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FERNSEHEN / Telemann HALB UND HALB

aus DER SPIEGEL 12/1961

In der vorvergangenen Woche wurde das Weichbild vieler deutscher Städte auf zwiefache Weise verschönt. Einmal durch den Sonnenschein des Frühlenzes, zum anderen durch die Mienen der Funk-Intendanten, die, das Urteil von Karlsruhe in den Aktentaschen, wohlbeflügelt fürbaß federten; hier einen Händedruck, dort ein Scherzwort tauschend.

Stünden sie nicht bereits im zweitbesten Alter, sie hätten, wie einstmals der Sendbote von Marathon, die Arme angewinkelt und der Welt im Laufschritt zu wissen getan: »Wir haben gesiegt!«

Ihr Frohmut war so überschäumend, daß mancher von ihnen seine Vorstellung von einem zweiten TV-Programm spontan aus der Manschette zauberte: »Kulturell anspruchsvoller und profilierter« soll es sein und »die bayrische Landespolitik stärker als bisher berücksichtigen«, tönte es aus dem Süden. Im Norden erscholl es nicht minder gockelstolz: »Wir haben alle Vorbereitungen getroffen.« Und: »Es ist klargestellt, daß der Norddeutsche Rundfunk in seinem Sendebereich allein Programme ausstrahlen darf.«

Die Woche darauf war die Stimmung schon weniger ausgelassen, denn - wie es so geht im öffentlich-rechtlichen Leben - man hat auch sein Päcklein Sorgen. Zumal, wenn man sich genötigt sieht, statt des Triumphator-Lorbeers die Initiative zu ergreifen. »Als Märtyrer des Kanzler-Fernsehens«, begann es unseren TV-Provinz-Herzögen zu schwanen, »hätten wir vielleicht ein bequemeres Auskommen gehabt.«

So total hatten sie nämlich gar nicht siegen wollen.

Zum Trost sei ihnen in Erinnerung gebracht: Nicht sie haben in Karlsruhe triumphiert, sondern die Länder. Deshalb besteht seitens der Anstalten so wenig Grund zur Euphorie, wie unsererseits Grund besteht, ihnen als Anerkennung jenes Ruhekissen unterzuschieben, das sie »Kontrastprogramm« nennen.

Unter »Kontrast« versteht der arglose Fernsehteilnehmer: Wenn auf Schiene A »Hamlet« gegeben wird, will ich auf Schiene B den Kulenkampff empfangen können.

Der listige Monopol-Veranstalter aber denkt so: Während auf Schiene A der Willy Millowitsch kaspert, werde ich auf Schiene B spielend meinen profilierten Kulturverschnitt los oder, falls es zu einer regionalen Lösung kommt, mein Chiemgauer Jodel-Quartett. Und was das Schönste ist: Keiner kann protestieren. Weil es sich doch, sobald zwei Programme zur Auswahl stehen, um eine reine Geschmacksfrage handelt.

Telemann, der in vielen Fernsehjahren erlebt hat, wohin es führt, wenn zwischen TV-Erzeugern und TV-Verbrauchern Mißverständnisse obwalten, möchte mit Deutlichkeit darlegen: Wir Zuschauer wollen kein kontrastierendes, wir wollen ein zweites Programm. Genauer: ein anderes. Noch genauer: Wenn die Arbeitsgemeinschaft des Ersten Fernsehens glaubt, wir hätten sie gebeten, sich mit Gründerplänen zu tragen, dann irrt sie. Das Gründen ist Sache der Bundesländer.

Was soll nun gegründet werden? Am besten ein Netzwerk voller Überraschungen; als da sein müßten: Direktoren, die in der Kunst der Selbstzufriedenheit noch unerfahren sind; Abteilungsleiter, die sich vorzustellen vermögen, daß es noch andere Formen des Fernsehschaffens geben könnte als die bekannten; Autoren, Regisseure, Reporter, die ihre TV-Kenntnisse nicht beim Hörfunk erworben haben.

Weil aber die Länderregierungen froh sein werden, daß sie sich auf ihre bewährten Fachkräfte stützen können, mag es zweckvoller sein, der zweitbesten Lösung das Wort zu reden. Sie heißt: Fortpflanzung durch Teilung.

Rezept: Man nehme die vorhandenen neun Fernsehstationen und bilde daraus zwei Sendergruppen; dergestalt, daß jede Gruppe ein Gebiet zusammenschließt, auf dem sich Traditionen, Lebensgewohnheiten und angestammte Überzeugungen weitgehend ähneln. Also Berlin, Hamburg, Bremen, Frankfurt kontra Saarbrücken, Köln, München, Stuttgart, Baden-Baden. Beide Programme müßten allerseits einwandfrei zu empfangen sein.

Vorteile:

- Rudimentäre Reste der »deutschen Zwietracht« würden sich in fruchtbaren Wetteifer wandeln.

- Die Provinz-Meierei würde aufhören, weil jede Gruppe den Ehrgeiz hätte, vor den Abonnenten der anderen zu bestehen.

- Es könnte sinnvoller produziert werden. Will heißen: Die Tatsache, daß es in Baden-Baden ein Stadttheater gibt, brauchte für den Südwestfunk nicht länger der Anlaß zu sein, Fernsehspiele auszustrahlen.

- Es gäbe keinen Pflicht-Karneval mehr.

Natürlich hätte die Lösung auch ihre Kehrseite: Wir würden statt des ersehnten neuen vorerst ein zweigeteiltes altes Fernsehen serviert bekommen; mit denselben Gesichtern, demselben Reglement, denselben Führungskräften.

Indes, wer die biologischen Gesetze kennt, der weiß: Statt des einen würden zu guter Letzt sogar zwei neue TV-Programme zur Auswahl stehen. Denn mag eine Sendegemeinschaft noch so mildherzig sein - wenn sie merkt, daß ihre ätherischen Mühen weniger Beachtung finden als die der Konkurrenz, wird auch sie sich nach anderen Gesichtern, anderen Regeln und anderen Führungskräften umsehen.

Merke: »Nun teilt euch in die Haut, ihr Brüder« (Ludwig Heinrich Freiherr von Nicolay, »Der Esel und die drei Herren").

telemann
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