AUTOMOBILE VW-BASTLER Giftige Käfer
Das Angebot sei »einmalig«, verhieß eine Anzeige des Elektrotechnikers Manfred Gimmy, 27, aus Neuhofen bei Ludwigshafen: »Deutschlands schnellster, sicherster VW« sei zu verkaufen. Als Neuwert gab der Inserent »über 14 000 Mark« an. Gimmy: »Das Ding läuft eine Spitze bis zu 180 Kilometer pro Stunde.«
Nordhoffs Original-Käfer kosten um 5000 Mark und beschleunigen in der stärksten Version bestenfalls bis auf 130 Kilometer pro Stunde. Gimmys Käfer (Zulassungsnummer: LU -- D 777) hat jedoch nur noch Schale und Namen mit dem Wolfsburger Original gemein. Er ist vermutlich das schnellste und aufwendigste Produkt, das von deutschen privaten VW-Bastlern je hervorgebracht wurde.
Unzählige technisch begabte deutsche Kraftfahrer haben ihre Volkswagen mittels Manipulationen an Motoren und Fahrwerken in verkappte Sportwagen umgewandelt. Sie weiden sich an der Verblüffung ihrer motorisierten Umwelt, wenn sie mit ihren unscheinbaren Konsumkutschen durch mächtige Anfahrbeschleunigung und hohe Spitzenleistung unverhofft größeren und teureren Wagen davonpreschen können.
»Jedes Jahr«, so schätzt Oberingenieur Hans Rick vom Technischen Überwachungs-Verein (TÜV) Hamburg. »kommen Tausende hinzu.« Grund: Der preiswerte und vergleichsweise zahme Wolfsburger Käfer eignet sich wie kaum ein anderes Serienautomobil für leistungssteigernde Änderrungen.
Die speedfrohen Bastler wenden nicht selten Tausende von Mark auf. Sie installieren vergrößerte oder auf höhere Verdichtung gebrachte VW-Motoren. Besonders beliebt ist bei ihnen, den Motor gegen einen Porsche-Motor auszutauschen. Außerdem suchen sie das Fahrverhalten zu verbessern, beispielsweise durch Spurverbreiterung oder Einbau wirksamerer Stoßdämpfer. Der Zubehörhandel hält vornehmlich für VW-Verbesserungen eine Fülle von Teilen und Bausätzen auf Lager -- vom Spezialauspuff mit sportlichem Knatterton bis zum fachkundig »frisierten« Supermotor.
So liefert zum Beispiel die auf dem Gebiet der VW-Motor-Frisur seit Jahren besonders erfolgreiche Firma Oettinger in Bad Homburg für rund 2000 Mark einen auf 1600 Kubikzentimeter vergrößerten Spezialmotor für den VW-Käfer. Er leistet 58 PS.
Ein so befeuerter Käfer erzielt etwa 150 Kilometer pro Stunde. Er kann, wie »Auto, Motor und Sport« einmal durch Vergleiche ermittelte, »mit allen gängigen Mittelklassewagen wie Opel Rekord 1700, Audi 72/80 oder Ford 15 M/17 M mithalten«. Im Beschleunigen ist er »all diesen Autos überlegen und macht sogar bis 100 km/h einem BMW 2000 oder 1600 zu schaffen«.
Aus Gründen der Fahrsicherheit müssen die meisten baulichen Veränderungen von den TÜV-Ingenieuren geprüft und gebilligt werden, bevor die Fahrer losrasen dürfen. Da die TÜV-Prüfer »in verstärktem Umfang« technische Änderungen an Volkswagen wahrnahmen, die »in den meisten Fällen« nicht mehr mit der allgemeinen Betriebserlaubnis im Einklang standen, gab die »Vereinigung der Technischen Überwachungs-Vereine« in Essen schon vor anderthalb Jahren ein internes Merkblatt eigens über »Umrüstungen an Volkswagen« heraus. Mit diesem Katalog sucht der TÜV »die gutachtliche Behandlung« der VW-Bastler zu vereinheitlichen.
Doch längst nicht alle aufgepulverten Volkswagen konnten von den Prüfern erfaßt werden. »Da haben wir eine beängstigende Dunkelziffer«, erläuterte ein Sprecher des ADAC-Gaues Hansa »Die Leute meiden den TÜV und fahren unter ständiger Furcht vor der Polizei.« Es handelt sich meistenteils um Fahrer, die gewiß sind, daß die Prüfer ihre VW-Umrüstungen nicht gutheißen werden. Nur alle zwei Jahre entschärfen sie ihre in Fachkreisen »Giftkäfer« genannten Wagen einstweilig so weit, daß ihnen bei der turnusmäßigen Kontrolle die Prüfplakette verliehen wird.
Auch Giftkäfer-Eigner Gimmy hatte zunächst »einige Eintragungen und Angaben beim TÜV vergessen« (so Gimmy). Die Folge: Aufmerksam geworden durch Gimmys forsche Fahrweise, »war dauernd die Polizei hinter mir her«. Einmal wurde sein Wagen sogar beschlagnahmt, weil der TÜV ihn nicht hatte begutachten können.
Nach diesen Erfahrungen ließ Sportfahrer Gimmy alle an seinem VW (Baujahr 1957) vorgenommenen Umbauten »Stück für Stück vom TÜV genehmigen«. So aufwendig ging Gimmy dabei vor, daß sich sein für 5300 Mark erworbener Wagen allmählich auf 14 000 Mark verteuerte.
Gimmy stellte seinen VW auf Porsche-Feigen und Spezialreifen. Er installierte ihm unter anderem Scheibenbremsen, eine »selber ausgetüftelte« Zweikreisbremse, eine Hinterachse vom VW 1500 S, ein eigenhändig abgestuftes Getriebe, eine neue Lenkung und Schalensitze. Einen 1,5-Liter-Transportermotor von 42 PS steigerte er durch Umbau auf 46 PS und baute ihn ein. Zeitweilig, etwa für Sportwettbewerbe, tauschte er den Motor gegen ein 1,7-Liter-Triebwerk von 70 PS aus. Seinen Ölkühler, beim Serienauto unter der Motorhaube verborgen, placierte Gimmy aus technischen Gründen auf dem Trittbrett.
»Mein Wagen liegt tief wie ein Raubtier auf der Straße und ist im Fahrverhalten jedem Porsche 356 überlegen«, verkündete Gimmy stolz. Da er das Wagengewicht um 100 Kilogramm gemindert hatte, erwies sich sein Käfer beim Beschleunigen als auffallend temperamentvoll.
VW-Fahrer Gimmy, der alle TÜV-Widerstände überwunden hatte, scheiterte schließlich am eigenen Temperament. Die Polizei nahm ihm vor kurzem als »Mehrfachtäter« wegen zu schnellen Fahrens den Führerschein weg. Gimmys Käfer ist nun zu haben.