MEDIZIN Gestörter Takt
Mit gutem Appetit begann der Arzt zu verzehren, was er sich bestellt hatte: gegrilltes Filetsteak mit Champignons. Doch plötzlich sackte er über seinem Mahl zusammen.
Ein zufällig im Restaurant anwesender Kollege untersuchte den ohnmächtigen Esser und verkündete: »Sein Puls hat ausgesetzt.« Minuten später, in einem nahe gelegenen Krankenhaus, wurde die Gefahr gebannt: Die Mediziner stellten fest, daß der künstliche Herzschrittmacher im Brustkorb des 68jährigen versagt hatte. Die Ärzte reparierten den elektronischen Impulsgeber.
Der Fall, beschrieben in einem Leserbrief an das US-Ärzteblatt »Journal of the American Medical Association«, war der erste Hinweis auf eine neue Art der Umweltverschmutzung: mit elektromagnetischen Wellen. Ähnlich wie etwa Flugzeugpiloten beim Instrumentenflug durch Mikrowellensender gefährdet sind, die eigentlich nur Garagentore öffnen sollen, so droht offenbar nun auch Patienten mit Herzschrittmachern Gefahr, wenn sie bestimmten elektronischen Störquellen zu nahe kommen.
Im Falle des Filetsteak-Patienten konnte die Störquelle, die das Aggregat in seiner Brust gestoppt hatte, bald ausfindig gemacht werden: In der Nähe des Tisches, an dem der Herzkranke gesessen hatte, stand -- neueste Errungenschaft amerikanischer Garküchen -- ein sogenannter Radar- oder Mikrowellenherd.
Schrittmacher-Spezialisten am Presbyterian-St. Luke's Hospital in Chicago machten die Probe aufs Exempel. In der Klinik-Kantine karrten sie den Patienten, der zur Überwachung an einen EKG-Schreiber angeschlossen wurde, auf einem Rollstuhl wenige Meter an einen Mikrowellenherd heran. Als abermals Anzeichen für eine Ohnmacht registriert wurden, »rollten wir ihn rasch von dem Herd weg«, berichteten die Mediziner.
Inzwischen hat die US-Bundesgesundheitsbehörde in einem Rundschreibben an 10 000 amerikanische Klinik Chefs auf die neuentdeckte Gefahren quelle für »alle jene Patienten ... die von einem Herzschrittmacher abhängig sind«, hingewiesen.
Dabei sind Mikrowellenherde zwar die häufigste, aber nicht die einzige Störquelle -- wie eine umfassende Un-
* Vor der Waffenkontrolle auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof.
tersuchung zweier amerikanischer Elektronik-Mediziner jüngst ergab. Als mögliche Auslöser für Störungen des künstlichen Pulsgebers wurden beispielsweise ermittelt: Auto-Einspritzmotoren, Rasierapparate, Motorräder, Elektromixer sowie Rundfunk-, Fern seh- und Radarstationen, aber auch die elektronischen Waffenschnüffler in den Flughäfen der Großstädte.
Allein in den USA sind bereits 50 000 Menschen auf künstliche Herzschrittmacherdienste angewiesen. Und auch in der Bundesrepublik leben derzeit schon mehr als 10 000 Patienten mit der organfremden Herzsteuerung.
Die meisten dieser Patienten brauchen die Elektronik-Hilfe. weil sie an einem sogenannten Herzblock leiden, einer Art Kurzschluß in den Nervenfasern des Herzmuskels. Noch zu Beginn der sechziger Jahre, als die Krankheit noch überwiegend medikamentös behandelt wurde, starb jeder zweite Herzblock-Patient innerhalb eines Jahres, Nun hat sich die Bilanz drastisch verändert: Von insgesamt 400 Patienten, die an der Heidelberger Uni-Klinik im Verlauf von sieben Jahren Schrittmacher eingepflanzt bekamen, waren Anfang 1970 noch 306 am Leben.
Besonders anfällig gegenüber elektromagnetischen Schwingungen aus der Umwelt, so die amerikanischen Untersuchungen, sind die -- in den letzten Jahren überwiegend verwendeten Synchron-Schrittmacher: ihr Steuertakt wird entsprechend dem jeweiligen Energiebedarf des Herzens automatisch verändert. Bestimmte darin verwendete elektronische Bauteile wirken offenbar wie eine Radioantenne.
Speziell die Mikrowellenfrequenz, wie sie in den modernen Radarherden verwendet wird, ist amerikanischen Untersuchungen zufolge geeignet, in den menschlichen Körper einzudringen und dort den Schrittmacher aus dem Tritt zu bringen. Obwohl die Herde gegen elektronische Lecks isoliert sein müssen, genügen offenbar unter bestimmten Umständen schon minimale Energieabstrahlungen, um einen Schrittmacher zu verwirren.
»In Kliniken«, so resümierte die Washingtoner Gesundheitsbehörde, sollten sich demnach Schrittmacher-Träger »von allen Störquellen wie etwa Mikrowellenherden fernhalten«. Freilich. außerhalb der Kliniken dürfte das für US-Patienten bereits schwierig sein: 175 000 solcher Super-Herde. die Steaks und Brathähnchen in Sekundenschnelle garen, sind in amerikanischen Restaurants und Haushalten schon installiert.
Doch auch in der Bundesrepublik. so bekundete letzte Woche »Philips«-Pressesprecher Fritz Krause. seien schon »mehrere tausend Mikrowellenherde eingesetzt -- hauptsächlich in Kantinen, Kliniken, Imbißstuben, Caféterias und in Mikrowellen-Automaten der Autobahnraststätten«.