GESELLSCHAFT Grober Undank
Vor dem Superior Court in Los Angeles kämpft mehrmals im Monat eine unübersehbare Menschenmenge mit Fingernägeln und Ellbogen um Einlaß. Denn in den hehren Hallen der Justiz läuft derzeit, so das US-Magazin »Time«, der »beste Soft-Porno der Stadt«.
Dort geben der ledergesichtige Film-Schurke Lee Marvin ("Cat Ballou") und seine Ex-Freundin Michelle Triola Bettgeschichten en detail zu Protokoll: »Sie haben es«, resümierte Richter Arthur K. Marschall, »recht gerne auf Französisch gemacht.«
Sechs Jahre lang hatte das Hollywood-Pärchen in derart wilder Ehe zusammengelebt, als die Liaison 1970 zerbrach: Die sitzengelassene Michelle verklagte Marvin auf Zahlung von über einer Million Dollar. »Sie hat mit Lee eine eheähnliche Beziehung gehabt und will daher auch wie eine Ehefrau abgefunden werden«, argumentiert Triola-Anwalt Marvin Mitchelson, der sich ein Erfolgshonorar von 500 000 Dollar ausbedungen hat.
Marvin-Vertreter Mark Goldman sucht dagegen zu beweisen, daß »es sich ausschließlich um eine sexuelle Beziehung gehandelt« habe -- etwa mittels peinlicher Befragung über die Sexpraktiken des Paares oder durch öffentliche Verlesung von Marvin-Briefern »Ich vermute, wir werden den Rest unseres Lebens im Bett verbringen. Hmmm!«
Bald werden die Amerikaner auch wissen, wie andere Show-Stars ihre Nächte gestalten: Eine ganze Riege verlassener Gespielinnen ist dem Triola-Beispiel gefolgt und hat ihre Ex-Partner mit Millionenklagen überzogen.
So fordert das Mannequin Cindy Lang von Rock-Papst Alice Cooper dreieinhalb Millionen Dollar für sieben gemeinsame Jahre.
Der schwerreiche Schauspieler Nick Nolte soll seiner ehemaligen Freundin Karen Ecklund, mit der er sechs Jahre zusammengelebt hatte, fünf Millionen Dollar Abfindung zahlen -- eine als Schadenersatz für ihre abgebrochene Karriere, zwei für ihre Rolle als Begleiterin und zwei als Schmerzensgeld.
Und Jennifer Nairn Smith, ehemalige Tisch- und Bettgenossin des »Exorzist«-Regisseurs William Friedkin, will zwei Millionen Dollar einklagen -- angesichts ihrer dreijährigen Beziehung zu dem amerikanischen Filmemacher ein Stundenhonorar von 76 Dollar Tag und Nacht.
Doch nicht nur hochkarätige Hollywood-Junggesellen bangen dem Marvin-Urteil entgegen. Denn geht die Klage durch, müssen auch weniger betuchte US-Bürger fürchten, vor Gericht gezerrt zu werden, falls sie dereinst ihrer Partner überdrüssig sind. Allein in Kalifornien sind schon jetzt über 1000 Unterhaltsklagen verlassener Lebensgefährten aktenkundig.
»Es ist ziemlich paradox«, spottete der amerikanische Familienrechtler Henry Foster, »daß sich unverheiratete Paare genau in jenen juristischen Schwierigkeiten wiederfinden, die sie eigentlich durch das Nicht-Heiraten hatten vermeiden wollen.«
Um solcher Unbill zu entgehen, schließen immer mehr Paare ohne Trauschein Partnerverträge ab -- ein Trend, der sich auch in der Bundesrepublik langsam durchsetzt: Auf vorgedruckten Formularen regeln sie Vermögensverteilung und Besitzverhältnisse, beziffern den jeweiligen Zuschuß zu Haushaltskasse und Mietkosten -- und legen, wie etwa in einem US-Vertrag, bisweilen gar fest, »ob (und wenn ja, wie oft) die Partner fremdgehen dürfen«.
Im Falle einer Trennung ist dann eindeutig geregelt, wer wieviel bezahlt und wer was zu bekommen hat. Trotzdem mögen viele nicht unterschreiben: »Das ist«, ekelt sich ein wilder Ehemann, »als würde man sich im Gerichtssaal umarmen.«
Derlei Vereinbarungen beenden jedoch die rechtlichen Unsicherheiten um eine Lebensform, die in den westlichen Industrieländern immer beliebter wird: Nahezu zwei Millionen US-Amerikaner, doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren, leben unverheiratet zusammen. In den skandinavischen Ländern sind über 30 Prozent aller Verbindungen, die von Partnern zwischen 20 und 35 Jahren eingegangen werden, nicht vom Standesamt abgesegnet.
Auch in der Bundesrepublik leben derzeit schätzungsweise 350 000 Paare unter einem Dach. »Zusammenleben ist moralisch akzeptabel geworden«, konstatierte der US-Soziologe Wesley Fisher. »Es ist eine Institution.«
Doch während viele Länder Unverheiratete rechtlich für den Scheidungsfall absichern, weigerte sich die westdeutsche Justiz bislang mit konservativer Standhaftigkeit, wilde Ehen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Artikel sechs des Grundgesetzes hilft dabei: »Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.«
So wird es auch in Zukunft möglich sein, daß sich etwa ein Student jahrelang von seiner arbeitenden Freundin durchfüttern läßt -- und nach dem Examen folgenlos verschwindet. »Selbst in solch krassen Fällen ist rechtlich kaum etwas zu holen«, erklärt die Hamburger Rechtsanwältin Dr. Manna Todtenhaupt Puttfarken.
Denn wer im Streit scheidet und vor Gericht auch nur seine mitgebrachten Siebensachen zurückfordern will, muß erst mal beweisen, daß sie ihm gehören -- meist ein hoffnungsloses Unterfangen. »Der Robustere nimmt da meist alles mit, der andere geht leer aus«, weiß Marianne Brinckmann, Rechtsanwältin in Wohltorf bei Hamburg, aus Erfahrung.
Kaliforniens oberster Gerichtshof, wie Deutschlands Justiz eigentlich zu »Schutz und Förderung der Ehe« verpflichtet, ging dieses Problem frontal an und entschied 1976: »Eine ungleiche Verteilung von Vermögen, das in einer wilden Ehe geschaffen wurde, ist ungerecht.« Mit diesem Grundsatzurteil verwies der Supreme Court die Triola-Klage, bis dahin von zwei Instanzen als unberechtigt abgeschmettert, zur Klärung an das untergeordnete Gericht.
In der Bundesrepublik werden strittige Trennungen Unverheirateter, wenn überhaupt, nur mittels außergewöhnlicher Rechtskonstruktionen entschieden. So mußte ein junger Mann seiner Freundin 3000 Mark, die sie ihm geschenkt hatte, nach der Trennung zurückzahlen -- wegen groben Undanks: Er hatte es nebenher mit anderen Frauen getrieben.
Und das Düsseldorfer Oberlandesgericht teilte ein gemeinsam finanziertes Auto halbe-halbe zwischen einem Pärchen auf, obwohl die Wagenpapiere den Freund als alleinigen Besitzer auswiesen: Die Richter waren der Ansicht, zwischen den beiden habe eine BGB-Gesellschaft bestanden -- ein auf die Ausübung gemeinsamer Interessen beschränkter Vertrag, wie er stillschweigend auch bei gemeinsamem Ausfüllen eines Lottoscheins entsteht.
In anderen Ländern sind solch juristische Verrenkungen unnötig: Die Trennung zwischen Unverheirateten ist gesetzlich geregelt -- mitunter, wie etwa in Israel, bis auf den letzten Knopf. Bei den Franzosen können verlassene Partner Rentenansprüche geltend machen, in Portugal wird nach zwei Jahren papierloser Ehe Unterhalt fällig, und in Ungarn haben Mann und Frau einen Rechtsanspruch am gemeinsam erworbenen Gut.
US-Richter gehen bereits soweit, auch bei homosexuellen Verbindungen Unterhaltsansprüche anzuerkennen. So verurteilte ein Gericht in San Diego eine Lesbierin, ihrer früheren Freundin 100 Dollar im Monat zu zahlen -- für eine Beziehung, die nicht einmal vier Wochen bestanden hatte.
»Wer weiß«, sinnierte »Time« angesichts solcher Rechtsprechung, »was die Gerichte aus einer ménage à trois machen werden.«