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OPER Göttin in gottloser Zeit

Die russische Sängerin Anna Netrebko trotzt den Zumutungen einer Opernkultur im Niedergang.
Von Nikolaus von Festenberg
aus DER SPIEGEL 53/2009

Giacomo Puccinis »La Bohème« ist eine verdammt traurige Angelegenheit. Unterbezahlte Jungkünstler frieren sich durch Paris. Das Burschenglück im Restaurant ist immer von der Frage überschattet: Wer kann zahlen? Hartz IV gibt es im 19. Jahrhundert nicht.

Doch dann schneit beim Dichterling Rodolfo die Nachbarin Mimì vorbei. Ihr ist das Feuer ausgegangen. Rodolfo kann dienen und entflammt zusätzlich sein eigenes Herz und das der Mimì mit Liebe. Leider stellt sich heraus, dass Mimì die Schwindsucht hat und am Schluss der vier Akte stirbt.

Nicht gerade ein Stimmungsaufheller. Aber nichts kann schiefgehen in dieser Opernverfilmung von Robert Dornhelm ("Krieg und Frieden"), die 2008 im Kino lief: Die Opernkönigin der nuller Jahre, Anna Netrebko, bittet zum Totentanz. An der Seite von Rolando Villazón, mit dem sie bis kurz vor Beginn der Dreharbeiten die Medienoper einer möglichen Affäre inszeniert hatte.

Dass im Film wegen des Endes einer möglichen Affäre alles so provisorisch aussieht, so ganz ohne Anstrengung, die Handlung glaubhaft in irgendein Jetzt zu transportieren, ist allerdings nicht anzunehmen. Es ist die Konzeption des Films, denn die Kamerafahrten durch herabfallenden Bühnenschnee, durch unglaubwürdige Kulissen zeigen den gefährdeten Stand der Kunstform klassische Oper, der man ihre Geschichten nicht mehr abnimmt, nur noch ihre Töne.

Denn so soapig die Handlung, so grandios ist die Musik. Lieben, Sterben, Zechen, Scherzen, Verzweifeln - alles brennt sich durch Puccinis Kompositionsfeuer in die Ohren. Mit Schmelz und Schmalz, mit einer Gefühlssprache, die die dürftige Bühnengeschichte überlodert. Die Musik, wenn man sie lässt und die Ohren nicht mit Coolness zustopft, dringt dahin, wo guter Pop auch hindringt: ins Herz des Zuschauers.

Aber leider ist es ja Oper, muss also eine Bühnenwelt mitgeschleppt werden, die vor Altersschwäche ins Kulissenwackeln geraten ist. Die von pathetischen Gebärden nicht lassen kann, die wie abgenutzte Floskeln stauben. Außerdem fremdelt die Musik unter Sängern, die als Schauspieler meist hoffnungslos hinter ihren Tönen zurückbleiben. Hier liegt das ewig Unzulängliche der unmöglichen Kunstform Oper. Das Außen droht immer hinter dem Innern zurückzubleiben.

Nun hat das Genre Oper sich im Laufe seiner Entwicklung eine Traumfigur ausgedacht, die die Kluft zwischen Musik und Bühne wenn nicht schließen, so doch plombieren kann: die Diva.

Sie ist, wie ihr Name sagt, selbst in gottlosen Zeiten eine Göttin. Eine herrlich launische Zicke mit vielen Sonderrechten, eine, die sich über alle Zweifel hinwegsetzt, weil sie über ein Geheimnis verfügt, das auch das tausendste Interview nicht lösen wird. Ein Wesen, das ein stilles Einverständnis zwischen Rolle, Person und Werk verspricht.

Wir reden von dem schwierigsten Job, den die Oper in einer Zeit der Banalisierung zu vergeben hat. In einer Zeit, in der Opernkultur kaum noch etwas beim Publikum voraussetzen kann: weder Respekt um ihrer Hochbürgerlichkeit willen noch überhaupt allgemeine Kenntnisse.

In der ersten Dekade dieses Jahrtausends ist die klassische Musik im Allgemeinen und die Oper im Besonderen dabei, immer deutlicher ihre Leitfunktion zu verlieren und dahinzusiechen. Wer weiß, ob ihre reichen, schönen, aber oberflächlichen Freunde mit den großen Eventroben und den 300-Euro-Karten ihre Krise übertünchen können. Es könnte sein, dass sich immer weniger moderne Schönheitssucher auf dieses unübersichtliche Derivat aus zeit- und ortloser Schönheit in altvorderer (oder regietheaterhaft aufgemotzter) Verpackung einlassen. Wohl auch, weil das sich als Unfehlbarkeit behauptende Feuilleton-Sanskrit nicht mehr verstanden wird.

So sind Diven als Übersetzerinnen der eigentlich unübersetzbaren Opernzumutung gefragter denn je, Frauen wie die 1971 im südrussischen Krasnodar geborene Ingenieurstochter Netrebko.

Sie ist in den vergangenen zehn Jahren wie selbstverständlich auf den Diventhron gestiegen. Ihr Geheimnis ist ihr Vitalismus. Mit der Kamera kann der Zuschauer ihr aus der Nähe ins Gesicht schauen. Darin herrscht professionelle Selbstsicherheit. Sterben? Sich überwältigen lassen von Tragik wie die Callas?

Von wegen. Ein Kirschmund erstrahlt, ein makelloser, wenig bewegter Gesichtsmond ist aufgegangen und scheint ebenmäßig auf die Szene. So gelassen, kraftvoll und glasklar bei Stimme und Gestalt ist wohl selten Puccinis arme Mimì den Opernbühnentod gestorben.

Netrebko ist ein Symbol einer sich abkühlenden Opernkultur, die den theatralischen Behauptungen der Libretti misstraut und mimischen Übersoll verweigert. Diese Diva steht zwar auf der Bühne, aber herrscht in der Welt des Gesangs. Die Oper ist dabei, den Kampf gegen die modernen Bildwelten zu verlieren, an szenischer Schwindsucht zu sterben wie Mimì. Aber haltet die Ohren auf, hört Netrebko zu, was die mit Tönen zu sagen hat. Viva la Diva. NIKOLAUS VON FESTENBERG

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