Zum Tode Jürgen Goschs Der lächelnde Gewinner
Eine Art Mahatma Gandhi des deutschen Theaters möchten nun viele seiner Bewunderer in ihm sehen; jetzt, wo der sanfte, weise, oft merkwürdig lächelnde Regisseur Jürgen Gosch gestorben ist.
Dabei packte den Künstler, der seine Schauspieler oft aufs Heiterste herumtoben ließ, als sei das Theater eine riesengroße Kinderzimmer-Spielecke, gar nicht so selten ein mächtiger Zorn. In finsteren Momenten, sagte Gosch vor ein paar Jahren, verwünsche er sein Publikum als "Drecksverein" und seine Schauspieler als "Verbrechergilde".
Jürgen Gosch, 1943 in Cottbus geboren, war ein widersprüchlicher, eigensinniger, sich selbst und seine Umwelt beharrlich und skeptisch beobachtender Mann - und ist doch gerade in den letzten Monaten, als seine Krebserkrankung ihm das Arbeiten schwer machte, gerühmt und gefeiert worden als der große Lässige unter den deutschen Theaterregisseuren.
Ein paar der größten Bühnenhits der jüngeren Vergangenheit sind ihm mit blendender, umwerfend lustiger Entertainmentkunst gelungen, mit sozusagen klassischen Ehedramen. Er hetzte in Berlin Ulrich Matthes und Corinna Harfouch in "Wer hat Angst vor Virginie Woolf?" aufeinander und in Zürich Michael Maertens und Corinna Kirchhoff in Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels"; beide Aufführungen wurden auf zahlreichen Gastspielreisen triumphal bejubelt.
In Tschechows "Möwe" und noch mehr in dessen "Onkel Wanja", die beide im Berliner Deutschen Theater laufen, kann man zwei heitere, zugleich aber zutiefst trostlose, viele Zuschauer zu Tränen rührende Vergeblichkeitskomödien bestaunen, die Gosch scheinbar ohne jede Anstrengung auf die Bühnenbretter gezaubert hat. Sämtliche Schauspieler kauern und sitzen da während der ganzen Aufführung am Rand oder auf der Rückwand der Bühne, auch wenn sie gerade nichts zu sagen oder zu spielen haben.
Dann schlurfen oder hüpfen sie herbei, wenn ihr Einsatz naht, und stürzen sich ins Getümmel. Diese Daueranwesenheit der Akteure als Zeichen der Schlichtheit und der Offenlegung ihrer Ausdrucksmittel hat Gosch in seinen späten Inszenierungen zum Prinzip gemacht. Und er schuf daraus oft eine Intensität, wie man sie im abgebrühten deutschsprachigen Theaterbetrieb nicht mehr kannte.
So wurde Gosch paradoxerweise zu einem konservativen Erneuerer des Theaters: indem er eine Rückbesinnung auf die Schauspielkunst anstieß und nebenbei eine Abkehr von einer Sorte Konzepttheater, die ihn selber einst zu einem erfolgreichen Regisseur erst in der DDR, dann in der Bundesrepublik gemacht hatte. Gosch fing als Schauspieler an, studierte von 1961 an in der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und ließ sich ans in der DDR damals als aufmüpfig berüchtigte Theater nach Parchim engagieren.
Was er entdeckte, war schiere Vergnügungssucht
1967 führte er dann in Potsdam zum ersten Mal Regie, in Brechts "Die Gewehre der Frau Carrar". Der Regisseur Fritz Marquardt erkannte Goschs Talent und holte ihn an die Berliner Volksbühne, wo er 1978 mit einer Inszenierung von Büchners "Leonce und Lena" für bald legendären Rummel sorgte: Auf der Bühne wurden wiederholt rund ein Dutzend Türen zugeschlagen, Symbol für das Eingeschlossensein von Leonce und Lena, und für die Situation der DDR-Bürger natürlich auch.
Nach dem Verbot der Aufführung zog Jürgen Gosch in den Westen Deutschlands, inszenierte in Hannover, Bremen und Hamburg und galt bald als strenger, ein bisschen humorloser Zuchtmeister mit einer Vorliebe für Kleist und Shakespeare, Gorki und Molière. 1988 legte er dann als neuer, inmitten einer langen Krise bestellter künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne eine üble Bruchlandung hin: Sein griesgrämig-grauer "Macbeth" wurde von der Kritik verrissen, er selber von den zur Mitbestimmung befugten Künstlern des Hauses abgesetzt. Gosch zog sich zurück, "regelrecht beschämt" habe er nach einem Neuanfang gesucht, berichtete er später.
Was er entdeckte, war nach eigener Auskunft schiere "Vergnügungssucht". Der Schauspieler Ulrich Matthes sprach kürzlich in einem Interview aus Anlass des diesjährigen Berliner Theatertreffens (bei dem Gosch gleich mit zwei Inszenierungen eingeladen war) von der Gabe des Regisseurs, zum "reinen, konzeptionsunbelasteten Spiel" anzuspornen.
Nackt und mit roter Farbe spritzend
Statt seine Schauspieler weiter auf eigene Ideen abzurichten, gab Gosch nun den Animator, trieb sie, "auszuprobieren, wie weit man gehen kann", predigte als einziges Prinzip das von Trial and Error. Die Freiheit und die Kraft seines Theaters bewies unter anderem ein "Macbeth" in Düsseldorf im Jahr 2005, in dem fast alle Schauspieler nackt und mit roter Farbe spritzend auf der Bühne agierten: eine monströse, packende, nebenher auch brutal lustige Schlacht der Leiber und der Blutpampe, die für allerhand Skandalgeschrei sorgte.
Spätestens mit und seit diesem "Macbeth" aber schien es so, als habe eine eigentümliche Versöhnung stattgefunden zwischen der Kritik und dem Regisseur Gosch, ja in der gesamten, sonst so missgünstigen Theaterwelt. Auf eine sehr schöne Weise wurde der Menschenerkunder Gosch von Kollegen und Schauspielern und vielen Zuschauern respektiert, viele himmelten ihn geradezu an als einen klugen, tapferen Mann. Als einen, der gekämpft, viel durchlitten und manches falsch gemacht hatte, aber am Ende mit seiner Kunst einer Menge Leuten das Hirn durchpustete und noch viel mehr Menschen Glück bescherte.
Am Ende seines Kampfes stand Jürgen Gosch als Gewinner da. Ein bisschen wie Mahatma Gandhi, der die Regeln dieses Kampfes mal so zusammengefasst hat: "Zuerst ignorieren sie dich. Dann lachen sie über dich. Dann bekämpfen sie dich. Und dann gewinnst du."