FILM Großer Poet
Mit 27 Jahren hatte der Regisseur Raoul Walsh eine »Evangeline« gedreht -- einen poetischen Stummfilm voller Liebesleid und Pesttod. Als aber die Tragödie beim Publikum durchfiel« entschied sich Walsh, »die ganze Kunst mm Teufel zu schicken«.
Betont schlicht, auf Wirkung und gutgebaute Storys bedacht, hat der (mittlerweile 81 jährige) amerikanische Filmemacher seither nur noch marktgängige Konsumfilme gemacht -- über 100 Western und Abenteurerstücke, Piratenspektakel und Kriegsepen, Komödien, Musicals und Gangstermelodramen. Fünf Jahrzehnte lang galt Walsh als routinierter »Regisseur konfektionärer Dramen« ("Neue Zürcher Zeitung").
Erst Anfang der sechziger Jahre, als Frankreichs Cineasten für Hollywood-Glamour zu schwärmen begannen, kam auch Raoul Walsh zu Ehren. Nun wurde er als ein »großer Kino-Poet« von »männlicher Klarheit« gerühmt.
Eine deutsche Walsh-Hommage ließ lange auf sich warten. Nun steht sie bevor -- natürlich im Fernsehen, Am kommenden Sonntagnachmittag (ARD, 15.30 Uhr) gibt »Der Engel mit der Trompete« das Start-Signal zu einer sechsteiligen Walsh-Werkschau.
Held dieser 1945 gedrehten Komödie mit Slapstick-Touch ist ein Trompeter, dem träumt, er sei als Engel herabgeschickt, um mit Fanfaren-Stoßen den Untergang der Erde anzukündigen. Der »universelle Regisseur, der in allen Kino-Genres gearbeitet hat« (ARD-Filmredaktion), bewährt hier seine leichte Hand.
Typischer für Walsh ist das, was im TV-Programm noch folgt:
* »Sheriff wider Willen« (1958), eine Western-Komödie über einen honorigen Briten, der zwei Killerbanden zur Räson bringt und die propere Saloon-Wirtin (Jayne Mansfield) heimführt (1. September);
* »Verfolgt« (1947), ein Psycho-Western mit Robert Mitchum (in deutscher Erstaufführung, am 3. September);
* »Sturmfahrt nach Alaska« (1952), romantisches Seefahrer-Epos um einen US-Kapitän und eine russische Gräfin (13. September);
* »Mit der Waffe in der Hand« (1953), ein Rächerdrama mit Rock Hudson (15. September);
* »Die Nackten und die Toten« (1958), Verfilmung des Romans von Norman Mailer (18. November). Trotz thematischer Vielfalt ist die Handschrift des Regisseurs in all diesen Werken leicht erkennbar: ein »außerordentliches Maß an Genauigkeit« (Kritiker Helmut Färber), grimmiger Humor, ein verklärender Blick zurück und, vor allem, Action. »Kino«, sagt Walsh, »heißt mit gutem Grund »motion picture'. Es lebt von der Bewegung.«
In aktionsgeladenen, gleichwohl ruhig fließenden Bildfolgen, in effektsicheren Kino-Märchen hat Walsh immer wieder »die guten, großen Zeiten« beschworen. Er glorifizierte -- ähnlich wie die von ihm verehrten Regie-Stars Hawks und John Ford -- Tradition, Pioniergeist und rauhe Männerfreundschaft; er bewunderte die ganzen Kerle, die hartgesottenen Abenteurer und verwegenen Tatmenschen.
Diese Motive variierte Walsh, dessen archaische Kinomoral oft heftig angefeindet wurde, auch in »bösartigen, säuischen« ("Süddeutsche Zeitung") Landsergeschichten, in Killerdramen wie »White Heat« (1949), in Monumental-Western wie »The Big Trail« (1930). Seine Lieblings-Stars waren »harte Männer": Douglas Fairbanks, Errol Flynn und Clark Gable.
Als Draufgänger und Rauhbein gefiel sich Walsh, der Cowboy-Tracht zu tragen pflegt, auch selbst. So ließ er sich bei einem Gelage mit Südsee-Insulanern standhaft die Nase durchbohren. Im Jeep fuhr er so schneidig durch die Wüste, daß er mit einem Hasen kollidierte und sein rechtes Auge einbüßte.
Männermut hatte Walsh früh gebrauchen können. Der New Yorker Maurersohn war, nach einem Tramp-Leben als Rodeo-Artist und Hilfssheriff, 1912 zur Truppe des US-Kinopioniers David Wark Griffith gestoßen. Dem Regie-Assistenten Walsh oblag es, die ständig betrunken im Saloon lungernden Cowboy-Statisten rechtzeitig vor die Kamera zu zerren.
Ein guter Auftritt (als Lincoln-Mörder) im Griffith-Klassiker »Geburt einer Nation« verschaffte ihm die Chance, eigene Filme zu drehen: Tom-Mix-Western« Sozialdramen und Liebesgeschichten. Mit Kassenerfolgen
der primitiven »Nickel-Odeon«-Kinos gesegnet, avancierte der Griffith-Schüler bald zum gefragten Regisseur, der -- bis zur unseligen »Evangeline« -- auch Kunst-Ambitionen entwickelte.
Für Walsh, der am liebsten an Originalschauplätzen drehte und so seinen Stars extreme physische Strapazen zumutete, spielten seit 1924 nahezu alle Hollywood-Idole -- von Mac West bis Jane Russell, von John Wayne bis Humphrey Bogart.
Als der Traumfabrik-Mythos zerbrach, das Fernsehen die Ateliers besetzte, zog sich Walsh allmählich aufs Altenteil zurück. 1964 drehte er einen letzten Kavallerie-Western. »Die blaue Eskadron« -- selbst für treueste Anhänger nur das »traurige, aber rührende Epitaph eines großen Regisseurs« (Walsh-Biograph Kingsley Canham).
Von seiner Ranch bei Los Angeles beobachtet der Veteran die Entwicklung des Showbusiness nun recht mißvergnügt -- vor allem die »miserablen« Serienwestern der Television: »Die Schauspieler«, raunzt Walsh, »können noch nicht mal richtig aufs Pferd steigen.