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TV-KASSETTEN Großartige Sache

aus DER SPIEGEL 47/1970

Quelle-Chef Gustav Schickedanz, 75, Europas reichster Katalog-Geschäftsmann (Konzernumsatz 1970: vier Milliarden Mark), und Zeitungszar Axel Cäsar Springer, 58, Deutschlands mächtigster Verlagsherr (Konzernumsatz: rund eine Milliarde Mark), wollen wie ein Mann gegen den Bildungsnotstand zwischen Rhein und Elbe aufstehen.

Schon ab Juli nächsten Jahres werden Springers Konzerntochter Ullstein AV audiovisuelle Produktions- und Vertriebsgesellschaft (U AV) und die Foto-Quelle GmbH des Gustav Schickedanz dem deutschen Heimkino zu Bildungs- und Erziehungszwecken Kassettenfilm-Programme mitsamt dem dazu nötigen Zubehörgerät liefern.

Der Fürther Versand-Krösus, dessen Reingewinne für 1970 auf über 200 Millionen Mark (vor Körperschaftsteuern) geschätzt werden, und der Hamburger Pressekaufmann, der ein Viertel aller Tageszeitungs-Auf lagen in Deutschland fabriziert, haben sich das Geschäft geteilt: Springers Ullstein AV produziert die Filme, Quelle bietet sie ihren mehr als acht Millionen Kartei-Kunden per Versand-Katalog an.

Der sendungsbewußte Verleger, dessen Redakteure kraft Konzernsatzung für die Wiedervereinigung votieren müssen, und der versandbewußte Handelsmann aus Fürth, der en gros in Ostblock-Ländern einkauft, sich nebenher aber mit dem Titel eines Königlich Griechischen Honorarkonsuls schmückt, begründen damit das größte Machtkombinat, das auf dem expansiven Markt des Kassettenfernsehens in Deutschland denkbar ist.

Verleger Springer hat sich mit der Foto-Quelle und deren Millionen-Kartei einen noch breiteren Vertriebsweg geschaffen als vorher bei seinem inzwischen gelösten Verlöbnis mit der Bertelsmann-Gruppe, die vier Millionen Anschriften von Leseringmitgliedern verwaltet.

Versender Schickedanz kaufte sich bei Ullstein einen hinreichenden Vorsprung vor dem kleineren Konkurrenten Neckermann ein, der ab März 1971 ebenfalls Projektoren und Filme liefern will. Ullstein und Quelle zusammen werden, wie ein Fernschreiben der Schickedanz-Presseabteilung stolz vermerkte, »aufgrund der Marktführerschaft der Foto-Quelle eine Weichenstellung zugunsten des ohnehin vom Gros der europäischen Gerätehersteller bevorzugten Systems« vornehmen.

Als bevorzugtes System erkannte Quelles Foto-Manager Lothar Schmechtig den Super-8-Schmalfilm und die Kassette der US-Firma Beil & Howell, die In Wiedergabegeräte des gleichfalls amerikanischen Kodak-Konzerns, auf die Neckermann setzt, nicht hineinpassen -- und umgekehrt. Die Super-8-Schmalfilme aus Verleger- und Versenderhand können Bundesbürger ab Mitte 1971 in 1 x 1,25 Meter Größe an die heimische Leinwand werfen, wozu ihnen Foto-Quelle einen Projektor mit auf gespaltenem Lichtton für 600 bis 700 Mark liefert.

Für anspruchsvollere Kunden will Foto-Chef Schmechtig zudem ein »Rückpro«-Gerät mit fernseherähnlichem Gehäuse für rund 1000 Mark anbieten, das den Schmalfilm von hinten an die 61-Zentimeter-Mattscheibe projiziert.

Genießer der Heimtechnik können schließlich einen Adapter erwerben, mit dessen Hilfe sie den Super-8-Film unmittelbar auf den privaten Farbfernsehschirm übertragen. Allerdings kreidet Quelles Schmechtig den bisher einzigen deutschen Herstellern eines solchen Geräts, der Bremer Firma Nordmende und dem Stuttgarter Bosch-Konzern, ihre mit 2500 bis 3000 Mark recht üppigen Preise an. Schmechtig möchte Hochleistungsgeräte dieser Art später für 1700 bis allenfalls 2000 Mark verkaufen.

Als erste Zielgruppe für ihre Verkaufsstrategie peilten die Foto-Quelle-Manager Deutschlands gut verdienende Medizinmänner an. Ihnen möchten sie das bei Ullstein schon fertiggestellte Ärzteprogramm andienen -- in der Hoffnung, dann auch gleich Projektoren, Adapter und Farbfernsehgeräte loszuwerden.

Zudem wird Quelles Foto-Katalog 1971 unterhaltsame Spielfilme von anderthalb Stunden Dauer zur zweiwöchigen Vermietung für 20 Mark anpreisen. Der populärwissenschaftliche Mondprofessor Heinz Haber wird gleich dreizehnmal auf Dreiviertelstunden-Kassetten des Quelle-Versands für neun Mark zu mieten sein.

Auch die Hobbys der Erwachsenen und die Welt des Kindes wollen Ullstein und Quelle versandfertig nutzen: Halbstündige Lehrfilme für Skifahrer und Kleingärtner sowie Märchenfilme werden das Quelle-Angebot abrunden. Film-Schmechtig: »Das kann und müßte eine großartige Sache werden.«

Die Absicht, den Deutschen zusammen mit Lehrfilmen über Blumenzwiebeln auch Streifen mit Springer-Weltanschauung in den Adapter zu schicken, besteht laut Schmechtig nicht. Quelles Film-Versender: »Die Lehrprogramme bleiben auf den naturwissenschaftlichen Zweig begrenzt. Eine Tendenz ist von Anfang an ausgeschlossen.«

* Mit Ehefrau Grete.

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