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SCHRIFTSTELLER Grüne Schnäbel

Ein Literatur-Neuling ironisiert die Alternativ-Szene: Mit seinem Roman »Papa Faust« will Uwe Wolff den »Exodus der Heiterkeit« aufhalten.
aus DER SPIEGEL 7/1982

Ahlrich vom Rosenhof, der alte, fidele Bauer, gerät ins Schwärmen, als er das westfälische Münster besucht. Hier sei sein Adept zu Hause, ein »sich unermüdlich in Belletristik und wissenschaftlicher Prosa übender Schriftsteller«.

Diesen jungen Mann, schwärmt Ahlrich weiter, habe er »dazu erkoren, den Exodus der Heiterkeit aus den deutschen Büchern aufzuhalten«; berufen sei er, »die Literatur aus dem Jammertal der Selbstbespiegelung zu befreien«.

Den alten Ahlrich gibt es nur im Roman, den jungen Unermüdlichen in Wirklichkeit. Der Münsteraner Uwe Wolff, 26, läßt sich so, ironisch, besingen - in seinem Roman »Papa Faust«, einer »Idylle aus deutschen Landen«.

( Uwe Wolff: »Papa Faust«. Rogner''s ) ( Edition bei Ullstein; 148 Seiten; 13,80 ) ( Mark. )

Und wirklich ist, rarer Fall, der »Papa Faust« ein frappierender Intelligenz-Trip ins Heitere. Ein Sprachkomödiant setzt sich ab von den grauen Kolonnen der schreibenden Ego-Schmocks und der Neuen Weinerlichkeit; der Zeit schaut er dennoch scharf ins Auge.

Unter dem Tarnwort »Idylle aus deutschen Landen« nämlich bringt Wolff ziemlich alles zu - kunstvoller - Sprache, was so im Augenblick die Szene bunt macht: Grüne, Feministinnen, Punker, Öko-, Bio- und Psycho-Freaks - das antibürgerliche Heldenleben.

Der junge Wolff schreibt dabei nicht mit Ideologiesäure, vielmehr mit der Gelassenheit eines alten Meisters. Er habe, sagt er, seine »erzählerische Kraft an Thomas Mann geschult«, und er wolle etwas gegen all das setzen, »was in meiner Generation geschrieben wird«.

Nach Mann-Manier, als »raunender Beschwörer des Imperfekts« und ironisch-allwissender »Geist der Erzählung«, spinnt Wolff seine Garne; sie schürzen sich in Deutschlands tiefstem Norden, unterm Reetdach eines alternativen Bauernhofes.

Dorthin zieht es drei Hamburger Frauen, jede mit Baby, auf der Suche nach einem »herrschaftsfreien, selbstbestimmenden, radikal gelebten Frauenleben«; zu oft hatten Männer ihre »weibliche Sehnsucht nach Geborgenheit in erniedrigende Penetration pervertiert«.

In einer Autoruine, »über und über mit Aufklebern tapeziert«, der »geistigen Ernte eines Jahrzehnts«, rollen Max und Jens an, Kommunarden und Hausbesetzer. Max hatte leidvoll erfahren, was es heute heißt, jung zu sein.

Bei der Aufarbeitung seiner Analphase war ihm nämlich klargeworden, daß an allem Elend sein Vater die Schuld trug. Er schrieb darüber, in drei Monaten, einen Bestseller, den die Fachwelt als »geniale zeitgemäße Aufarbeitung des klassischen Faust-Stoffes« deutete.

Zu den Stadtflüchtlingen, die bei Müsli und Erbsenbier die Kinder wiegen, stößt der alte Ahlrich, ein belesener Schalk und Ur-Grüner. Mit Sagas aus Moor und Heide stopft er den Grün-Schnäbeln Bewußtsein ein, historisches.

Doch in die Öko-Idylle plumpsen eines Tages Punker, voran eine Susy Migräne. Sie zerteppern den lokalen Gasthof, »weil gar nichts los ist in dieser Scheiß-Welt«; nach gehabter Randale kommandiert Susy ihrem Freund: »Und nun mit Getöse in die Möse.«

Miniaturen aus der erdzugewandten Seite der Welt: Wolff wandelt auf einem fragilen Grat zwischen Ironie und Anteilnahme, präzise nimmt er die Jargons und Irrationalismen der Gruppen auf; der edle Duktus steckt voll Tücke.

Auch voller Anspielungen, Zitate, literarische Motive, von der Bibel bis zu neueren politischen Testamenten, vom mittelalterlichen »Parzival« bis zu gegenwärtigen Gralshütern; auch ein Graß-Konterfei ist dabei. Der Debütant Wolff ist ein gelehrtes, belesenes Haus.

Er hat evangelische Theologie und Germanistik studiert, mit dem Lernziel Pädagoge, vollendet gerade eine Doktorarbeit über Freud und Thomas Mann und sieht seine Lage sehr pragmatisch: Er brauche einen »Brotberuf«, vom Schreiben könne er erst mit 40 leben.

Zum Schreiben freilich fühlt er sich »berufen: Meine Arbeit und mein Leben müssen dem gewidmet sein«. Das Wunderbarste sei die Phantasie; nach dem Vorbild Thomas Mann müsse sie aber »im Detail verankert sein«.

So hat er sich, für Ahlrichs alte Welt etwa, Informationen aus vergilbten Mode-Katalogen und Technik-Historien geholt. Den schwer zugänglichen feministischen Intim-Bereich erschloß er sich durch Handbücher aus Frauenläden.

Den Hang zu sprachlicher Mimikry hatte er schon in einem früheren Buch trainiert. »Thomas Mann auf der Seefahrt nach Oslo« hieß es, eine Exercise an der Stange, die Mann, Broch und Hans Henny Jahnn hielten: Literatur-Literatur. Dem Genre ist auch »Papa Faust« zuzuschlagen. »Ich berichte, was ich gelesen habe«, sagt Wolff; die Welt besitze ihn »nur als Zuschauer«, und beim Schreiben sieht er sie tief unter sich »wie auf einer Landkarte liegen«.

So ganz entrückt ist er in Wahrheit nicht. Die Suche nach einer Idylle, einer Höhle - Leitmotiv des »Papa Faust« - nimmt er für sich und andere ernst. Es sei ein »elementares Bedürfnis«, Geborgenheit, eine überschaubare Welt zu wollen; Aussteigen, alternativen Grünkohl pflanzen freilich hält das SPD-Mitglied Wolff für »Quatsch«.

Die Titelfigur, der Papa Faust, kommt im Buch nur als Idee vor - als Projektion idyllischen Begehrens: Altersbehagen unter schattiger Linde, trotzige Jugend milde weisend. Wolff, mit einer Kindergärtnerin verheiratet, erwartet im Sommer erstmals Nachwuchs.

Bei seinem Besuch in Münster hatte der alte Ahlrich noch mehr von seinem Adepten geschwärmt: »Er wird wie die Sonne am Morgen aufsteigen.« Der »Papa Faust«, sagt Wolff, sei nur das erste Bruchstück eines Romans, der sich zum Dom einer Balzacschen »Comedie humaine« wölben soll.

S.192Uwe Wolff: »Papa Faust«. Rogner''s Edition bei Ullstein; 148 Seiten;13,80 Mark.*

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