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BROCK Große Linie

aus DER SPIEGEL 47/1965

Der kleine Hörsaal war zu klein - die Studenten der Hamburger Hochschule für Bildende Künste rannten In die Aula: Dort hielt Bazon Brock, 29, neuer Dozent für Ästhetik, seine Antrittsvorlesung. Thema: »Der künstlerische Avantgardist als gesellschaftlicher Reaktionär«.

Doch Brock war nicht der Brock, den die Hanseaten erwartet hatten: Der Lehrer nahm von dem Kopfstand Abstand, mit dem er gewöhnlich falsche philosophische Sentenzen illustriert.

Statt dessen überschüttete der einstige Adorno-Schüler sein Vollbart- und Schwarzstrumpf-Publikum eine Stunde lang mit Abstraktionen - offensichtlich bedacht, weder den Akademie-Direktor Herbert Freiherr von Buttlar zu vergrämen, der Brock zum Gärtner im Hamburger Kunstgehege gemacht hatte, noch den Hamburger Senat, der ihm monatlich 804 Mark brutto zahlt.

Denn Brock hatte an gleicher Stätte schon Schrecken verbreitet: Im Dezember 1959 nahm er mit dem Wiener Maler Hundertwasser die »große Hamburger Linie« in Angriff. Diese Spiral-Linie von »Bleistift, Tinte, Urin des Propheten, Ölfarbe«, so verkündete ein Manifest, sollte bei »stetem Abspielen arabischer Musik« über sämtliche Wände der Akademie gezogen werden.

Die »große Konzentrationsübung« dauerte 46 1/2 Stunden. Dann war der Hochschul-Saal 213 liniiert und die Langmut des damaligen Hochschul-Direktors Hans von Oppen erschöpft. Hundertwasser legte seine Gast-Dozentur nieder, Brock floh aus der Stadt zu neuen Demonstrationen.

1962 ließ er vor geladenem Publikum auf dem Rangierbahnhof in Sachsenhausen eine Lokomotive im Leerlauf unter Dampf setzen und verlas dabei Nietzsche-Texte gegen den Moloch Technik. Brock: »Meine Lesung gab Anlaß zur Heiterkeit.«

1963 verteilte er vor der Frankfurter Hauptwache kostenlos 5000 Exemplare einer »Bloom-Zeitung«, ein Spiegelbild der »Bild-Zeitung«. Einziger Unterschied: Sämtliche Eigennamen waren durch den Namen Bloom ersetzt.

1964 präsentierte er »ein fortschreitendes Denkmal zu ebener Erde": Er band einem Schuljungen sein Photo auf den Rücken und folgte dem Bildträger durch Frankfurts Straßen, wobei er gegen Laternenpfähle stieß und Passanten umrempelte - der Denkmalmacher hatte nur Augen für sein Porträt. Brock, der »Beweger« als Beruf angibt: »Ich wollte zeigen, wohin es führt, wenn man

- wie der moderne Künstler - allein

sich selbst im Auge hat.«

Eine solche »immanente Kritik«, so meint Brock, sei noch die einzig wirksame. Brock: »Statt Sand im Getriebe der Welt hat man das Öl zu sein; man muß sich ins Jesuitenherz hineinschleichen und dann die Soutane fallen lassen, anstatt gegen Jesuiten zu wettern.« Daß der neue Ästhetik-Dozent demnächst die Soutane abwerfen und Öl in den Betrieb der Hamburger Kunstakademie träufeln wird, ist gewiß. In seiner Antrittsvorlesung prophezeite er Norddeutschlands künftigen Künstlern: »Trauen Sie mir nicht, seien Sie auf der Hut, verfallen Sie nicht dem objektiven Schein nobler Wissenschaftlichkeit.«

Brock-Bild-Träger, Dozent Brock

Sich selbst im Auge

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