ARCHÄOLOGIE Gold Im Maisfeld
Für die zauberische Traumpoesie und archaische Grausamkeit der keltischen Kultur, wie sie der altirische Dichter Amergin besang, entwickelten die Franzosen ein Faible schon unter Napoleon III. Noch der Erfolg des Comic-Helden Asterix hat damit zu tun.
Merkwürdig verdrängt scheint dagegen die keltische Vorgeschichte diesseits des Rheins. Die Deutschen, obgleich von Richard Wagner mit Kelten-Heroen wie Tristan und Parzival vertraut gemacht, wurden wohl zuviel mit germanischem Blut und Boden traktiert.
Nun ist gute Gelegenheit, das historische Bewußtsein aufzufrischen: Das Grab eines keltischen Stammesführers, das bei Hochdorf im württembergischen Heckengäu gefunden wurde, birgt aufschlußreiches Erbe.
Der nahe Hohenasperg war, wie die Forscher vermuten, in der frühen Eisenzeit Sitz eines mächtigen Herrschergeschlechts. Allerdings wurden die ringsum entdeckten Fürstengräber zumeist schon bald nach der Anlage geplündert.
Der Tote von Hochdorf jedoch hat mit seinen Beigaben zweieinhalb Jahrtausende wie in einem Tresor überdauert: 15 Tonnen Steine, durchschossen von Strebebalken, hatten seine Gefolgsleute auf die Grabkammer aus Eichenbohlen gewuchtet und darüber 17 000 Kubikmeter Erdreich aufgeschüttet.
Der einst an die zehn Meter hohe Hügel von 60 Metern Durchmesser war längst vergessen, niedergeackert und zuletzt mit Mais bepflanzt, als der Hochdorfer Hausfrau Renate Leibfried, die nebenher für das Stuttgarter Landesdenkmalamt die Augen offenhält, ausgepflügte Steine auffielen. Grabungsleiter Dr. Jörg Biel wähnte sich wegen des mühseligen Schürfens zunächst vor einer mittelalterlichen Festungsruine.
Um so überraschender waren die Funde der letzten Wochen:
* Der Fürst -- Skelettreste sind erhalten -- war auf einer bronzenen Liege bestattet worden, die acht Menschenfiguren auf drehbaren Rädern tragen; weder aus Deutschland noch aus dem Bereich der klassischen Antike sind vergleichbare Totenlager bekannt.
Aus Gold als Zeichen hohen Standes sind Halsreif und Armband sowie die Beschläge von Gürtel. Schnabelschuhen und Knauf und Scheide des Dolches gefertigt.
* An etruskische Gefäße gemahnt ein bronzener Kessel von 1,20 Meter Durchmesser, verziert mit Löwen.
* Die hochentwickelte Metall-Technologie belegen eiserne Radbeschläge und ein 85 Zentimeter langes eisernes Horn.
Die Größe der Grabkammer, die gänzlich mit Stoff ausgeschlagen war. wurde offenbar von einem rätselhaften Gegenstand bestimmt -- einer fast fünf Meter langen Rolle aus Leder und dünnem Bronzeblech. umwunden von Goldbändern und mit bronzenen Griffen versehen. Einstweilen konnten die Archäologen nur bergen, kaum wissenschaftlich bestimmen, was sie fanden.
Sicher ist bereits, daß der Schatz von Hochdorf aus der sogenannten Hallstatt-Zeit um 550 vor Christus stammt. als die Kelten die Kunst der Eisenverarbeitung in Mitteleuropa einführten. Damals begannen diese kämpferischen Völkerschaften, ihren Machtbereich -~ wohl als Herrenschicht -- über ein Gebiet vom Atlantik bis zum Mittelmeer und nach Kleinasien auszubreiten.
Vor allem in der jüngeren Eisenzeit, benannt nach dem schweizerischen Fundort La Tène, dominierten die Kelten nördlich der Alpen. Ihren hohen Lebensstandard bezeugen Wein-Amphoren und feine Trinkgeschirre, die von Griechenland und Italien -- etwa über die Handelskolonie Marseille -- bis zu den Kelten-Festungen Mont Lassois an der Seine und Heuneburg an der Donau oder ins südöstliche England importiert wurden.
Politisch brachten sie es nur zu Stammesverbänden. Kulturell aber wurden die Kelten, wie Archäologie-Professor Paul-Marie Duval vom Institut de France urteilt, die erste europäische Gemeinschaft: Sie sprachen eng verwandte Dialekte (die im Gälischen und Bretonischen fortleben), entwickelten ein komplexes Recht, das etwa den Frauen nahezu Gleichberechtigung sicherte, und schufen vor allem eine hochstilisierte, eigenwillig ornamentale Kunst.
Sorgfältige Grabungen der letzten Zeit belegen sogar beinahe städtisch anmutende Siedlungsanlagen. So war das keltische Manching in Bayern von einem planvollen Straßensystem durchzogen; und offenbar gab es dort bereits eine spezialisierte Wirtschaftsordnung mit Zimmerei und Töpferei, Metall- und Glashütte und einer Münzprägewerkstatt.
Barbarisch, wie Schriftsteller der klassischen Antike die Kelten nannten, waren allenfalls ihre religiös motivierten Menschenopfer und Kopfjagden und die Gewohnheit, nackt zu kämpfen. Das abschätzige Urteil ist freilich von Feindschaft geprägt.
Kelten eroberten Rom und plünderten das Heiligtum von Delphi. Sie trotzten Cäsars Heer in Gallien zehn Jahre und blieben in Irland und Schottland unbesiegt.
Die Archäologie, erklärt Professor Duval, korrigiert nun ihr Bild. Wie in Deutschland jetzt bei Hochdorf finden die Ausgräber von Spanien und England bis weit in den slawischen Raum Spuren einer gemeinsamen keltischen Tradition. Sie könnte sich -- Prähistoriker wie Duval pflegen größere Zusammenhänge zu sehen -- »als ein starkes Fundament für eine zukünftige Einigkeit und Partnerschaft erweisen«.