FILM Gut Freund
Wyhl ist vorbei, die Schlacht am Kaiserstuhl geschlagen. Die letzten Protestanten gegen ein Atomkraftwerk am Oberrhein haben den Kampfplatz geräumt.
Eine ihrer populärsten, inzwischen auch von Brokdorfer Reaktor-Gegnern aufgegriffenen Parolen indes -- »Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv« -- soll jetzt noch einmal die Massen mobilisieren: als Titel eines 90-Minuten-Films, der diese Woche vor Badensern uraufgeführt und dann in Berlin, Bremen und Brokdorf gezeigt werden soll. Sein Thema: klassenkämpferische Geschichten aus dem Wyhler Wald.
Die Premierengäste, darunter vor allem Weinbauern, Landwirte, Arbeiter und Studenten, erwartet allerdings weder ein spektakuläres Schlachtengemälde noch eine abendfüllende Tagesschau. Denn die nach eigenem Urteil »Parteiunabhängige revolutionäre Dokumentarfilmemacherin« Nina Gladitz, 30, wollte »vor allem zeigen, was man vordergründig nicht sehen kann«, und hat deshalb Bild-Protokoll und Wort-Agitprop gescheit, aber gefährlich vermischt.
So fehlen zwar nicht die allzu bekannten Krawall-Szenen mit Wasserwerfern und prügelnden Polizisten, aber anders als der seinerzeit heftig umstrittene ARD-Beitrag »Vor Ort« geht Frau Gladitz mit Schnappschüssen und Originalton vom Kriegsschauplatz sparsam um. Statt dessen schneidet sie, dramaturgisch scheinbar willkürlich, Menschenansammlungen, stumme Gesichter, Bauern bei der Ernte, Landschaftspanoramen und Dorfidyllen zu unsensationellem Anschauungsmaterial zusammen, dem sie einen »erzählenden Kommentar« unterlegt: ein politisch ehrliches, filmisch überzeugendes, dokumentarisch fragwürdiges Verfahren.
Als die gebürtige Schwäbin und im Metier noch unerfahrene Absolventin der Münchner Film-Hochschule vom Kampf der Elsässer gegen das Bleiwerk Marckolsheim erfuhr, ging sie vor Ort -- und blieb, als dann die Wyhler gegen den Reaktorbau zu Felde zogen.
Vom September 1974 an lebte sie für fast eineinhalb Jahre »aus dem Auto und der Tüte« zwischen den Demonstranten und hielt mit geliehener Kamera und auf Pump gekauftem Filmmaterial alle wichtigen Etappen des Kaiserstuhler Aufruhrs fest. Gleichzeitig ließ sie. »inzwischen mit vielen Einheimischen gut Freund«, bei nächtelangen Diskussionen ihr Tonband laufen.
Nach Abschluß der Dreharbeiten schrieb sie daheim 12 000 Meter Tonband ab und montierte aus den »wichtigsten, weil allgemein reflektierenden« Aussagen eines Tabakbauern« eines Winzer- und eines Arbeiter-Ehepaares einen »in jedem Wort authentischen« Appell gegen die Macht der Obrigkeit.
Die politisierenden Bürger sind allerdings weder zu hören noch zu sehen. Um die Dorfbewohner, »die soviel Rücksicht nehmen müssen«, nicht bloßzustellen und ihre Debatten in allemannischer Mundart allgemein verständlich zu machen, ließ Frau Gladitz die Bekenntnisse im Studio hochdeutsch nachsprechen. Dadurch, urteilte Anfang Oktober die Jury der Mannheimer Filmwoche, habe der Film an Glaubwürdigkeit verloren.
Polemisch reagierte ausgerechnet die DKP auf das linke Lichtspiel. Nachdem »irgendwelche, sich fortschrittlich gebärdende Filmemacher aus dieser Ecke« der »links von der DKP« stehenden Dokumentaristin schon am Kaisterstuhl erfolglos 40 000 Mark für das Rohmaterial geboten hatten (Nina Gladitz: »Dann würden die doch auf jedem Ostblock-Festival Wyhl als Kampfstätte der DKP ausgeben"), beschimpfen sie die Regisseurin jetzt als »chaotischen Sproß aus bourgeoisem Milieu« ("Berliner Extra-Dienst").
Und noch bevor der auf Verbreitung von maoistischem Bildungsgut spezialisierte Verleih »Neue Welt« in Köln die vier Wyhl-Kopien in Umlauf bringen konnte, meldeten sich DKP-Anrufer bei bundesdeutschen TV-Redakteuren: »Hände weg, das ist die neue Leni Riefenstahl.«