Samira El Ouassil

Gewalt gegen Frauen im Krieg Wir brauchen eine feministische Außenpolitik

Samira El Ouassil
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Frauenkörper werden im Krieg politisch missbraucht – trotzdem beachtet Außenpolitik oft nur Männer. Eine feministische Perspektive würde zeigen: Alle Geschlechter leiden im Krieg.
Frau in einem durch Beschuss zerstörten Gebäude in Kiew: Auch Frauen nutzen ihre Körper freiwillig oder unfreiwillig politisch vor Ort

Frau in einem durch Beschuss zerstörten Gebäude in Kiew: Auch Frauen nutzen ihre Körper freiwillig oder unfreiwillig politisch vor Ort

Foto: Future Publishing / Getty Images

Die »New York Times« hat Berichte über Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt an ukrainischen Frauen seit Kriegsbeginn zusammengetragen . Ukrainische Beamtinnen sowie die Parlamentsabgeordnete Maria Mezentseva erklären, dass diese zunehmen. Die Zeitung zitiert die ukrainische Anwältin Kateryna Busol: »Mir wurden Vorfälle von Gruppenvergewaltigungen, Vergewaltigungen vor Kindern und von sexueller Gewalt nach der Tötung von Familienmitgliedern geschildert.«

Die Aussagen sind noch unbewiesen, aber aufgrund von Erfahrungen früherer Kriege sind schlimmste Befürchtungen berechtigt. Genau deshalb braucht es eine feministische Perspektive in der Außenpolitik. Eine Sichtweise, welche die geschlechtsbezogenen Unterschiede bei den Auswirkungen von Konflikten berücksichtigt, wahrnimmt und anerkennt und welche die Konsequenzen, die ein Krieg für alle Geschlechter hat, verhandelt.

Frauen sind vom Krieg anders betroffen als Männer. Männer werden zum Kampf gezwungen – manche ziehen auch freiwillig los – und müssen ihre Leben in einem Konfliktraum politisch einsetzen. Judith Butler schrieb in Bezug auf demokratische Massenversammlungen: »Damit Politik stattfinden kann, muss der Körper erscheinen.« Der Krieg ist die Pervertierung dieser Idee, da es die Körper politisch als Ressource, Munition oder Schutzwall missbraucht. Männer werden hierbei eher getötet, verwundet oder verschwinden. Aber auch die Körper der Frauen werden in Konflikten politisch missbraucht, wenn auch nicht unmittelbar militärisch. Instabile Situationen verschärfen bestehende Muster der Diskriminierung von Frauen und Mädchen und setzen sie einem erhöhten Risiko von Gewalt aus, dazu gehören willkürliche Tötungen, Folter oder sexuelle Misshandlung.

In einer zynischen Kriegslogik verkörpern Frauen auch das verfeindete Land, und wenn sie vergewaltigt werden, zielt diese Gewalt auch darauf ab, die gegnerische Kriegspartei zu schwächen. Die Misshandlung von Frauen ist hier auch militärstrategischer Terror.

Weibliche Körper sind aber auch auf andere Weisen durch den Krieg höchst gefährdet: Durch fehlenden Zugang zur Gesundheitsversorgung, einschließlich der reproduktiven Gesundheit für Frauen und Mädchen, entsteht ein höheres Risiko für ungeplante Schwangerschaften und Müttersterblichkeit – gerade in der Ukraine, wo es überdurchschnittlich viele Leihmütter gibt.

Ebenso sind Transfrauen von dem Krieg in besonderer Weise betroffen , wenn ihnen ihr Frausein an der ukrainischen Grenze aberkannt wird, ihnen nicht erlaubt wird zu fliehen und sie dabei noch körperlich degradiert werden. Auch in anderen Konflikten und Kriegen sind sie einem größeren Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt, besonders in Gefangenschaft und Haft. Die ukrainische Trans-Sängerin Zi Faámelu flüchtete in ihrer Verzweiflung durch die Donau schwimmend über Rumänien nach Deutschland .

Manche Frauen nutzen ihre Körper freiwillig oder unfreiwillig politisch vor Ort, sie verteidigen ihre Häuser, aus Angst vor einer Besetzung, sie dokumentieren als Zivilistinnen und Chronistinnen das Geschehen oder sie ziehen bewaffnet in den Krieg, um Widerstand zu leisten .

Die Kriegsreporterin Julia Leeb und die Journalistin Cosima Gill begleiten in dem Podcast »Woman in War« solche Frauen in verschiedenen Konflikten . Auch in der Ukraine halten sie fest, wie Frauen kämpfen, flüchten, Kinder beruhigen, Wasser destillieren – wie zum Beispiel Olena Biletska, die die Ukrainian Women's Guard gegründet hat . Ukrainische Frauenzeitschriften klären darüber auf, wie man eine Waffe hält , ein vermisstes Kind sucht oder in einem Bombenkeller seine Menstruation oder eine Geburt organisiert.

Das sind alles Aspekte, die eine Außenpolitik berücksichtigen sollte, will sie Politik für alle Menschen sein. Es geht nicht darum, das Leid der Männer in Krieg und Konflikten unsichtbar zu machen, für natürlich zu erachten oder zu relativieren – ganz im Gegenteil: Es geht darum, sichtbar zu machen, dass alle Geschlechter unter den Konsequenzen leiden.

Am letzten Mittwoch wurden im Bundestag in der Generaldebatte die Pläne der Ampelparteien zum Sondervermögen der Bundeswehr besprochen. Dabei fiel der professionelle Provokateur Friedrich Merz durch ein paar merztypische Aussagen auf. Es ging hierbei um die von Olaf Scholz versprochenen 100 Milliarden Euro und um die nicht unwichtige Frage, wofür das Geld genau ausgegeben werden soll.

Merz merzelte herablassend in Richtung der Außenministerin Annalena Baerbock, dass die Ausgaben Investitionen in die Bundeswehr seien – und für nichts anderes. Er verkündete, dass Baerbock zwar von ihm aus feministische Außenpolitik und auch feministische Entwicklungshilfepolitik machen könne. Aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr.

Baerbock nahm in ihrer Rede  Bezug darauf und erklärte: »Die Bundeswehr hier herauszustellen und dann im gleichen Satz zu sagen: ›Okay, Bundeswehr und nicht mehr diese feministische Außenpolitik‹ – mir bricht es das Herz.«

An dieser Stelle griff sich Merz melodramatisch an die Brust und macht einen spöttisch mitleidiges Gesicht; eine herablassende Geste, um sich über den Satz oder die darin enthaltene moralische Verletztheit lustig zu machen . Woraufhin Baerbock sichtbar getroffen reagierte:

»Und wissen Sie, warum? Weil ich vor einer Woche bei den Müttern von Srebrenica war und die mir beschrieben haben, wie die Spuren dieses Krieges in ihnen drin sind, und gesagt haben: Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der Neunzigerjahre, als sie, als ihre Töchter, als ihre Freundinnen vergewaltigt worden sind, Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde. Deswegen gehört zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns! Das ist kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit.«

Mit dem »Gedöns« zitierte sie vermutlich Gerhard Schröder, der 1998 das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als »Ministerium für Familie und das ganze Gedöns« bezeichnet hat.

Baerbock hat recht: Es ist mehr als notwendig bei einer so hohen Summe für die Bundeswehr die Geschlechtergerechtigkeit mitzudenken.

Und es ist auf der Höhe der Zeit: Mexiko proklamierte 2020 als erstes lateinamerikanisches Land die Absicht einer feministischen Außenpolitik. Und auch wenn innenpolitisch noch an der Gleichberechtigung gearbeitet werden muss, beanspruchen Schweden und Frankreich ebenso eine alle Geschlechter berücksichtigende Außenpolitik zu vertreten, genau wie das Kabinett von Joe Biden. 2017 startete Kanada eine »feministische internationale Hilfspolitik«, die darauf abzielt, Frauen, Kinder und Jugendliche weltweit zu unterstützen – das beinhaltet die Zusage von jährlich 1,4 Milliarden kanadischen Dollar für ausländische Regierungen und Organisationen, um den Zugang zu Ernährung, Gesundheit und Bildung zu verbessern. Etwa 700 Millionen Dollar davon sind für die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt vorgesehen .

Weltweit zeigen Untersuchungen zum Thema Geschlecht und Sicherheit, dass Länder mit mehr Gleichberechtigung seltener von Bürgerkriegen betroffen sind .

Wie Frauen behandelt werden, das beeinflusst alle Bereiche einer Gesellschaft und ist ein Indikator für die Stabilität und Sicherheit eines Landes. Die Gleichberechtigung der Geschlechter hängt mit einer guten Regierungsführung zusammen. Länder, in denen Frauen ausgebeutet werden, sind instabiler.

Und es ist nicht die bis heute immer noch weiblich attribuierte Friedfertigkeit, die das bedingt. Das vermeintlich Feminine steht angeblich im Kontrast zu den militärischen Belangen eines Staates, da oft noch eine geschlechtstypische Fürsorglichkeit unterstellt wird, welche die Harmonie sucht, um Kinder und Familien zu schützen. Das ist jedoch ein patriarchales Klischee. Frauen erarbeiten Frieden, weil sie die Auswirkungen des Krieges weit über die Kriegsgebiete und weit über das Kriegsende hinaus erfahren. Ein als feminin verschriener Pazifismus ist in Wirklichkeit reiner Pragmatismus. Er ist Überlebenswille und rational in seinem Präventionsbestreben. Es waren Frauen, die in Afghanistan über fünf Jahre lang vor der Rückkehr der Taliban gewarnt hatten und nicht gehört wurden.

Wie lange gebraucht wurde, um die Anwendung sexueller Gewalt in Konflikten auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewerten, zeigt uns, wie groß und beständig diese, unsere politische Wahrnehmungslücke ist – und weshalb eine feministische Perspektive eine alle Betroffenen mitdenkende Perspektive ist, also: eine humanistische.

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