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UNTERHALTUNGSINDUSTRIE Gold in der Kehle

Hollywood zahlt seinen Stars für die Synchronisation von Animationsfilmen wie »Shrek der Dritte« Millionengagen. Auch Hörbücher und Hörspiele boomen - das gesprochene Wort ist in.
aus DER SPIEGEL 25/2007

Sehen Sie sich den kleinen Kerl da an«, sagt Antonio Banderas und zeigt auf den Gestiefelten Kater auf dem Plakat des Films »Shrek der Dritte«. »Sieht der nicht niedlich aus?« Dann grinst Banderas, der zweimal den Filmrächer Zorro spielte, diabolisch und raunt mit charakteristischer dunkler Stimme: »Doch wenn der Kater das Maul aufmacht, hören Sie einen Mann, der Sie eiskalt anlächelt - und Ihnen dann seinen Degen in den Leib rammt.«

Der Gestiefelte Kater, dem der Star vor drei Jahren in »Shrek 2« erstmals seine Stimme lieh, ist eine der beliebtesten Figuren in Hollywoods jüngster Animationsfilmgeschichte. Wenn der Kater jemanden mit weitgeöffneten Augen anfleht, sieht er aus wie das Inbild der süßen Miezekatze; spricht er mit Banderas' markiger Latino-Stimme, hört er sich an wie Zorro auf Pfoten. Er ist ein wundersames audiovisuelles Zwitterwesen.

Gut 1,4 Milliarden Dollar haben die beiden ersten »Shrek«-Filme eingespielt, und »Shrek der Dritte«, der jetzt in die deutschen Kinos kommt, hat es auch schon auf 350 Millionen gebracht. Dieser Erfolg verdankt sich nicht zuletzt den Stimmen von

Stars wie Cameron Diaz oder Mike Myers,

die den Fabelwesen der Filme Leben einhauchen. Hierfür zahlt ihnen Hollywood inzwischen zweistellige Millionengagen.

So lassen sich immer mehr Stars ihre Kehlen vergolden. Julia Roberts sprach schon eine Spinne, Bruce Willis einen Waschbären, Woody Allen eine Ameise. Der Komiker Chris Rock hat sogar ein Meerschweinchen, ein Zebra, einen Moskito und ein Blutkörperchen intoniert.

Für das viele Geld müssen die Schauspieler aber mehrere Jahre zur Verfügung stehen. Mitunter werden sie schon lange vor Produktionsbeginn stundenlang abgefilmt. Ihr Mienenspiel dient oft als Vorbild für die Gestaltung der Figuren. »Wenn ich Marty, das Zebra in ,Madagascar', sehe, habe ich manchmal den Eindruck, in den Spiegel zu blicken«, sagt Chris Rock.

Doch nicht nur im Kino erlebt die menschliche Stimme und mit ihr das gesprochene Wort eine ungeahnte Renaissance. Hörbücher, vor zehn Jahren meist noch Ladenhüter, verkaufen sich inzwischen zigtausendfach, vom Harry-Potter-Bestseller

bis zum Rilke-Gedichtband. Der Markt boomt und verbucht jährlich zweistellige Wachstumsraten.

»Es gibt wieder eine große Sehnsucht, Geschichten erzählt zu bekommen«, sagt Rufus Beck, einer der größten Stimmstars Deutschlands, seit er für den Münchner Hörverlag die Harry-Potter-Bände von Joanne K. Rowling einspricht. »Ganze Familien liegen bei einem verregneten Campingurlaub auf ihren Matratzen, langweilen sich aber keine Sekunde, weil sie gebannt einem Hörbuch folgen.«

Seit einigen Jahren erobern auch Hörspiele den öffentlichen Raum und Orte der visuellen Rezeption. Mit großem Erfolg werden sie inzwischen in Kinos, Planetarien und sogar unter freiem Himmel vorgeführt. »Wir bekommen häufig Anfragen, unsere Produktionen für öffentliche Vorführungen zur Verfügung zu stellen«, sagt Katrin Moll, Hörspielredakteurin beim Deutschlandradio.

Angesichts dieser Stimmenvielfalt sieht der Künstler David Hockney schon das Ende des visuellen Zeitalters nahen. Die Menschen würden den Sehsinn vernachlässigen und deshalb schlecht gekleidet durch die Gegend laufen, beklagte er vergangene Woche in einem Interview.

»Nein, unsere Kultur ist nach wie vor von Bildern dominiert«, gibt Rufus Beck vorerst Entwarnung. Doch er glaubt, dass die Menschen gerade wieder lernen, ihren Ohren mehr zu trauen.

»Viele Menschen entdecken die enormen Vorteile der Mündlichkeit wieder«, bestätigt der Stimmforscher Walter Sendlmeier von der TU Berlin. »Ein ausdrucksstark und lebendig vorgetragener Text ermöglicht uns nicht nur einen leichteren, sondern vielleicht sogar einen tieferen Zugang zur Literatur. Durch Stimmfärbung und Sprechrhythmus kann der Sprecher einem Text ganz neue Seiten abgewinnen. Zwischen einem lautlos gelesenen und einem gesprochenen Text liegen Welten.«

Nobelpreisträger Günter Grass, der seine Werke gern öffentlich vorliest, sieht im augenblicklichen Hörboom gar eine Rückkehr zu den Wurzeln der Narration. Lange bevor Geschichten aufgeschrieben wurden, hätten die Menschen sie einander erzählt. Grass: »Für mich ist der Ursprung der Literatur oral.«

In der Bibel erscheint Gott als Wort. Aus dem brennenden Dornbusch offenbart er sich Moses und dem Volk Israel, ohne seine Gestalt zu zeigen. Eine Stimme kann gerade dann eine besonders große Macht entfalten, wenn sie körperlos ist. Stanley Kubrick hat dies schon 1968 gezeigt in seinem Film »2001: Odyssee im Weltraum«, in dem sich der Computer HAL wortgewandt zum Herrn über Leben und Tod aufschwingt.

»Die Stimme ist viel größer als die visuelle Erscheinung eines Menschen«, glaubt Beck. In den Harry-Potter-Hörbüchern spricht er alle Figuren, wechselt aus der Rolle einer betrunkenen Elfe jäh in die eines zornigen Zauberers. Er erschafft mit seiner Stimme eine ganze Welt - aber, wie er sagt, nur im Schattenriss. Ausmalen müsse sich der Zuhörer die erzählte Geschichte vor seinem geistigen Auge selbst.

»Im Kino bin ich als Zuschauer ein Objekt des Films, das von der Handlung mitgerissen wird«, so Beck. »Beim Hörbuch bin ich das Subjekt, das aus dem erzählten Text die Handlung erst vollständig entwickeln muss.« Ist der Hörbuch- und Hörspielboom also eine Gegenreaktion auf Hollywoods Überwältigungskino?

Banderas hält das für gut möglich. »Als ich Kind war, wurden samstags im Radio

Hörspiele gesendet. Ich klebte am Lautsprecher und lauschte gebannt. Ich hörte diese beeindruckenden Stimmen, stellte mir die Figuren vor und entschwebte in andere Welten. Wenn man nur hört und nichts sieht, kann man in der Phantasie viel weiter fliegen als bei jedem Kinofilm.«

Der Mensch als »Augentier« sei jahrelang zu gut gefüttert worden und nun vielleicht übersättigt, meint Sendlmeier, der seit 15 Jahren den Zusammenhang zwischen menschlichen Stimmen und Emotionen erforscht. Vielleicht habe nun eine Gegenbewegung eingesetzt, die die auditiven Ressourcen des Menschen nutze.

Tatsächlich eröffnen sich im Alltag einer hochmobilen Gesellschaft immer wieder neue Gelegenheiten für Hörerlebnisse. Wer viel reist, hört oft mehr, weil er leere Zeit füllen muss. »Die 'iPodisierung' der Gesellschaft bedeutet, dass sich jeder sein eigenes akustisches Universum erschaffen kann«, konstatiert Beck.

Mehr und mehr Menschen suchen auch das gemeinschaftliche Hörerlebnis: Public Listening ist in. Wenn in Kinos wie dem Babylon in Berlin-Mitte Hörspiele vorgeführt werden, ist der Saal nicht vollständig abgedunkelt wie bei einer Filmprojektion. Die Zuhörer können ihre Blicke schweifen lassen und einander betrachten, während sie lauschen. Sie machen die Erfahrung, zusammen zu imaginieren.

Das Comeback der Stimme ist vielleicht auch ein Indiz für die Sehnsucht nach dem Authentischen in einer Welt des trügerischen Scheins. »Es heißt, die Augen seien der Spiegel der Seele, doch die Stimme bringt die Persönlichkeit eines Menschen viel subtiler und variantenreicher zum Ausdruck«, so Sendlmeier. »Sie ist die intimste Visitenkarte eines Menschen.«

Ermittler der Polizei überführen schon lange Verbrecher anhand von Stimmprofilen. Nun nutzen sogar Partnervermittlungsinstitute die Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern wie Sendlmeier. Sie richten Voice-Boxen ein, auf denen die Bewerber sich mit eigener Stimme vorstellen können. Die Erfolgsquote sei höher als bei herkömmlichen Vermittlungen, berichtet Sendlmeier.

»Die Stimme ist ein wunderbares Instrument«, sagt Banderas. »Aber um es richtig zu beherrschen, muss man ein Leben lang üben.« Als er am Broadway das Musical »Nine« spielte, sprach er den ganzen Tag kein Wort. Er schonte sich für die Zeit, die er auf der Bühne stand.

Stimmvirtuosen wie er schaffen es, ihr Rollenspektrum enorm zu erweitern. »Unsere Stimme hat eine größere Bandbreite als unser Körper. Wenn ich vor der Kamera stehe, bin ich an meine äußere Erscheinung gebunden. Ich kann keinen Kater darstellen, wohl aber einen sprechen.«

Als Kind habe er den Trickfilm »Animal Farm« gesehen und wünsche sich seither, ein Tier darzustellen, erzählt Robert De Niro. Das gelang Hollywoods größtem Verwandlungskünstler, als er im Animationsfilm »Shark's Tale« (2004) einem Hai die Stimme lieh: einem Mafiahai.

Bald soll De Niro in dem Konsolenspiel »Heat« zu hören sein, das auf dem gleichnamigen Film von 1995 beruht. Ein rasant expandierender Markt für Stimmen ist hier entstanden, auf dem Schauspieler gewaltige Summen verdienen können.

Angeblich fünf Millionen Dollar wurden Clint Eastwood geboten, damit er in dem Konsolenspiel »Dirty Harry« noch einmal den Inspektor spricht, der ihn einst berühmt machte. So könnte Eastwood eine audiovisuelle Doppelexistenz führen: Als Regisseur und Schauspieler inzwischen ein feinfühliger Friedensbotschafter und Gewaltgegner, würde er stimmlich den brutalen Racheengel neu beleben.

Andererseits hat Eastwood mit seiner fragilen Stimme von Anfang an die Brüchigkeit der scheinbar so monolithischen Figur Dirty Harry spürbar gemacht. Dem deutschen Publikum entging dies, denn in den Synchronfassungen sprach Harry stets markig. »Das ist natürlich Ausdruck einer eher klischeehaften Vorstellung von Männlichkeit«, meint der Star.

Diese Klischees sind weitverbreitet. »Marlon Brando war ein Idol von mir«, erinnert sich Banderas. »In den spanischen Fassungen seiner Filme sprach er mit einer tiefen, kräftigen Stimme. Als ich ihn später kennenlernte, traute ich meinen Ohren nicht: Er sprach sehr leise, heiser. Hatte er was an den Stimmbändern? Das war doch nicht mein Marlon Brando!«

Banderas jedenfalls umarmte seinen deutschen Sprecher Benno Fürmann bei der Berliner Premiere von »Shrek der Dritte« herzlich. Zwar macht Fürmann seinen Job, einen Latino-Kater zu sprechen, so gut, wie es für einen deutschen Sprecher eben möglich ist. Und doch ist der Unterschied zwischen hoher Stimmkunst und talentierter Stimmenimitation unüberhörbar. LARS-OLAV BEIER

* Ben Stiller, Jada Pinkett Smith, Chris Rock, David Schwimmer.

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