Ideengeschichte Was steckt hinter dem Feindbild "Globalismus"?

Trump schimpft gegen "die Globalisten", genau wie Alexander Gauland. Der Historiker Quinn Slobodian geht der politischen und ökonomischen Ideengeschichte des Begriffs auf den Grund.
Margaret Thatcher 1990: Verfechterin eines schlanken Staats

Margaret Thatcher 1990: Verfechterin eines schlanken Staats

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Richard Baker/ Corbis/ Getty Images

Als Trump jüngst seinen Wirtschaftsnationalismus Marke "America First" in Davos propagierte, tat er das buchstäblich in der Höhle des Löwen. Denn der US-Präsident ist ausgesprochener Gegner der Entwicklung globaler wirtschaftlicher und politischer Lösungen, denen sich das Weltwirtschaftsforum verschrieben hat. Auch vergangenes Jahr verkündete er vor der UN: "Die Zukunft gehört nicht den Globalisten." 

Seltsam, diese Frontstellung: Erstens inszeniert sich da gerade der US-amerikanische Präsident als Revoluzzer gegen die doch maßgeblich von den USA geschaffene internationale Ordnung. Und zweitens entspricht doch Trump als globaler Unternehmer selbst dem von ihm propagierten Feindbild.

Über den Autor

Johannes Thumfart ist Ideengeschichtler und Rechtsphilosoph und forscht an der Forschergruppe Law, Science, Technology, and Society (LSTS) der Freien Universität Brüssel. Seine Forschung wird vom Sonderprogramm Sicherheit, Gesellschaft und Staat der Gerda Henkel Stiftung unterstützt.

Trotz dieser Widersprüche ist Trumps Ausrufung des Aufstands gegen den Globalismus einer der wenigen durchgehenden Punkte in seiner Rhetorik. Deutlich zeigt sie auch seine Beeinflussung durch das neurechte Ideenspektrum: Neurechte benutzen immer wieder das Bild einer "globalistischen Krake" - eine Reminiszenz an die nationalsozialistische Propagandaformel der jüdischen Weltverschwörung. Hierzulande verklärte auch Alexander Gauland  den Rechtspopulismus zum heroischen Aufstand gegen den "Egoismus der globalistischen Elite".

Aber was soll das überhaupt heißen: Globalismus? In einem landläufigen Begriffswörterbuch politischer Ideen findet sich darunter jedenfalls kein Eintrag.   

Quinn Slobodians bei Suhrkamp erschienenes Buch "Globalisten" schafft Abhilfe. Im Mittelpunkt stehen Leben, Werk und Wirkung der österreichischen Ökonomen Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises - sie gelten als Stammväter des Neoliberalismus und globalen Freihandels.

Dabei streift Slobodian auch die Entstehungsgeschichte internationaler Institutionen und Abkommen wie WTO, Weltbank, IWF und GATT. Natürlich gebrauchen die von Slobodian untersuchten Autoren den Begriff des "Globalismus" nicht explizit, schließlich entstammt er ja der aktuellen Diskussion. Dennoch gelingt es dem Historiker, die Wurzeln der aktuellen Debatte überzeugend herauszuarbeiten.

Damals wie heute, zeigt Slobodian, wird der Globalismus vor allem über seine Gegner verständlich. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 engagierten sich unterschiedliche - rechte und linke - politische Bewegungen gegen die internationale Verflechtung der Märkte. In diesem Wirtschaftsnationalismus wiederum sahen die globalistisch orientierten Neoliberalen den "bösartigen Wahn der Doktrin von der absoluten nationalen Souveränität". Sie plädierten gerade angesichts schwerer Krisen für mehr internationalen Freihandel.

Slobodians wichtigster Punkt: Die Ahnherren des Neoliberalismus, Hayek und Mises, sind heute vor allem als Verfechter des schlanken Staats bekannt, Thatcher und Reagan waren große Fans. Ursprünglich aber setzten sich Hayek und Mises gleichzeitig für eine weitergehende internationale politische und wirtschaftliche Verflechtung ein. Ihr bekanntes Credo "weniger Staat" war mit einer Forderung nach mehr internationaler Zusammenarbeit verbunden.

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Slobodian, Quinn

Globalisten: Das Ende der Imperien und die Geburt des Neoliberalismus

Verlag: Suhrkamp Verlag
Seitenzahl: 522
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01.06.2023 14.32 Uhr

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Die zweite, ungleich brisantere Einsicht: Die Schaffung internationaler Rahmenbedingungen für die Weltwirtschaft war von Anfang an explizit gegen nationale demokratische Selbstbestimmung gerichtet. Um politische und rechtliche Verlässlichkeit zu schaffen, sollten diese Rahmenbedingungen der Verfügung gewählter nationaler Regierungen entzogen sein. In Slobodians Worten ging es darum, "den Kapitalismus gegen die von der Demokratie ausgehende Bedrohung zu isolieren". Beispielsweise sollten Verstaatlichung, Arbeitsmarktregulierung oder die Errichtung von Zollschranken durch rechte oder linke Regierungen verhindert werden.

Überzeugend legt Slobodian dar, wie dieses Credo zur Schaffung internationaler Institutionen wie WTO, IWF, Weltbank und GATT führte und letztlich jenes neoliberale Dogma begründete, das man vor allem seit Reaganomics und dem Thatcherismus kennt: Nationale Politik hat sich globaler Wirtschaft unterzuordnen. Als "Washington-Konsens" peitschten die Weltbank und der IWF diese Doktrin in Entwicklungsländern durch, und das auf durchaus undemokratische Weise: Im Rahmen umstrittener Strukturanpassungen wurden Kredite an den Zwang zur Marktöffnung, Privatisierung und Deregulierung des Arbeitsmarkts geknüpft.

Mit Bewertungen hält sich Slobodian zurück

Die Wirksamkeit solch erzwungener Rosskuren wird insbesondere seit der Finanzkrise auch innerhalb des IWF und der Weltbank infrage gestellt. In der von Slobodian untersuchten Reinform ist der Globalismus tatsächlich ein historisches Relikt.

Möglicherweise, kann man in Bezug auf Trump mutmaßen, geriert sich der globale Immobilienmogul deswegen als Anti-Globalist, weil die internationalen Eliten lange nicht mehr so orthodox den Neoliberalismus verfechten, wie er selbst das tut.

Slobodians Erkenntnisse legen eine grundlegendere Kritik des Globalismus und Neoliberalismus nahe, als sie die Propagandaphrasen der neuen Rechten bieten. Gleichzeitig hält sich der Historiker mit Bewertungen zurück; damit steht er ganz in der Tradition der von Slobodian verehrten Frankfurter Schule. Adorno empfahl, im argumentativen Kampf gegen den Rechtsradikalismus "nicht Lüge gegen Lüge zu setzen, sondern mit einer durchschlagenden Kraft der Vernunft, mit der wirklich unideologischen Wahrheit" zu kontern.

Diesem Weg der Auseinandersetzung folgt auch Slobodians Ideengeschichte des Globalismus. Während der neurechte Gebrauch des Begriffs eine durchsichtige Inszenierung bleibt, macht er ihn zu einer präzise definierten und diskutierbaren Weltanschauung.

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