ENTERTAINER Gitti und ihr kahler Schorsch
In der Welt des Humoristen ist Platz für die absonderlichsten Geschöpfe. Da hausen gottlose Mönche, die der Allmächtige schließlich vom Lkw überrollen läßt. Musisch begabte Zitteraale singen Freddy-Melodien. Ein triebhafter Jüngling namens Nille wird farbenblind durch Onanie, und ein rolliger Rollmops verliebt sich in ein Schnapsfläschchen Schlüpferstürmer.
Und damit noch nicht genug: In der Schlachterei Mark & Knochen überfällt ein kriminelles Schnitzel hinterrücks eine Verkäuferin, die sich nach einer Portion Hackfleisch bückt. Das arglistige Steak kommt vor Gericht, erhält aber wegen »ständiger Nachbarschaft zu englischem Rindfleisch« mildernde Umstände - so bizarr und bunt, so fern aller irdischen Logik ist das Leben, wenn der Poet und Liedermacher Funny van Dannen, 39, seine Märchen-Truhe öffnet.
Der Entertainer ist ein schrulliges Unikum in der deutschen Kleinkunstszene. Kritiker feiern ihn als »einen der letzten Romantiker«. Die ZEIT entdeckte in dem Schnurrpfeifer ein »Genie des Trivialen«. Drei CDs - Auflage jeweils rund 9000 Exemplare - hat der Künstler bislang veröffentlicht. Im Kunstmann-Verlag ist soeben sein viertes Buch, »Der Tag, als Rosie kam«, erschienen. Anfang Mai geht der versponnene Vagant auf Konzertreise.
»Ein Hang zum Komischen« beseelt den Kauz seit Kindesbeinen. Als Franz-Josef Hagmanns kam er im damals noch niederländischen Tüddern zur Welt. Schon der Knabe zupfte talentiert die Gitarre. 1978 verschlug es den Twen nach Berlin-Kreuzberg. Er lernte Grafiker, malte »leicht expressive«, comicbunte Bilder und träumte von einem freien Künstlerleben.
Freilich, »das haute nicht hin«, und der Zuwanderer kam mühsam in diversen Brotjobs unter. Im Klinikum Steglitz etwa wirkte er als »Kunstbeauftragter«, der die Kranken mit Kalendersprüchen betüterte. Nebenher schrieb er Geschichten und Lieder, die in Kneipen und Klubs ein geduldiges Publikum fanden.
Ein erster Popularitätsschub widerfuhr dem Minimalisten, als er auf die Damen-Gruppe »Lassie-Singers« stieß, die Ende der achtziger Jahre mit Schlager-Trällereien bescheidene Erfolge verbuchte und sich beispielsweise als lebende Jukebox verdingte: Nachdem der Musikfreund eine Münze investiert hatte, brachen die Girlies lautstark aus der Papp-Versenkung und intonierten den gewünschten Song, etwa »Ein Schiff wird kommen«.
Die Hitparade machte dem artverwandten Funny viel Pläsier. Aber der kregle Frauenverein war ihm viel zu umtriebig. Auf Tourneen fühlte er sich überdies schrecklich unbehaust. Van Dannen, unterdes verheiratet, widmete sich engagiert der Aufzucht seiner drei Buben. Und so ließ er ab von den Jukebox-Sisters und bastelte heiter an einer Solokarriere.
Und nach und nach war auch eine treue Gefolgschaft fit for Funny. In Etablissements wie dem Hamburger »Golden Pudel Club« und allerlei Pinten sang er Schlager wie »Das schöne Mädchen von Seite 1« oder melodische Weisen aus eigener Feder - die Hymne auf die Schmalz-Drossel »Nana Mouskouri« etwa oder Trieb-Motetten wie »Saufen« und »Sextricks«.
Amüsiert und gerührt lauschte das Publikum dem Troubadour, der da so sympathisch auf der Gitarre schrummelte und engagiert auf der Mundharmonika blies - unbeeindruckt vom launischen Zeitgeist. Mit dem Mainstream der neuen deutschen Liedermacher hat er wenig am Hut, kreativ sind ihm die Blödmusiker der siebziger Jahre am nächsten, die Insterburgs zum Beispiel. Tief verehrt er die gute alte Hildegard Knef und ihre Fleurop-Arie »Für mich soll's rote Rosen regnen«.
Behaglich und notorisch gutgelaunt sitzt der Einzelgänger in seiner Schrummelnische. Die Hektik des Kulturbetriebs und der branchenübliche »Produktionsfanatismus« sind ihm verhaßt.
In schöpferischen Phasen, wenn die Familie ihm Ruhe gönnt, lümmelt sich der Traumtänzer gern unter einen Baum und erfindet Lieder wie »Depressive Hypochonder« oder stellt sich vor, »wie ein Putzlappen anfängt zu reden«. Die »traurigen Sachen« liegen ihm wohl mehr am Herzen, weil sie »länger halten«; die lustigen, sagt er, verschleißen schneller, »weil sie eher aus der flüchtigen Tagesaktualität kommen«.
Doch komisch oder melancholisch - Funnys Songs entsprießen alle dem gleichen Humus, seiner Vorliebe fürs Absurde und Groteske: »Kunst, die nur die Realität widerspiegelt, ist langweilig.« Er sieht die Menschen am liebsten im Zerrspiegel - wie sie unentwegt nach glückseligem Leben streben und dabei oft scheitern.
Davon wird der Kreuzberger Melanchomiker nun wieder berichten, wenn er - wie gewohnt eher unwillig - zur Konzertreise aufbricht. Dann wird er die musikalische Elegie vom »Traurigen Arschloch« anstimmen und womöglich eines seiner schönsten Prosa-Gespinste vortragen: die Geschichte vom »Kahlen Schorsch«, dem letzten Vertreter der Pickvogel-Gattung.
Die handelt davon, wie das Schicksal den gerupften Schorsch aus seinem Heim bei der Lottofee Karin Tietze-Ludwig vertreibt. Wie er als Quizmaster ans Privatfernsehen verkauft wird, später in einem japanischen Tierbordell landet, wo er einem ornithologisch erhitzten Fabrikanten den Kopf verdreht. Und wie er schließlich im Wuppertaler Zoo seinen Frieden findet, umhegt vom zänkischen Marabu-Weibchen Gitti: »Abends standen Gitti und Schorsch stundenlang beisammen« und sprachen »über die intimsten Sachen«. Dort schöpft der schwerbeschädigte Pickvogel wieder Lebensmut, und auf seinem kahlen Leib wächst zartes Gefieder.
»Die Kunst«, sagt Funny, »soll den Menschen neue Energien geben.« Wer an so flaumweichen Märchen keinen Spaß hat, der soll verstockt und verdrießlich von dannen gehen.