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ENERGIE-KRISE Globaler Kahlschlag

Die Ölpreis-Inflation hat in den Entwicklungsländern zum Raubbau an den Wäldern geführt. Brennholzmangel, aber auch Versteppung weiter Landstriche sind die Folgen.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Dicht unter dem Äquator walzen Bulldozer ein 13 000 Kilometer langes Straßennetz, die Transamazonica, aus dem dampfenden Dschungel Brasiliens. In Südostasien gehen jährlich 15 Millionen Hektar Wald verloren: Auf den gerodeten Gebieten werden Reis und Hirse angebaut. Afrikas Urwälder, schätzt das Institut für Weltforstwirtschaft in Reinbek nahe Hamburg, sind seit 1930 um ein Viertel bis ein Drittel geschrumpft.

Aus unterschiedlichen Ursachen ist in den Entwicklungsländern ein gleichartiger Prozeß in Gang gekommen, der schon vor Jahrhunderten auch andernorts zu üblen Hinterlassenschaften geführt hat.

Eintönige, teils verkarstete Hügellandschaften traten an die Stelle weiter Wälder, nachdem Phönizier aus den Zedern des Libanon und die Römer mit dem Holz des Apennin ihre Handelsschiffe und Galeeren zimmerten. Und als die Indianer auf den Großen Ebenen Amerikas die Wälder niederbrannten, um die Weidegründe für den Bison zu erweitern, kam es in den so geschaffenen Savannen zu Dürrekatastrophen -zuletzt in Oklahoma 1935.

Nun aber ist in den Entwicklungsländern ein neues Kahlschlag-Problem entstanden. Auf dem indischen Subkontinent, in den Andenstaaten Südamerikas und im zentralen Afrika, aber auch in Äthiopien und im Irak wird der Erde ältestes Feuermaterial knapp: Brennholz wurde im selben Maße seltener und teurer, in dem der Ölpreis seit dem Schockwinter des letzten Jahres angestiegen ist.

Entdecker dieser »speziellen Art von Energiekrise« ("New York Times") ist der amerikanische Umweltforscher Erik Eckholm, der im Auftrag des UN-finanzierten »Worldwatch Institute« in Washington einen Report über das »lang ignorierte, da wenig photogene Problem« verfaßt hat.

Von der Brennholz-Knappheit betroffen sind laut Eckholm 1,3 Milliarden Menschen in der rohöllosen Dritten Welt: Habenichtse wie die peruanischen Indios ebenso wie die Bergbewohner Nepals, die sich an Holzfeuern wärmen und über den prasselnden Scheiten Kuhherz oder Würzteig mit Hammelfleisch, eine Spezialität der Sherpas, braten.

»In typischen Entwicklungsländern«, so hat die Welternährungsorganisation FAQ errechnet, übersteigt der jährliche Verbrauch von Brennholz eine Tonne pro Person; in Tansania, wo 99 Prozent der Bevölkerung auf Brennholz angewiesen sind, werden pro Kopf 1,8 Tonnen verbrannt. Insgesamt entfallen in den Entwicklungsländern mehr als zwei Drittel des gesamten Holzverbrauchs, das Äquivalent von zwei Milliarden Tonnen Kohle, auf Brennzwecke.

Doch anders als beim Öl, dessen Verbrauch in den Industriestaaten durch atomare Kraft und Sparmaßnahmen gedrosselt werden kann, steigt in den holzabhängigen Ländern der Bedarf. Dem jährlichen Bevölkerungszuwachs von 2,5 Prozent entsprechend mußte ebensoviel Brennholz zusätzlich geschlagen werden -- mehr, als Holz nachwächst.,, Im Energiebedarfs-System der wirklich Armen«, so konstatiert Eckholm, »gibt es kein Fett zum Trimmen mehr.«

In welchem Maße sich die Entforstung, zunehmender Bevölkerungsdruck und die Ölpreis-Inflation »gegenseitig negativ verstärken« (Eckholm), erfuhr der Forst-Experte auf mehreren Reisen durch die betroffenen Gebiete:

Brauchten die Bewohner des Katmandu-Tals früher lediglich ein bis zwei Stunden, um auf den Hügeln unweit der nepalesischen Hauptstadt Fallholz aufzusammeln, so sind sie jetzt einen Tag und länger dazu unterwegs. Zugleich verteuerte sieh Holz schneller als Kerosin, das bislang billigste Raffinerie-Produkt. Ein Bündel Holz, das vor Ausbruch der Ölkrise für sechs bis sieben Rupien zu haben war, kostet jetzt 20 -- den Wochenverdienst eines nepalesischen Landarbeiters.

In Schwarzafrika ist die Situation ähnlich -- eine Arbeiterfamilie in Niamey (Niger), inmitten des Trockengürtels der Sahel-Zone, muß 1975 ein Viertel ihres Lohns für Brennholz ausgeben. In Wagadugu, der Hauptstadt Obervoltas, sind es bereits 30 Prozent.

Besonders hart trifft viele Holzsammler, daß auch mit Fallholz, das früher nur aufgelesen werden mußte, zunehmend gehandelt wird. Großgrundbesitzer lassen es vom Land in Städte karren, wo es auf Holzmärkten preistreibend verkauft wird. Rund um Wagadugu gibt es in einem Umkreis von 70 Kilometern nicht einmal mehr einen Baum zu finden.

Gravierender jedoch als die finanzielle Bürde scheint Brennholz-Experte Eckholm der »zunehmende Druck auf die Waldbestände« in der Dritten Welt, den er in seinem Worldwatch-Report die »schwerwiegendste ökologische Herausforderung des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts« nennt.

Der vom Brennholzmangel beschleunigte Kahlschlag

* ntergräbt die Bodenproduktivität durch Erosion,

* erhöht das Risiko von Überschwemmungen und

* führt dazu, daß sich Wüsten langsam, aber sicher über ihre Grenzen vorwärts schieben.

Besonders augenfällig ist der Bodenschwund auf dem indischen Subkontinent sowie in den Ländern entlang des Himalaja -- in Afghanistan, Nordpakistan und Nepal. Überall dort, wo auf den abgeholzten Hügeln braches Land entstanden ist, tragen Wind und Regen den wurzellosen Boden ab. Der weggeschwemmte Schlamm wird von Flüssen mitgeschleppt, verstopft Staubecken und kostspielige Bewässerungsanlagen und lagert sich im Bett großer Ströme, wie etwa des Ganges oder des Brahmaputra, ab.

Folge solcher Staus waren die jüngsten Überschwemmungskatastrophen in Indien und Bangladesch, als deren »wichtigste Ursachen« auch der UN-Forstwissenschaftler Keith Openshaw das »Entfernen der Pflanzendecke zur Brennholzgewinnung« bezeichnet.

Daß die »selbstmörderische Entforstung« zudem »die Fähigkeit eines Landes sabotiert, genügend Nahrungsmittel zu erzeugen«, demonstriert Forst-Berichterstatter Eckholm am Beispiel eines Rohstoffs' den die Ärmsten der Armen als Brennholz-Substitut verwenden. Statt ihn, wie ehedem, auf die Felder auszubringen, verfeuern immer mehr Landbewohner Kuh-Dung.

Allein in Indien gehen in diesem Jahr 300 bis 400 Millionen Tonnen Dung heiliger Kühe in Rauch und Asche auf. Den landwirtschaftlichen Nutzflächen aber gehen so natürliche Nährstoffe verloren, die einem Drittel des gesamten Kunstdünger-Verbrauchs in dem Hungerland entsprechen. Erhöhte Erosions-Anfälligkeit wegen der fehlenden organischen Substanzen und anhaltende Dürreperioden sind die absehbaren Folgen. »Ohne eine rasche Umkehr dieses Trends«, mahnt Eckholm, »wird sich Indien plötzlich in der Situation befinden, eine Milliarde Menschen ernähren zu müssen -- in einem Land, das aussieht wie der Mond.«

Die »einzig logische Reaktion« auf die Brennholzkrise in der Dritten Welt wären »massive Wiederaufforstungs-Programme« (Eckholm). Die aber scheitern häufig selbst dort, wo solche Vorhaben in Fünf-Jahres-Plänen, wie etwa in Indien, angekurbelt werden sollten. Und in Brasilien, wo in den Öfen des Mannesmann-Stahlwerks bei Belo Horizonte jährlich 1,3 Millionen Kubikmeter Holzkohle, gewonnen aus 3,6 Millionen Bäumen, verfeuert werden dürfen, treten monotone Eukalyptus-Kulturen an die Stelle breit wurzelnder Baumriesen.

Als größtes Hindernis stellen sich dem Aufforsten jedoch die ländlich orientierten Lebensumstände in den holzknappen Ländern entgegen. Weil viele ihrer Bewohner zugleich die Großvieh-, Schaf- und Ziegenzucht intensivierten, werden von den umherziehenden Tieren (Eckholm: »Die Hauptzerstörer junger Baumprojekte") Setzlinge häufig gleich wieder weggefressen.

Allenfalls neue Technologien -- Sonnenlicht-Kollektoren etwa oder Bio-Gasöfen, die mit Gas aus Dung betrieben werden -- wären nach Meinung Eckholms in der Lage, die sich verschärfende Energiekrise in den unterentwickelten Ländern zu lösen. Doch für solch rohstoffschonende Anlagen fehlt es sogar den Industrieländern an Geld.

Ohne Antwort bleibt denn auch die Frage eines indischen Beamten, den Brennholz-Forscher Eckholm in seinem Report zitiert: »Selbst wenn wir für unsere Leute bis zum Jahr 2000 irgendwie das Nötigste zum Essen anschaffen: Wie sollen sie's kochen?«

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