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THEATER-AFFÄREN Goldrausch auf der Bühne

Krach um die Chefs der beiden höchstsubventionierten britischen Schauspielbühnen: Sie sollen mit Steuermitteln auf private Profite spekuliert haben. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

Der Intendant des Britischen Nationaltheaters, Sir Peter Hall, 55, der das Haus als Nachfolger von Laurence Olivier seit 1972 leitet, bekommt ein Jahresgehalt von (umgerechnet) knapp 200000 Mark. Auf Dienstwagen und Dienstwohnung im Theater hat er vor einiger Zeit verzichtet, um interner Kritik an seinem Herrschaftsstil die Spitze zu nehmen. Doch Hall muß nicht darben: Im Nebenberuf ist er Direktor der sommerlichen Opernfestspiele in Glyndebourne, wo vorwiegend Hall-Inszenierungen auf dem Programm stehen. Glyndebourne bietet ihm, neben einem Gehalt, zu ganzjähriger freier Verfügung einen Landsitz samt weitläufigem Park und Dienstbotenhaus.

Die Londoner und die Glyndebourner Verpflichtungen lassen dem rührigen Hall aber noch Zeit, sich als freier Regisseur etwas dazuzuverdienen. Allein in den letzten sechs Monaten hat er an der New Yorker »Met«, am Broadway und in Glyndebourne je eine Inszenierung abgeliefert, allerdings keine am eigenen Theater, und nun hat er auch keine Zeit, sich in Bayreuth persönlich um die Aufpolierung seiner vermurksten »Ring«-Inszenierung von 1983 zu kümmern, die am Wochenende Premiere hat.

Er ist zwar Intendant des Britischen Nationaltheaters, doch in gewissem Sinne nur Leiharbeiter: Sein Gehalt kassiert eine Firma namens »Petard Productions«, die sich nicht - der Name täuscht - mit der Herstellung von Knallkörpern befaßt, sondern wohl ausschließlich und steuergünstig als britische Inkasso-Agentur des umtriebigen Regisseurs tätig ist: 99 Prozent der Anteile an »Petard Productions« hält Peter Hall.

Doch mit dieser wie mit etlichen anderen Kuriositäten hat sich der Aufsichtsrat des Nationaltheaters abgefunden: Wenn man Sir Peter Hall ist, langjähriger Wunderknabe und nach wie vor Englands brillantester Theatermacher, kann man sich einiges erlauben.

Seine Eitelkeit hat ihn dazu getrieben, vor drei Jahren sogar die eigenen Tagebücher zu veröffentlichen, gespickt mit Klatsch und Tratsch über Kollegen und Freunde. Der Dramatiker John Osborne hat über das 500-Seiten-Werk geurteilt, es sei »ein erschlagendes Dokument von plattem Ehrgeiz öffentlicher Oberflächlichkeit und privater Habgier«. Der abtrünnige Nationaltheater-Regisseur Jonathan Miller sagt über Hall, als Chef sei er so schlimm wie Richard Nixon, und sein Nationaltheater bringe fertig, was Görings Luftwaffe in London unerledigt gelassen habe. Die »Times« sieht das salomonischer: Hall sei, unentbehrlich«, denn er regiere »despotisch, arrogant und international erfolgreich«.

Trotz seiner kaum bestrittenen Unentbehrlichkeit ist Peter Hall in diesen Wochen in die schlimmsten Kalamitäten seiner Karriere geraten: Die »Sunday Times« hat gegen ihn den Vorwurf erhoben, er verfolge in der Grauzone zwischen subventioniertem und kommerziellem Theater angelsächsischer Machart allzu ungeniert das eigene Profitinteresse.

Die Rechnung wird beispielhaft an dem Welt-Theaterhit »Amadeus« von Peter Shaffer aufgemacht, dessen Uraufführung Hall Ende 1979 inszeniert hat. Die Aufführung wurde an den Broadway »verkauft«, wo sie fast drei Jahre lang lief - das Nationaltheater war an diesem Erfolg mit einem Prozent der Abendkasse beteiligt, das brachte insgesamt die hübsche Summe von etwa einer Million Mark.

Der Regisseur Hall jedoch war anfänglich mit vier, später mit fünf Prozent der Brutto-Einnahmen im Geschäft, bekam vom Reingewinn abermals fünf Prozent und hatte sich sogar einen Profitanteil an der Verfilmung des Hits gesichert, mit der er ansonsten nichts zu tun hatte - so sind ihm für eine Inszenierung, die er in Erfüllung seines Intendantenvertrags am Britischen Nationaltheater gemacht hatte, insgesamt nach Schätzung der »Sunday Times« sechs bis sieben Millionen Mark zugeflossen. Hall selbst behauptet dagegen, ohne sich an genaue Zahlen erinnern zu wollen, es seien kaum mehr als zwei Millionen gewesen.

Natürlich ist dieser Goldrausch dem Aufsichtsrat in London nicht ganz entgangen, und so wurde in Halls Vertrag, als er 1983 zur Verlängerung anstand, eine Klausel eingefügt, die ihn verpflichtet, zwanzig Prozent derartiger Nebeneinkünfte ans Theater zurückzugeben. Es gab wohl Grund zu solchen Vorkehrungen, denn Hall war eben dabei, in großem Stil mit Subventionsgeldern auf

Broadway-Profite zu spekulieren: Rund zweieinhalb Millionen Mark, mehr als ein Zehntel des jährlichen Zuschusses, butterte das Nationaltheater 1983 in die Uraufführung des amerikanischen Musicals »Jean Seberg«, das melodramatisch vom frühen Ruhm und frühen Tod der Schauspielerin erzählte.

Wäre das Ding ein Broadway-Knüller geworden, so hätte das Theater ordentlich profitiert, der Regisseur Hall allerdings noch viel mehr - da es aber durchfiel, ging die Pleite voll zu Lasten der Steuerzahler. Das hinderte Hall, den unermüdlichen Fürsprecher des Subventionssystems, jedoch nicht, wenig später zwecks Erzwingung höherer Zuschüsse mit der Entlassung von hundert Angestellten zu drohen und das kleine Haus des Nationaltheaters für ein paar Monate dichtzumachen.

Auch bei der jüngsten Reibach-Gelegenheit sah sich das Theater vom eigenen Intendanten übervorteilt: Als es um die Uraufführung des hitverdächtigen neuen Werkes von »Amadeus«-Autor Peter Shaffer ging, des König-David-Schauspiels »Yonadab«, wurde, schon acht Monate vor der Premiere, dem Stellvertreter und kaufmännischen Direktor des Intendanten Hall vom New Yorker Privatagenten des Regisseurs Hall die Pistole auf die Brust gesetzt: Er forderte ultimativ die gleiche Gewinnverteilung wie bei »Amadeus«. Der kaufmännische Direktor staunte, feilschte zäh zwei Promille mehr für sein Theater heraus und reichte anschließend die Kündigung ein.

Wieviel wichtiger Peter Hall inzwischen der eigene Profit als die Fürsorge für das Theater ist, die seine erste Pflicht sein sollte, hat er Anfang Juli selbst öffentlich bestätigt: Wäre der »Yonadab«-Handel nicht in seinem Sinne zustande gekommen, sagte er, so hätte er das Stück überhaupt nicht inszeniert. Da es inzwischen ein Hit ist, wird es ihm wohl - dringend benötigt für den Unterhalt von fünf Kindern aus drei Ehen - an Westend und Broadway seine nächste Million einbringen.

Auf ein paar Millionen mehr oder weniger soll es nicht ankommen: Der am meisten verdienende britische Theatermann ist Peter Hall nicht, und deshalb steht er auch jetzt nicht allein im Kreuzfeuer, das die »Sunday Times« entfacht hat. Die Angriffe gelten ebensosehr seinem ehemaligen Assistenten Trevor Nunn, 46, der seit 1968 (als Nachfolger Halls) Chef der zweiten hochsubventionierten Schauspieltruppe des Landes ist, der Royal Shakespeare Company.

Schon 1973 - so steht es in Halls Tagebüchern - hat Nunn seinem alten Mentor anvertraut, daß er eigentlich gar keine Lust mehr an Stratford habe. Nunns letzte Shakespeare-Inszenierung hieß »Ende gut, alles gut«, und dieses gute Ende liegt inzwischen bald fünf Jahre zurück. Danach hat sich der Chef der Royal Shakespeare Company ohne Gehalt beurlauben und im eigenen Theater nur noch höchst sporadisch blicken lassen: Er begann eine zweite Karriere die ihn inzwischen zum begehrtesten höchstbezahlten Musical-Regisseur der Welt gemacht hat.

Am Londoner West End laufen derzeit vier Nunn-Inszenierungen, am Broadway zwei - aber wahrscheinlich genügt, was ihm allein die neun »Cats«-Produktionen rund um die Welt Tag für Tag einbringen, um Hall mit seinen paar »Amadeus«-Millionen zu überrunden.

Ende 1984 hat Trevor Nunn in einem Brief an den Aufsichtsrat der Royal Shakespeare Company sich selbst sehr shakespearisch als einen »abwesenden Herrscher« dargestellt, der gar keine Lust habe, in sein verlassenes, langsam zerfallendes Reich heimzukehren, und er hat pathetisch gefordert, ein so pflichtvergessener Herrscher müsse »besser früher als später zum Teufel gejagt werden«.

Doch die Magie des Namens Trevor Nunn - »unentbehrlich« für die Shakespeare Company wie Hall für das Nationaltheater - ist so groß, daß der Aufsichtsrat sich darauf einließ, den »abwesenden Herrscher« als unbezahlte und untätige Galionsfigur weiter im Amt zu halten. So hat Nunn die Chance genutzt, doch kurz heimzukehren, zu einer Unternehmung, die nun auch in den Ruch

der unguten Verquickung von Subventions- und Kommerztheater geraten ist:

Nunn hat im letzten Herbst mit der Shakespeare-Truppe das Musical »Les Miserables« inszeniert, das, wie geplant, zwei Monate nach der Premiere in ein kommerzielles West-End-Theater verpflanzt wurde und Anfang 1987 an den Broadway übersiedelt.

Während aber die Royal Shakespeare Company, die eine Million Mark aus ihrem Subventionstopf in die Show investiert hat, noch eine Weile warten muß bis sie richtig an den Gewinnen beteiligt wird, kassiert Regisseur Nunn schon laufend seinen Anteil an der Abendkasse. Im Lauf eines halben Jahres, so schätzt die »Sunday Times«, haben ihn Victor Hugos »Elende« um rund 200000 Mark reicher gemacht.

Trevor Nunn schweigt zu den Enthüllungen der »Sunday Times«, Peter Hall hingegen hat gerichtliche Schritte gegen die Zeitung eingeleitet. Die Öffentlichkeit ist erregt, der Kulturminister will eine Untersuchung veranlassen.

Aber wie soll man die »Unentbehrlichen« entbehren? Daß Nunn die Royal Shakespeare Company »lieber früher als später« verlassen möchte, steht kaum in Frage, und auch nicht, daß Halls Vertrag 1988 nicht erneuert wird. Dieser Vertrag, auch ein kurioses Detail, räumt Hall das Recht ein, seinen Nachfolger selbst zu bestimmen. Er soll schon gefunden sein, auch wenn ihn Hall noch nicht nennen will. Sicher scheint immerhin, daß er nicht Trevor Nunn heißt.

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