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Großstadt-Cowboy aus dem Kohlenpott

SPIEGEL-Redakteurin Barbara von Jhering über den »Schimanski«-Darsteller Götz George *
aus DER SPIEGEL 42/1985

Am liebsten spielte der Vater heroische Autoritäten: Herzöge, Bürgermeister, auch den »Postmeister« und den »Götz von Berlichingen«. Mit dem »Götz« identifizierte er sich so sehr, daß er einen Sohn nach ihm benannte.

Ein manischer Schauspieler war der Vater, ein Schwergewicht an Talent und Gestalt, von dominierender Präsenz auf Bühne und Leinwand wie auch im richtigen Leben. Er liebte die Heldenpose und die gewaltige Rede. Er war staatstragendes Theater in Person.

Auch der Sohn spielt einen Helden, verkörpert ihn so lebensecht, daß die Leute den Schauspieler mit dem Namen seiner Rollenfigur anreden. Sein Held aber ist von ganz anderer Art: ungewandt, sogar unsicher, rüpelhaft und muskelprotzend. Seine Sprache ist nachlässig und motzig, er nuschelt Kohlenpottjargon. Oft agiert er am Rande der Gesetze, ist undiszipliniert und schlampig. Und doch - ein Vertreter der Obrigkeit ist er auch, ein Kriminalkommissar im Revier. Er vertritt einen Staat, der durch Selbstzweifel verunsichert ist, zu dessen Autoritätsverständnis gehört, daß er seine Autorität in Frage stellt.

Zweimal Zeitgeist, dargestellt von Heinrich George - im Dritten Reich »Staatsschauspieler« und Intendant des Berliner Schiller-Theaters - und von seinem Sohn Götz, dessen Rüpelkommissar Schimanski rund 50 Jahre später das Fernsehvolk in seinen Bann zieht. Prominent, wenn nicht gar verehrt war der Vater, populär, wenn nicht gar auf dem Wege zur Kultfigur ist jetzt der Sohn.

Gerade die Ruppigkeit ist es, die Götz George, 47, die außerordentliche Gunst des heutigen Publikums sichert. Mehr als 50 Prozent der Fernsehzuschauer, das sind fast 20 Millionen, schalten sich in die Eskapaden des maulfaulen Kripobeamten ein, der sich jederzeit mit Vorgesetzten anlegt und ein Herz hat für die kleinen Leute.

Jetzt kann man ihn in der verbeulten Windjacke, die sein Markenzeichen geworden ist, auch über die Großleinwand hechten sehen: Letzte Woche hielt »Tatort«-Schimanski Einzug in die deutschen Kinos mit »Zahn um Zahn«.

Das signalisiert alttestamentliche Härte, und in der Tat: Unbehindert von den Tabus einer auf Jugendfreiheit verpflichteten Fernsehanstalt, darf der Action-Kommissar hier so richtig zeigen, was er drauf hat. Die Prügeleien sind deftiger, die Liebesszenen auch.

Straßenschlachten mit Duisburger Rockern, Verfolgungsjagden auf südfranzösischen Landstraßen, Liebe auf offenen Lastwagen - die härtere Gangart des Films soll vor allem jugendliche Schimanski-Fans in die Kinos locken. So ruppig war der TV-Polizist nicht mehr seit den ersten »Tatort«-Folgen 1981 mit dem neuen Kommissar, die heftig diskutiert wurden.

»Klasse Kerl oder Schmutzfink?« fragte damals »Bild« irritiert. Der Neue war ein »Alternativ-Bulle« ("AZ"), ein »Maulheld zwischen Männern und Miezen« ("Die Welt"), ein »Kraftmeier mit Herz« ("FAZ"). Ein echter Duisburger Kripobeamter schimpfte: »Der Mann dürfte bei mir nicht mal Fahrraddiebstähle bearbeiten.«

Inzwischen nimmt niemand mehr Anstoß an dem muskelbepackten TV-Beamten, der in Jeans und Turnschuhen umherläuft und gern eine jugendbewegte Fäkalsprache verwendet. In den Warenhäusern ist Schimanskis Windjacke zum Verkaufsschlager geworden. Für die Regenbogenpresse ist er längst unerläßlicher Bestandteil der Klatschspalten, aber auch Intellektuelle sind dem Brachial-Typ aus der Glotze verfallen. Die Figur kommt an, der Typ ist »in« - unkonventionell, einsam und doch »irgendwie« sozial, widerspruchsvoll kaputt und doch jung in alle Ewigkeit, handkantig und sanft zugleich.

Als Kontrastfigur zu einem geschniegelten Biedermann wie Derrick oder dem gemütvollen Opa Ode verweist Schimanski die superkorrekten Beamten in der TV-Detektiv-Riege aufs Altenteil. Sein Kommissar ist unbotmäßig und eigenwillig, mehr noch: Er ist ein pubertärer Traumheld, der all das tut, was manch braver Mann auch gern täte, sich aber nicht traut - hinlangen ohne Bedenken, reden ohne Maulkorb, leben ohne

Bindungen. Er ist der Asphalt-Cowboy, der im Dickicht der Städte aufräumt und in Not geratenen Frauen zu Hilfe kommt, und er ist der Pirat, der Frauen aufreißt und wegwirft, ganz wie es ihm gefällt - Männlein-Träume.

Der domestizierte Mann - geplagt von Alltagssorgen und zermürbt durch Diskussionen mit der Ehefrau, die ihre Ansprüche immer fordernder geltend macht - findet auf der Mattscheibe sein Ideal einer ungebundenen Existenz.

Und einer scheinbar alterslosen dazu: Wie ein 17jähriger sprintet Schimanski über Straßen, rollt sich über Kühlerhauben, flankt über Absperrungen. Daß Götz George schon 47 Jahre alt ist, macht den Traum für seine zipperleingeplagten Zuschauer erst schön. Mit der narzißtischen Zurschaustellung seines muskelbepackten Körpers scheint er ein Bollwerk gegen den Verschleiß zu errichten.

Freilich: Wenn Götz George zirka einmal pro »Tatort« den Oberkörper freilegt, dann führt er das Ergebnis schwerster Fitneß-Arbeit vor. In den virilen Aufbau seiner Muskeln hat er seit jeher viel Mühe gesteckt, und gejoggt ist er schon, bevor die halbe deutsche Bürogesellschaft diesen Begriff in ihren aktiven Wortschatz aufnahm.

Gerade wenn''s schwierig wird, da ist er unerbittlich deutsch, macht Götz George am liebsten alles selbst; er ist berüchtigt dafür, daß er sich nur im äußersten Fall doubeln läßt. Lieber nimmt der Star eine Platzwunde in Kauf, als die Stunts abzugeben.

Kindertheater? Indianerspiel? Das gehöre, sagt er, nun einmal zur Trivialität des Genres. Und wenn die Leute ihn nicht zuletzt wegen der Ernsthaftigkeit anhimmeln, mit der er ihre und seine Kinderträume nachspielt, dann werden auch am Menschen George jene Brüche und Ungereimtheiten sichtbar, die er an seinem Schimanski so schätzt.

Er strengt sich an, um bekannt und beliebt zu werden, und reagiert dann auf den Medienrummel, der um ihn gemacht wird, mit müder Abwehr oder sogar Geringschätzung. Die Nähe der Fans, das Bad in der Menge, sei ihm sogar unangenehm, sagt er, und »daß die heute nicht mehr unterscheiden können zwischen Kunstfigur und Darsteller«, will ihm nicht in den Kopf.

Er mag sich Ruhm nur bedingt gestatten, schon gar nicht wegen des Schimanski. Und es irritiert ihn, daß die Anerkennung durch ein breites Publikum erst jetzt kommt. »Ich bin doch kein besserer Schauspieler als früher«, murrt er. In diesem Protest liegt auch Kränkung darüber, daß er für die meisten seiner ernsthaften Rollen verrissen wurde. Er nennt den Danton in Rudolf Noeltes durchgefallener Salzburger Inszenierung von 1981. Und wer weiß schon noch, daß er 1977 in Theodor Kotullas Film »Aus einem deutschen Leben« den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß gespielt hat - und das gut, wie die überwiegende Zahl der Kritiken konstatierte?

Bitternis klingt durch, auch ein Ton von Selbstverachtung, wenn er sich über den heutigen Kulturbetrieb ausläßt, das Fernsehen zumal. Dann kommen ihm die Worte »Trivialität« und »Mittelmäßigkeit« leicht über die Lippen. Schließlich ist es lange still gewesen um das talentierte Kind berühmter Eltern.

Mit 47 Jahren ist er jetzt auf der Höhe seiner Karriere, und so albern er die Gleichsetzung von Schauspieler und Rolle findet, so heftig er sich dagegen wehrt, daß Schimanski und George als eine Person gesehen werden - so unverkennbar ist, daß er in dieser Figur ein Stück Identität sucht und findet.

An der Entwicklung des Schimanski hat sich George ein wichtiges Mitspracherecht ausbedingen können. Noch immer verändert er im Gespräch mit dem Team - oder in endlosen Monologen - Drehbuchanweisungen und Dialoge. Und nicht zufällig ist dabei eine unfertige und offene Figur entstanden, die Autorität zugleich ablehnt und verkörpert, die kindlich revoltiert und zugleich eine »Message« von Verantwortung rüberbringen will.

Schimanski ist ein Mann, der sich schwertut mit dem Erwachsenwerden. Und Götz George? Seinen berühmten Vater hat er in einem Alter verloren, in dem Jungen ihre Väter im allgemeinen rückhaltlos bewundern, mit acht Jahren. 1946 starb der Staatsschauspieler im russischen Internierungslager Sachsenhausen an den Folgen einer Blinddarmoperation.

Götz George und Schimanski - ohne den großen Alten sind beide so nicht denkbar. Seinen Vater führt der 47jährige ständig im Mund. Bis heute ist er das - für ihn unerreichte - Vorbild, dessen Kunst »viel fundierter« war als die eigene. In der Erinnerung des Sohnes ist der Darsteller großer klassischer Rollen eine lebendige Figur geblieben: Wenn er von ihm redet, sagt er nicht »mein Vater«, sondern, erhöhend, »Vater«.

Eigentlich kann er ihn kaum gekannt haben. Es ist auch vor allem der Künstler, der im Berlin der zwanziger Jahre bei Max Reinhardt und Jürgen Fehling zu seinen ersten großen Rollen kam, den der Sohn verehrt. Jener Heinrich George, der vor 1933 als Vertreter des progressiven Theaters galt.

Ungeduldig und mit beiläufiger Routine wehrt Götz George alle Fragen nach der Nazivergangenheit seines idolisierten Vaters ab. Begann nicht bald nach der Machtergreifung dessen Aufstieg in die Kulturhierarchie des Hitlerregimes? Wurde er nicht 1937 »Staatsschauspieler«, 1938 Intendant des Schiller-Theaters,

1943 Generalintendant der Berliner Bühnen? Brachte er nicht »Blut und Boden«-Autoren zur Aufführung, die den braunen Machthabern genehm waren? Stand nicht 1940 Heinrich George als Herzog von Württemberg in »Jud Süß« vor der Kamera, und spielte er nicht 1945 - es war seine letzte Filmrolle - in dem Durchhaltefilm »Kolberg« den Bürgermeister Nettelbeck?

Götz George findet: Wer diese alten Filme heute sehe, müsse erkennen, daß der Vater seine schauspielerischen Mittel dazu benutzt habe, die Obrigkeit zu karikieren.

Eine Emigration, auch dafür hat der Sohn Verständnis, wäre nicht in Frage gekommen: Heinrich George mußte im deutschen Sprachraum arbeiten, sonst wäre er verkümmert. Er sei eben nicht eigentlich ein politischer Mensch gewesen, sowenig wie er, der Sohn. Aber der Vater habe seine Beziehungen zu den Größen des Dritten Reiches dazu benutzt, jüdischen Kollegen und anderen vom Nazi-Regime Verfolgten zu helfen. Ein Beweis: Der »entartete« Künstler Max Beckmann »hat mit uns am Tisch gesessen«.

Man merkt Götz George an, daß er all diese Antworten oft gegeben hat, damit will er fertig sein, und vielleicht glaubt er es sogar wirklich. (Der sieben Jahre ältere Bruder, sagt George, habe sich da viel kritischer geäußert, aber der »hat den Vater ja auch länger erlebt als ich«.)

Denn anders als die meisten Gleichaltrigen, denen mit dem Glauben an die Ideale der Nazizeit auch der Glauben an die Unfehlbarkeit und Großartigkeit von Vätern für immer verging, konnte George an seinem Vaterbild festhalten - zumindest an dem Künstler Heinrich George. Auch später hat er sich aus dem Schatten dieses selbsterrichteten Denkmals nicht befreien können. Die Größe des Vaters verpflichtete ihn zur eigenen Größe, erreichen durfte er sie nie.

Götz George blieb Sohn, bis heute. Anfangs erschien das eher als ein Vorteil. Mit elf Jahren hat er zum erstenmal auf der Bühne gestanden. Am Deutschen Theater in Göttingen erhielt er mit 20 Jahren sein erstes Theaterengagement; verpflichtet hatte ihn Heinz Hilpert, ein Freund der Familie. Der ließ ihm genügend Freiraum für Dreharbeiten, und so wurde aus Götz George ein Jungstar des deutschen Nachkriegsfilms. Publikumserfolge wie »Der Teufel spielte Balalaika« brachten ihm frühe Auszeichnungen ein: 1960 das Filmband in Silber, 1961 den Kritikerpreis, 1962 den Bambi für hervorragende Nachwuchsleistungen.

Auch privat paßte alles an George ins Bild der bunten Blätter: 1966 heiratete er Loni von Friedl, damals vielversprechender Nachwuchs-Import aus Wien, und bald kam Tochter Tanja.

Was an ungelebtem Aufruhr in ihm rumoren mochte, begann er in seinen Rollen abzureagieren. Vom jugendlichen Liebhaber stieg er filmisch zum einsam kämpfenden Helden auf: Karl-May-Filme und Western prägten nun sein Image für lange Zeit - und intensiver, als es einem Theaterschauspieler lieb sein kann. Einer, der ihn in Göttingen erlebt hatte: »Der machte immer seine Hechtrollen, egal ob Schiller oder Shakespeare.«

Er selber hat sich vergleichsweise sicher gefühlt in seiner ersten Karriere; von dieser Welt der fünfziger und frühen sechziger Jahre schwärmt er, da wußte er, woran er war, Götz George, der Sohn. Da boten die Theater jungen Schauspielern noch Nestwärme, da gab es auch noch Vaterfiguren unter den Intendanten, die neue Talente erkannten und förderten - so wie er selber von Heinz Hilpert gefördert worden war.

Doch im Grunde begann wohl schon damals, was jetzt den Schimanski prägt: der Konflikt zwischen der Verpflichtung, dem idealisierten Vater gleich den gerechten, anständigen Helden zu mimen, und dem Wunsch, dagegen zu revoltieren, dazwischenzuhauen, sich nicht anzupassen, die Regeln zu verletzen.

Zwischen Theater und Film pendelnd, konnte er seinen inneren Konflikt einfach auf verschiedene Rollen verteilen. Das milderte den Druck. Die wirkliche Revolte seiner Generation, 1968, hat er dann nur als Zuschauer erlebt. Den Versuch, die Studenten zu verstehen, hat er immerhin unternommen, aber als bei einem Teach-in im Audimax die Leute so fürchterlich »durcheinandergeschrien« _(Links: mit Loni von Friedl (1967); ) _(rechts: als KZ-Kommandant Höß (1977). )

haben, da hielt er das für »Kasperletheater«. Im nachhinein erscheint es als zwangsläufig, daß George in dieser Phase auch den künstlerischen Anschluß verlor: Zwar spielte er immer wieder Theater, aber ein festes Engagement nahm er nach 1963, nach der Zeit bei Heinz Hilpert, nicht mehr an. Und im Jungen Deutschen Film war Götz George überhaupt nicht gefragt. Zu sehr galt er als ein Vertreter von »Opas Kino«, und Opas Kino war tot.

Nun also eine zweite Karriere als Schimanski. Im Bekanntheitsgrad - rein quantitativ also - hat Götz George damit seinen Vater sicher erreicht, vielleicht sogar übertroffen. Qualitativ aber weist er jeden Vergleich, dabei sich selber degradierend, zurück: »Der war doch viel reifer als ich, ich bin doch eigentlich noch nicht richtig erwachsen.«

Tatsächlich hat weder George noch sein Held Schimanski ein klares, realistisches Männerbild. Der kleine Götz klaubt sich seine Muster zusammen, wo er sie findet. Sein Held ist ein Verschnitt aus Kino und Werbung, aus Camel-Mann und Magnum.

Götz George, der Unerwachsene, ist stolz auf den engen Familienzusammenhalt zwischen ihm, dem Bruder und der 83jährigen Berta Drews. Wenn er in Berlin ist, geht er täglich eine Stunde mit der Mutter spazieren, das ist ein Ritual. Und bei Tisch spielen die Brüder ihr dann die kantigen Typen mit rauhbauzigem Charme vor, mit dem Schimanski die Fernsehzuschauerinnen verzückt.

Der zeigt sich dem anderen Geschlecht gegenüber nämlich abwartend und mißtrauisch; er demonstriert Scheu vor Nähe. Selbst in seinem Kino-Film, der den Fans ja einiges bieten soll, muß ihn seine Partnerin (Renan Demirkan) erst verführen, bevor er sich auf eine Beziehung einläßt, aber so recht bei der Sache ist er auch dann nicht. In seinen TV-»Tatorten« begnügt er sich meist damit, der Frau tief ins Auge zu blicken oder ihr sacht über die Wange zu streichen. Das sind jene Momente, die ihn seinen weiblichen Fans nahebringen. Eine Frauenzeitschrift will herausgefunden haben, George sei inzwischen zum meistbegehrten deutschen Mann geworden.

Er selbst reagiert regelrecht mürrisch auf diese dümmliche Umfrage: »Damit kann ich nichts anfangen.« Es beweise doch nur, daß die Frauen ein »Wunschbild« hätten, über das lieber deren Ehemänner nachdenken sollten. Mit ihm und seiner Person habe dies nichts zu tun: »Ich bin doch keine Schießbudenfigur mit ''ner Zwölf drauf.«

Er hält auch in seinem Privatleben auf Abstand. Mehrfach, wie um allen Spekulationen vorzubeugen, hat er gesagt, zur Zeit sei das Alleinsein für ihn die beste Form des Zusammenlebens. Frei über den Tag bestimmen zu können, ob in seinem Berliner Bungalow oder im Ferienhaus auf Sardinien, das genießt er. Vielleicht später, wenn er älter würde, brauche er wieder mal ein »Mütterchen«.

Ein trotziges Bekenntnis, und er verschweigt nicht die Erfahrung, die ihn dazu treibt: Sein erstes Mütterchen hat ihn aus emanzipatorischen Gründen verlassen - vor neun Jahren wurde er gegen seinen Willen von Loni von Friedl geschieden. Sie glaubte, so George heute, nach der feministischen »Umbruchbewegung« frei sein zu müssen. Er will das in gewisser Weise verstanden haben: »Ich bin ein sehr dominierender Mensch.«

Aber die endgültige Trennung hat Wunden hinterlassen. Ernsthaft mag er _(Oben: 1935; ) _(rechts: 1940. )

nun nichts an sich herankommen lassen - jedenfalls nichts, was ihn fordert. Mehr zur Dekoration hält er es derweil mit ganz jungen Frauen, Mädchen eher, wie seiner Münchner Freundin, die ist 21 Jahre alt. Sie kann ein ganzes Abendessen lang neben ihm sitzen und seine Hand halten, so daß er kaum sein Fleisch zu schneiden imstande ist. Ein Chateaubriand, drei Finger dick und blutig, hat er sich bestellt. Ein rechter Fitneß-Fraß, denn am nächsten Tag ist im Drehplan wieder Action vorgesehen.

Hier ist nun George ganz wie Schimanski - eine Kunstfigur von mittlerweile überdimensionaler Wirkung.

Frauen mögen ihn erotisch finden und Männer in ihm ihr Wunsch-Ich entdecken - aber ist Schimanski nun das, was als »neuer Mann« durch die Medien geistert? In all seinen Widersprüchen und offen zur Schau getragenen Verletzungen erscheint er auf den ersten Blick wie die Synthese aus dem Macho alter Art, der in den letzten 20 Jahren gründlich aus der Mode kam, und dem sensiblen Ehemann hinterm Wickeltisch, der angeblich ebenfalls schon wieder out ist.

Aber taugt solch ein narzißtischer Single, der immer wieder nur sich und seinen Körper zur Schau stellt, zum Leitbild? Die Kunstfigur Schimanski ist bindungslos und trägt Verantwortung nur für sich selbst. Vom klassischen Macho hat er die Brutalität zurückbehalten und gelegentliche Anflüge von Sentimentalität - aber vor größeren Gefühlsverstrickungen bewahrt ihn seine riesige Bindungsangst. Das Gesetz des Cowboys ist Einsamkeit - auch im Ruhrpott der achtziger Jahre.

Ahnt George, daß diese Rolle ihm auch eine Chance für seine persönliche Entwicklung bietet? Seit einigen Monaten beklagt er sich zunehmend über schlechte Drehbücher. Neue »Irritationsmomente« wünscht er sich von den Drehbuchautoren. In der Zwischenzeit schiebt er immer mal wieder eine Tournee ein (zuletzt mit Alexander Ostrowskis »Die Macht des Geldes").

Theaterspielen ist für ihn ein »Alibi«. Er weiß selber nur zu gut, daß die Rolle des Schimanski den Schauspieler George allmählich verschluckt. Der Film »Abwärts«, ein riesiger Publikumserfolg, war auch solch ein Ausbruch. Um dem Fernsehpublikum mal zu zeigen, was er wirklich kann, plant er jetzt ein »Special« - seit je für Stars ein willkommenes Vehikel, ein paar Paraderollen oder Charakterstudien vorzuführen.

Aber noch kommt er von Schimanski nicht weg, im Gegenteil: Im Kino-Thriller »Zahn um Zahn« wird »Schimmi« erst richtig losgelassen: Da er gegen die Order darauf besteht, eine Spur auf eigene Faust zu verfolgen, wird der Kommissar vom Dienst suspendiert.

Wie ein deutscher Rambo stolziert er dann durch Marseille, schlägt und schießt um sich, daß es selbst einem französischen Kollegen zuviel wird, läßt die schweißnassen Muskeln spielen und stellt seine Fitness bei diversen Nahkämpfen unter Beweis. Fazit dieser Art von Catch-as-catch-can: Ohne die Fernseh-üblichen Hemmschwellen führt sich Schimanski ad absurdum; die Kinofreiheit ist ihm nicht bekommen. Den Fans freilich wird es gefallen - und so ist kein Ende abzusehen.

Noch einmal hat George mit der Bavaria und dem WDR ein Paket von sechs »Tatorten« unterschrieben. Vielleicht wird - bei genügender Irritation - der Kommissar doch noch erwachsen. Was ja nicht notwendig langweilig sein muß.

Links: mit Loni von Friedl (1967); rechts: als KZ-Kommandant Höß(1977).Oben: 1935;rechts: 1940.

Barbara von Jhering
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