Zum Tod von Günter Maschke Von ganz links nach ganz rechts

Fahnenflüchtiger Günther Maschke 1970 vor Gericht in München (mit APO-Rechtsbeistand Rolf Pohle)
Foto:dpa / SZ Photo
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Es gibt Namen, die immer dann genannt werden, wenn sich die Debatte über rechts und links vom Erwartbaren löst und die widerspenstigen Fälle auf den Tisch kommen. Dann geht es um Biografien, deren Kapriolen nicht leicht zu begreifen scheinen. Günter Maschke gehörte dazu, dessen Weg von der Neuen Linken der Sechzigerjahre in die extreme Rechte bei allen Brüchen doch verstörend konsequent wirkte. Zwar waren andere Überläufer lauter. Aber während diese die Strecke meist in der Holzklasse ihrer Ressentiments zurücklegten, wechselte Maschke im Salonwagen der Theorie die Fronten.
Die Stationen seines Lebens von den Anfängen der APO zu Carl Schmitt hat er selbst oft genug zu Protokoll gegeben: Geboren im Kriegsjahr 1943 und bald Halbwaise wurde er als junger Pazifist in der verbotenen KPD aktiv. Sein Adoptivvater war als Unternehmer zwar weit davon entfernt, lebte ihm aber eine unabhängige Haltung vor, wie Maschke später betonte. In seinen Zwanzigern absolvierte er sämtliche Stationen der generationstypischen Revolte: Situationismus, SDS, Totalverweigerung, Kommunardentum, Maschke stand stets an der Spitze. Seine Biografie war mit der Frühgeschichte der APO ebenso verbunden wie mit jener der RAF: Als Ehemann von Johanna Ensslin war er mit deren Schwester Gudrun und ihrem Partner Bernward Vesper befreundet. Der Einberufung zur Bundeswehr entzog er sich nach Österreich und entging 1968 nach Protesten der Wiener Genossen einer Abschiebung nach Deutschland; Kuba gewährte ihm politisches Asyl.
Hier kam es zur Wende. Als Lektor verkehrte Maschke mit kritischen Intellektuellen und geriet in Konflikt mit der offiziellen Doktrin. Von den verstimmten Gastgebern nach Spanien abgeschoben, endete das Exil 1970 schließlich vor einem bundesdeutschen Gericht. In der anschließenden Haft betreute er die Gefängnisbibliothek.
Die elitäre Haltung des Kaders
In den Folgejahren wirkte er im Umfeld von Hans Magnus Enzensberger und brachte dem deutschen Publikum die Arbeiten des kubanischen Lyrikers und Dissidenten Heberto Padilla nahe. Die kubanische Erfahrung verarbeitete er mit dem Buch »Kritik des Guerillero«, einer Abrechnung mit dem in der Westlinken idealisierten »revolutionärem Volkskrieg«. Demnach schien sich das Geschehen in Kuba mehr nach dem Muster des Marx-Revisionisten Georges Sorel und nicht als Klassenkampf abgespielt zu haben. Maschkes Schilderung, wie sich Fidel Castro durch die Installation eines Mythos zum Máximo Líder der kubanischen Revolution stilisieren konnte, hätte der Neuen Linken zu denken geben können. Später zogen Neue Rechte aus Maschkes Erkenntnissen zur Tragfähigkeit von Mythen Impulse für ihre Inszenierung.
Jahre später sollte der verurteilte Fahnenflüchtige in Peru Offiziere in der Strategie des Anti-Guerillakampfes unterrichten, wofür ihn seine intensive Beschäftigung mit Staatsrecht und den klassischen Lehren des Krieges qualifiziert hatte. Da war er längst in den Bann Carl Schmitts geraten, eines anderen Deuters des Partisanenkriegs, dessen Schriften er über Jahre editieren und kommentieren sollte. In der »FAZ«, für die Maschke als freier Autor schrieb, stand er anfangs noch unter Linksverdacht. Doch 1985 gab Maschkes Verehrung für Carl Schmitt Anlass zum Bruch mit der Redaktion. Anders als häufig kolportiert war es nicht Jürgen Habermas, sondern der Liberalkonservative Dolf Sternberger, der hier für Abgrenzung sorgte.
Der Anschluss an den vorherrschenden Konservatismus der Kohl-Ära kam für Maschke nicht infrage. Er wollte auch gegen Linke und Liberale revolutionär bleiben, Berührungsängste im rechten Lager kannte er nicht. Von der »Jungen Freiheit« einmal nach Neonazis befragt, antwortete er, man könne sich als Rechter den »Luxus« öffentlicher Distanzierungen »nicht leisten«. Nach dieser Devise handelt heute die AfD. Zugleich zelebrierte er weiter die elitäre Haltung des Kaders, versuchte durch Mitarbeit an anspruchsvollen Zeitschriftenprojekten die Weltanschauung der äußersten Rechten theoretisch zu schärfen. Hinter der Neigung, den eigenen Kanon voranzutreiben, schimmerte noch der avantgardistische APO-Stil durch.
»Der einzige wirkliche Renegat der 68er-Bewegung«
Maschke blieb vor allem der romanischen Welt verhaftet, der Heimat des politischen Katholizismus und klassischen Faschismus. Mit der Übersetzung und Kommentierung des Werks von Juan Donoso Cortés erschloss er die Welt der radikalen Gegenaufklärung, die schon seinen Freund und Meister Carl Schmitt inspiriert hatte. In diesem Kosmos lernte er, das Aushandeln von Kompromissen und Entscheidungen weiter zu verachten und alles Wesentliche auf die Machtfrage zu reduzieren. Zur Illustration erzählte er gern die Anekdote, wie er im peruanischen Bürgerkriegsgebiet in der zerschossenen Auslage einer Buchhandlung die spanische Übersetzung von Habermas' »Theorie des kommunikativen Handelns« entdeckt habe. Am Ende, so sein Schluss, liege die Wahrheit immer bei den Waffen. Heiner Müller notierte, Maschke habe ihm gesagt, aus der DDR-Revolution könne nichts werden, weil keine Leichen von Dresden »die Elbe hinabgeschwommen seien«.
Der zynische »Realismus« dieser Denkschule kannte keine Hoffnung, ihm galt es nur, den Antichristen in Gestalt von Demokratie, Gleichheit und Humanität aufzuhalten.
Maschke galt lange als der »einzige wirkliche Renegat der 68er-Bewegung«, wie ihn Habermas einmal genannt haben soll. Seine Wende zum Konterrevolutionär hatte er auch theoretisch vollzogen. Doch er blieb nicht der letzte Überläufer, Maschkes Weg erwies sich vielmehr als Menetekel für andere seiner Generation. Sein Versuch, mit seinen neuen alten Kameraden Horst Mahler und Reinhold Oberlercher Ende 1998 eine nationalrevolutionäre Ausdeutung der 68er zu etablieren, führte zu scharfem Protest ehemaliger APO-Mitstreiter.
Mehr Reaktionär als Nationalist
Doch an diesen Biografien zeigten sich die Schattenseiten des antiimperialistischen Kampfes der Neuen Linken. Manche wollten am Ende vor allem die Deutschen von der Nachkriegsordnung befreien. Oberlercher wurde Reichsbürger avant la lettre, Mahler landete mit dem ehemaligen SDS-Vorstand Bernd Rabehl bei den Neonazis. Weitere sollten diesem Pfad des politischen Existenzialismus folgen, dessen Wegweiser nur ein großes »Dagegen« zierte. Frank Böckelmann, als Aktivist der Subversiven Aktion seit den Sechzigerjahren mit Maschke verbunden, holte ihn für seine Zeitschrift »Tumult« ins Boot, um das Umfeld der AfD weltanschaulich aufzurüsten. Die Lust an der Distinktion durch »Konsensstörung« schien sie zu leiten, selbst wenn dieser Konsens eine Frucht der eigenen Vergangenheit sein sollte.
Maschke war mehr Reaktionär als Nationalist. Seine Forderung an die Rechte, wieder ernsthafter, intellektueller und wissenschaftlicher zu werden, verhallte jenseits eines kleinen Gefolges meist ungehört. Publikationen wie »Die Verschwörung der Flakhelfer« und manche Essays erreichten zwar ein breiteres Publikum, doch blieb er mehr Stichwortgeber als Lehrmeister. Günter Maschke, der letzte ernst zu nehmende Theoriearbeiter der extremen Rechten in Deutschland, starb am 7. Februar in Frankfurt am Main.
Volker Weiß, Jahrgang 1972, ist Historiker. Er veröffentlichte u.a. das Buch »Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes« (Klett-Cotta)