Zum Tod von Evelyn Hamann Die wunderbar Verschrobene
Erst wollte er sie gar nicht: Sie war ihm nicht dick genug, und ihre Haarfarbe war auch die falsche. Blond hätte sie sein sollen und pummelig - so hatte Vicco von Bülow alias Loriot sich seine ideale Sketchpartnerin vorgestellt. Und weil sie das alles nicht war, offerierte ihr der Komiker, sie möge doch auf Kosten der Produktion so lange Schweinshaxen essen, bis sie etwas fülliger werde.
Evelyn Hamann verzichtete auf die Völlerei, das Engagement ihres Lebens bekam sie trotzdem: Von 1976 bis 1979 spielte sie in der ARD-Serie "Loriot I-VI" jene Rollen, die das deutsche Fernsehpublikum bis zuletzt mit ihr verbinden sollte.
Da war die Haus- und Ehefrau Hoppenstedt, die mit sturem Willen zur Weihnachtlichkeit den Heiligabend zu organisieren versucht: "Und jetzt machen wir es uns gemütlich". Oder die sich mit einem Staubsaugervertreter der Firma "Heinzelmann" langsam dem Weinrausch hingibt und schließlich kichernd auf dem Sofa deklamiert: "Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann." Und natürlich die Sache mit dem Jodeldiplom, einem Zertifikat des Pseudoausbruchs aus dem Hausfrauendasein - damit frau "was eigenes" hat.
Frauen mit unterschwelligem Hang zur Anarchie
Hamann verkörperte für Loriot überwiegend solche brav-biederen Hausfrauen und Gattinnen, die der Aufbruchsgeist der Sechziger und Siebziger irgendwie gestreift hatte und die versuchten, sich über symbolische Ersatzhandlungen als progressiv zu geben, ohne dabei freilich die Fundamente der kleinbürgerlichen Traditionsbestände zu attackieren. So wurde sie zur weiblichen Hauptperson in Loriots feingezeichneten Sittengemälden bundesdeutscher Spießigkeit.
Hamann schenkte diesen Frauenfiguren eine wunderbar leichte Verschrobenheit und stattete sie mit einem unterschwelligen Hang zur Anarchie aus. Die blieb allerdings stets domestiziert; es lauerte und brodelte unter der wohlpolierten Oberfläche, jederzeit drohte die Eruption - aber es kam dann doch nie dazu.
Lange Zeit musste Evelyn Hamann fürchten, für immer in der Loriot-Ecke abgestellt zu bleiben, zumal sie auch in den beiden Loriot-Kinofilmen "Ödipussi" (1988) und "Pappa ante Portas" (1991) die Zusammenarbeit mit dem Humoristen fortsetzte. Dennoch: Ein erster Ausbruch war ihr bereits mit der herben Rolle der Haushälterin Carsta Michaelis gelungen. An der Seite von Prof. Brinkmann (Klaus-Jürgen Wussow), dem Chefarzt der "Schwarzwaldklinik", avancierte sie Mitte der Achtziger zum Liebling des Massenpublikums, nachdem sie zuvor nur Freunde des feinsinnigen Loriot-Humors verehrt hatten. Später kamen Rollen im "Traumschiff" oder im "Tatort" dazu, zumindest teilweise ernste Parts, mit denen sie ihren Ruf als Charakterdarstellerin untermauerte.
"Genial komisch"
Einen letzten großen Erfolg feierte Hamann mit der ARD-Serie "Adelheid und ihre Mörder". Als forsche Polizeisekretärin trumpfte sie gegen ihre männlichen Vorgesetzten auf und löste jene Fälle, an denen ihr Kommissar wegen seines grotesk übersteigerten männlichen Selbstbewusstseins regelmäßig scheiterte.
Mit der Rolle der Adelheid entwickelte Hamann ihre Loriot-Rollen weiter; wieder war sie eine Frau, die sich - ganz ohne feministischen Eifer - in einer stets absurd gezeichneten Männerwelt zu behaupten versuchte. Nur war diese Frau nicht mehr in der Hausfrauenseligkeit der Siebziger gefangen, sondern geschieden und in jeder Hinsicht gestanden - wenn auch keine erfolgreiche Karrieristin.
In der Entwicklung von Loriots Biederfrauen zur forschen Adelheid spiegelte Hamann das Schicksal einer ganzen Frauengeneration: Zusehends unabhängiger werdend, aber nach wie vor von den Mustern konventioneller Rollenteilung gegängelt und eingeschränkt.
Hamann spielte ihre Rollen immer augenzwinkernd, auch vor der Überzeichnung schreckte sie nicht zurück. Dabei wollte sie sich über ihre Figuren nie lustig machen, denn sonst, so ihre Befürchtung, werde es bloßer "Klamauk". Sie war bekannt für die Präzision, mit der sie ihre Rollen einstudierte; an jedem Kopfnicken, an jedem erfrorenen Lächeln feilte sie mit kompromissloser Hartnäckigkeit.
Über ihre Methode gab sie öffentlich keine Auskunft, überhaupt verweigerte sie sich den Medien mit einer Konsequenz wie nur wenige TV-Prominente. In den wenigen Interviews, die sie gab, äußerte sie sich zusehends ungern über Loriot - wie auch der sich über Hamann ausschwieg.
Auch ihr Privatleben schützte sie vor der Öffentlichkeit: Hamann war kurzzeitig verheiratet, lebte dann alleinstehend im Hamburger Nobelstadtteil Harvestehude. Sie hielt sich Katzen, hörte Wagner, las viel und malte, spielte Klavier.
Im Sommer dieses Jahres feierte sie ihren 65. Geburtstag. An einem geheimen Ort im Ausland - wie ihr Management damals verlauten ließ. Dort wolle sie bis zum Ende des Jahres eine Auszeit nehmen.
Sie kehrt nun leider nicht mehr zurück. Evelyn Hamann verstarb im Alter von 65 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. Ihr Humor, ihre Kunst aber bleiben uns erhalten.