SCHRIFTSTELLER / MISHIMA Göttlicher Wind
Er hatte es längst beschrieben, genau genug: »Mit der rechten Hand stach er sich die Klinge in seinen Leib. Aber da sie sich in den Eingeweiden verfing, wurde sie durch deren weiche Elastizität immer wieder herausgedrückt ... Er drückte mit ganzer Kraft nach. Es gab einen Schnitt von sieben bis zehn Zentimetern Tiefe« -- so Yukio Mishima in seiner Erzählung »Patriotismus«.
Er hatte es sogar vorgespielt, täuschend sterbensecht: als Hauptdarsteller in der selbstinszenierten Verfilmung jener Erzählung. Und am letzten Mittwoch machte der 45jährige Schriftsteller ("Geständnis einer Maske«, »Madame de Sade"), einer der berühmtesten und erfolgreichsten Japans, ein Nobelpreis-Kandidat, mit der Literatur dann auch Ernst:
Mishima drang mit vier Getreuen seiner phantasiepreußisch uniformierten 87-Mann-Privatarmee »Tate No Kai« ("Schild«-Gesellschaft) in eine Tokioter Kaserne ein, rief zu einem Militärputsch auf, fesselte einen General, redete zehn Minuten vor 2000 Soldaten gegen Korruption, Verweichlichung und Linksradikalismus in Japan, für nationale Wiedergeburt und Besinnung auf alte Kriegertugenden, wurde von den Soldaten ausgebuht und beging nach einem Hochruf auf den Tenno Harakiri.
Er stieß sich das Kurzschwert etwa fünf Zentimeter tief in die linke Bauchseite und schlitzte dann etwa dreizehn Zentimeter weit nach rechts; einer seiner Jünger schlug ihm mit dem Samuraischwert den Kopf ab und endete seinerseits, unter Mitwirkung eines dritten »Schild«-Knappen, auf die gleiche, für Abendländer kaum faßbare, für Japaner traditionsreiche Weise.
Das Ritual des eigenhändigen »Bauchaufschlitzens« geht zurück auf die »Samurai«, Japans mittelalterlichen Kriegerstand, dessen religiös begründeter Ehrenkodex Todesverachtung vorschrieb und ewige Treue zum Lehnsherrn. Durch Harakiri wähnte sich der Samurai von seinem im Kampf besiegten Körper zu lösen und als »göttlicher Wind« weiterkämpfen zu können. Hatte er seines Herrn Gesetz gebrochen, hoffte er, auf gleiche Manier geläutert, seinen Lehnsdienst über den Tod hinaus weiter zu versehen. Einem ungetreuen Würdenträger pflegten die Mikados einen juwelenbesetzten Dolch nebst anmutig formulierter Einladung zum Freitod überbringen zu lassen.
Mit der Abschaffung der Samurai 1868 fiel offiziell auch der feudale Harakiri-Komment. Doch galt er fort in der japanischen Armee. Jährlich 1500 Harakiris waren Jahrhunderte lang die Regel. Drohte ihnen Gefangenschaft, so begingen 90 Prozent der Soldaten des Tenno noch im Zweiten Weltkrieg das Bauchschnitt-Ritual. Nach der Kapitulation schlitzten sich mehrere hohe japanische Militärführer in den Tod.
So politisch auch Mishima seine Selbstentleibung motiviert hat -- der grausige Akt ist doch wohl eher als ein Fall von individuellem psychischen Extremismus zu verstehen.
Der Schriftsteller, in dessen Werk Blut, Grausamkeit, Tod und Homoerotik Hauptmotive sind, war 1945 von der Armee als zu schwächlich abgewiesen worden -- eine Schlappe, die er durch Bodybuilding und andere körperliche Exerzitien zu kompensieren suchte und die jenen zuweilen dandyhaften Narzißmus verstärkt hat, der ihn immer wieder für Photographen in bizarren Stellungen und Kostümierungen posieren ließ, mal als Märtyrer-Heiliger Sebastian, mal mit Ledermütze und Uhr.
Seit einigen Jahren nahm die Exaltiertheit des hochbegabten und hochproduktiven Schriftstellers zunehmend auch politische Züge an. Mishima, der sich einst von westlichem Kulturgut manchmal schon unkritisch hatte beeinflussen lassen, entwickelte immer mehr Rechtsneigung. Seit 1968 sammelte er gleichgesinnte Jungjapaner in seiner »Schild«-Truppe um sich, übte mit ihnen Karate und andere martialische Künste und pflegte einen -- zumindest bei ihm selber -- stark ästhetizistisch getönten Elite- und Traditionskult. Gleichwohl blieb er gespalten wie sein Haus, das aus einem westlich möblierten Teil -- mit großem Nordsee-Ölgemälde -- und einem traditionell japanischen Trakt bestand. Dort hörte seine Frau Yoko, mit der er zwei Kinder hatte, am vergangenen Mittwoch die Nachricht vom gescheiterten Putschversuch und gelungenen Harakiri ihres Mannes durchs Radio und fiel in Ohnmacht.
»Außenstehende«, so hatte der Dichter in einem vorher verfaßten Schreiben prophezeit, »werden uns als verrückt bezeichnen.« Japans Ministerpräsident Sato nach dem Blutbad: »Mishima muß verrückt geworden sein«