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PROFESSOREN Gutes Examensfutter

aus DER SPIEGEL 47/1964

An Englands altehrwürdiger Universität Cambridge verkehrten sich die Fronten: Studenten erteilten ihren Professoren Tauglichkeits-Zensuren.

Staunend konnten die knapp 3000 Studenten, die sich zum Wintersemester erstmals in Cambridge immatrikulierten, in einer Sondernummer der Studentenzeitschrift »Cambridge Forward« lesen, welche Vorlesungen oder Dozenten zu empfehlen und welche tunlichst zu meiden seien. Im Stil einer Warentest-Zeitschrift wurde der akademische Lehrkörper qualifiziert:

- Wirtschaftsgeschichte - Dozentin Miss. P.M. Deane: Nervtötend, aber gehaltvoller, als es scheint.

- Archäologie - Professor Clark und Dr. McBurney: Nicht gerade brillant, aber gutes Examensfutter.

- Anglistik - Dr. Steiner: Sehr populär, ein zorniger Individualist, zwingend im Vortrag, Spezialist für Tragödie und Moderne.

- Anglistik - Vorlesungen über Mittelalter: Langweilig, alles in Büchern nachzulesen.

- Philologie - Professor Combe: Vorlesungen sind zu empfehlen, überaus lustig und unterhaltsam.

- Philosophie - Dr. Lewy: Der Besuch seiner Logik-Vorlesungen ist leider unvermeidlich.

- Physik - A-Kurs (Dozenten Baldwin und Tabor): Weniger interessant als

B-Kurs (Pippard und Schoenberg). Die praktischen Übungen taugen nichts.

Die freimütigen Talent-Wertungen für Professoren und Dozenten sollen es den Jung-Studenten ersparen, ziellos von einer Vorlesung zur anderen zu irren - auf der Flucht vor langweiligen und auf der Suche nach interessanten Lehrern.

Zwar stehen Studienanfänger in Cambridge meist unter der Obhut eines »Supervisors«, eines akademischen Beraters, der den Neulingen empfiehlt, welche Lektionen und Kurse sie belegen sollen - ein System, das seit einiger Zeit auch an bundesdeutschen Universitäten nachgeahmt wird. Aber viele Cambridge-Studiker argwöhnen, daß zumindest einige der Studien-Berater sei es aus Mangel an Mut, sei es aus persönlicher Sympathie für bestimmte Professoren - ihre Schützlinge nicht verläßlich genug beraten.

Einige der betroffenen Hochschullehrer reagierten auf den akademischen Gütetest grollend oder zumindest pikiert. Doch der erwartete Skandal blieb aus: Die Universitätsbehörden hielten still, und die Studenten-Redakteure des »Cambridge Forward« blieben ungeschoren.

Wie im akademischen Rudersport, wollen denn auch die Kommilitonen der Konkurrenz-Universität Oxford alsbald mit den fortschrittlichen Cambridge -Studenten gleichziehen. In der Oxford -Postille »Isis« sollen künftig gleichfalls Testberichte über Vorlesungen veröffentlicht werden.

Aber die Oxford-Tester sind in den neuen akademischen Freiheiten noch um einige Bootslängen zurück: Sie dürfen vorerst nur solche Testresultate abdrucken, die von den betroffenen Professoren zuvor genehmigt worden sind.

Cambridge-Professoren: Güte-Test für Hochschullehrer

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