Umgang mit Raubkunst Von "kolonialem Vergessen" befallen

Das Humboldt Forum plant eine Ausstellung von Benin-Bronzen. Ist das der richtige Umgang mit Kulturgütern aus früheren Kolonien? Bénédicte Savoy und Felwine Sarr plädieren in ihrem Bericht für eine komplette Restitution.
Benin-Bronzen: ein ganzes "Aneignungs- und Entfremdungssystem"

Benin-Bronzen: ein ganzes "Aneignungs- und Entfremdungssystem"

Foto: Daniel Bockwoldt/ DPA

Darf Raubkunst aus früheren Kolonien in ein deutsches Museum? Wenige Monate vor seiner Eröffnung stießen Pläne des Berliner Humboldt Forums auf Kritik: Anfang Mai gab es erneut Diskussionen zur geplanten Ausstellung von Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria. Die Objekte sollen während des Kolonialismus durch Plünderzüge nach Europa gebracht worden sein. Wie also damit umgehen? Die einen plädierten für Austausch: Eine Dialog-Gruppe mit Beteiligten des Ethnologischen Museums arbeitete mit Kollegen aus Benin City an einem Zirkulationsmodell. Nicht genug, fanden andere: Ein stiftungsfinanziertes Forschungsprojekt soll nun die genauere Herkunft der Benin-Bronzen  klären. Das Ziel: Rückgabe.

Die Diskussion scheint sich in Deutschland nach mehreren Monaten zugespitzt zu haben: In Frankreich hatte Präsident Emmanuel Macron schon im November 2018 die Rückführung von Benin-Bronzen angekündigt. Auslöser war ein Bericht der Wissenschaftler Felwine Sarr und Bénédicte Savoy . Im Auftrag von Macron hatten sich beide mit der Frage beschäftigt, wie Frankreich afrikanische Kulturgüter an die Herkunftsländer zurückgeben könnte. Im November 2018 legten Savoy und Sarr ihren Bericht vor. Die Empfehlung: "dauerhafte Restitution".

In gekürzter Fassung ist der Text nun in deutscher Übersetzung erschienen: Der Bericht nimmt nicht nur Bezug auf Frankreich. Er liest sich als Offenlegung eines ganzen "Aneignungs- und Entfremdungssystems", das im Kolonialismus zu einer Kapitalisierung und Neuverteilung von Kunstgütern europaweit geführt habe. Die Geschichte der afrikanischen Sammlungen sei "europäische Geschichte" - und damit auch die des Humboldt Forums.

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Sarr, Felwine, Savoy, Bénédicte

Zurückgeben: Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter (punctum)

Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Seitenzahl: 224
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30.05.2023 00.14 Uhr

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Geplant ist im neuen Berliner Stadtschloss eine Dauerausstellung mit Objekten aus dem Berliner Ethnologischen Museum und dem Museum für asiatische Kunst. Zur Sammlung des Humboldt Forums gehören laut Savoy und Sarr allein insgesamt 75.000 afrikanische Objekte. Zum Vergleich: Im französischen Museum für außereuropäische Kunst, dem Pariser Musée du quai Branly, sind es 70.000. Im British Museum rund 69.000.

Zu den geplanten Ausstellungsstücken im Humboldt Forum zählen neben den Benin-Bronzen aus dem heutigen Nigeria etwa auch Figuren der Mangaaka. Sie stammen aus dem heutigen Kongo oder Angola, beide frühere Kolonien. Die genauere Herkunft ist auch hier unbekannt.

Pikant ist das Erscheinen der deutschen Übersetzung auch, wenn man sich den Planungsprozess des Humboldt Forums ansieht: Bénédicte Savoy ist Kunsthistorikerin an der Berliner Technischen Universität (lesen Sie hier  ein Interview mit ihr). Sie war bis 2017 zusammen mit acht anderen Kunst- und Kulturhistorikern als Beiratsmitglied an der fachlichen Beratung des Humboldt Forums beteiligt. Savoy kritisierte mangelnde Provenienzforschung im Humboldt Forum, Sammlung und Wissenschaft würden nicht eng genug zusammenarbeiten. Schon der Begriff "Preußischer Kulturbesitz" sei "vollkommen widersinnig". Aus Protest verließ sie das Gremium. 

Felwine Sarr und Bénédicte Savoy: über Macrons Appell hinaus

Felwine Sarr und Bénédicte Savoy: über Macrons Appell hinaus

Foto: David Außerhofer; Antoine Tempé/ Matthes & Seitz

Der Bericht fordert "die Anerkennung der Illegitimität des Eigentums". Er geht sogar noch über Macrons Appell hinaus. In seinem Auftragsschreiben bekannte sich der französische Präsident zu "entschlossenem Handeln zugunsten der Zirkulation der Werke". Savoy und Felwine dagegen empfehlen "die endgültige und bedingungslose Rückgabe von Objekten aus dem Kulturerbe an den afrikanischen Kontinent". Damit wären sowohl Zirkulation als auch Dauerleihgaben von Kulturgütern an ihre Herkunftsgebiete als langfristige Lösung ausgeschlossen. Zirkulation sei ein Weg "dem Begriff der Restitution verbundenen moralischen Last aus dem Weg zu gehen". An einzelnen Stellen sprechen Savoy und Sarr auch explizit vom Humboldt Forum. Die Gestalter seien scheinbar von einem "kolonialen Vergessen" befallen gewesen.

Anstrengungen zur Restitution von Kulturgütern gibt es in Berlin durchaus: 2017 beschloss die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beispielsweise, neun Objekte aus der Sammlung des Ethnologischen Museums an Alaska zurückzugeben. Es handelt sich in erster Linie um Grabbeigaben aus Chenega Island: zerbrochene Masken, eine Kinderwiege, ein Holz-Idol. Die Auseinandersetzung "endet nicht mit der Frage der Restitution" heißt es dort.  Dazu gehöre "gemeinsame Aufarbeitung". Zuletzt gab auch das Deutsche Historische Museum in Berlin die Kreuzkapsäule an Namibia zurück.

Zum genaueren Vorgehen mit den Benin-Bronzen hält sich das Humboldt Forum noch bedeckt. Und das Forschungsprojekt, das die genaue Herkunft der Bronzen klären soll, ist auf drei Jahre angesetzt.

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