirklichkeit geht es um einen illegal erlangten finanziellen Vorteil.

Der für die "Tagesschau" zuständige Chefredakteur von ARD-aktuell, Kai Gniffke, gab gegenüber der Zeitschrift zu, das Wort "Vorteilsabschöpfung" sei hässlich. Er würde eher "illegal erworbener Gewinn" sagen. Zugleich ging er in die Defensive: "Gelegentlich gibt es bei uns starken Zeitdruck. Es würde die 15-minütige 'Tagesschau' überfordern, wenn sie sich wie die Volkshochschule der Nation aufführte", sagte Gniffke. "Wir müssen die Bedeutung schwieriger Begriffe wie 'Bundesrat' nicht täglich neu erklären."

Das Problem der komplizierten TV-Nachrichten tauchte schon im Sommer vergangenen Jahres auf, als der damals neue ARD-Chefredakteur Thomas Baumann einer damals aktuellen Studie entnahm, dass 88 Prozent der durchschnittlich rund zehn Millionen "Tagesschau"-Zuschauer kaum noch etwas von den komplexen Nachrichten verstanden. Baumann forderte mehr Grafiken, mehr Erklärstücke.

Die Kritik zeigte Wirkung. "Tagesschau"-Chef Gniffke sagte damals zur Berliner Zeitung "B.Z.": "Anstatt Bundestags-Debatten über die Gesundheitsreform zu zeigen, werden wir beispielsweise die Reform eingehend erläutern, danach werden wir die Statements der Politiker senden." Ein "gewisses Grundverständnis" über politische Vorgänge wollte Gniffke allerdings schon vor Jahresfrist voraussetzen.

bor/ddp

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