FERNSEHEN Hallo Darling
Die Trizonesier kriechen aus ihren Bombenlöchern; Ludwig Erhard, der neue Wirtschaftsminister, verspricht, »das deutsche Volk aus der Armut herauszuführen«, die Wirtschaft kommt langsam in Schwung.
Deutsche Kleinwagen knattern durch die Trümmerstraßen, der »Flüchtlingsporsche« Gutbrod Superior 600 beispielsweise, der »Leukoplastbomber« Lloyd 300 und der Kleinschnittger F 125, ein »rassiger Roadster«, viereinhalb PS, zweieinhalb Liter Petroleum auf 100 km.
Es wird, in Oberligen, auch wieder Fußball gespielt. Der VfB Stuttgart mit Schlienz und Barufka steht ganz oben in der Gruppe Süd. Aus Amerika kommt ein neues, wunderbares Beinkleid, der Perlonstrumpf; in der Zahnpflege »gibt es eine Revolution: Pepsodent mit Irium«.
Damen tragen durchweg noch alte Zöpfe, sogenannte »Entwarnungsfrisuren«, aber die Wasserwelle ist im Vormarsch und auch Pariser Chic wieder gefragt: kleidsame Zweiteiler (Modell »Hallo Darling") mit »lustigem Bolerojäckchen« und »amüsantem, trägerlosem Mieder«, Mokka hell ist die aktuelle Modefarbe -- deutsches Leben, auferstanden aus Ruinen, zu Beginn der 50er Jahre.
Im Radio und im Kino, in Romanen, Bildbänden und Ausstellungen ist diese Epoche schon oft beschworen worden, mitunter geschönt, nostalgisch behaglich. Nachzüglerisch, doch mit hohem Sendeaufwand, läßt sich nun auch die Television auf das Thema ein:
Am Mittwoch dieser Woche, 20.15 Uhr, startet der Stuttgarter Südfunk im Ersten Programm seine vierteilige Revival-Show »Was wären wir ohne uns«, ein 360-Minuten-»Potpourri in Bild und Ton« über die Jahre 1950 bis 1953. Wolfgang Menge schrieb das Buch, Filmregisseur Ulrich Schamoni ("Es") inszenierte erstmals für den Bildschirm.
»Wenn Fernsehen, dann richtig Fernsehen«, mit dieser Devise ging Schamoni ein Vierteljahr lang ins Südfunk-Atelier. Ihn reizte die (von vielen TV-Machern als zu schwerfällig empfundene) Aufnahme-Elektronik, der Touch des großen Bunten Abends im Sinne des seligen Peter Frankenfeld.
Eine »Art Collage« entstand, eine telegene, animierende Mixtur aus Bühnenrevue, Sketch, Musikshow und Spielserie. Ein Erzähler und Conférencier (Gerd Vespermann) führt salopp durchs Programm, erläutert historische Daten, plaudert mit Zuschauern im Studio und gibt die Bühne frei für die Rosy-Singers, die den deutschen Schlager von einst so würdig präsentieren, als seien Friedel Hensch und die Cyprys wiederauferstanden: »Winke, Winke« und »Ei, ei, ei, Maria« und »Das machen nur die Beine von Dolores«.
Kernstück dieser 50er-Jahre-Schau aber ist eine Familiengeschichte, die sich »wie ein Comic strip« (Menge) durch den Vierteiler zieht -- die Chronik des Berliner Friseurs Otto Fürchtegott Baumann (Horst Bollmann) der mit Frau Lieselotte und Tochter Sabine, 16, nach Stuttgart verschlagen worden ist. Im Salon Österle hat er Arbeit gefunden, mit zwei weiteren Aftermietern haust die Familie bei der Witwe Vaihinger.
Er ist ein strebsamer Kleinbürger, dieser Otto F.; von Politik versteht er nichts, das Hitlerreich hat er fix abgehakt, auch alte Nazis sind ihm als Kunden willkommen. Wenn Sabine den Soldatensender AFN einschaltet, schimpft er über die »gräßliche Negermusik«; wenn ein armer Flüchtling in den Laden schielt, blökt er: »Die ekeln ja die Kunden weg.
Andererseits: Für die zynischen Sprüche von Schiebern und Hasardeuren ("Entweder du willst arbeiten oder Geld verdienen") hat Otto nichts übrig. Sein Sittenkodex ist streng, ein Techtelmechtel Sabines erzürnt ihn mächtig: »Auseinander! Sie Schwein, was machen Sie mit meiner Tochter!« Oberstudienrat Dr. Schulze-Festberg erklärt ihm das Ausmaß der Gefahr: »Körperliche Frühreife geht auf Kosten der geistigen und seelischen Entwicklung.«
Mosaikartig haben Menge/Schamoni die Figaro-Story immer wieder mit zeitgeschichtlichen Informationen, ironischen Apercus zur Adenauer-Ära verwoben. Wochenschau-Schnipsel dokumentieren das flotte Selbstverständnis der Republik, die ungebrochene Aufbruchstimmung. Wohlstand für alle -der Slogan liegt in der Luft.
Eine Geschichtslektion ist dieses Potpourri gewiß nicht, Anekdotisches überwiegt, der Zeitgeist spricht aus Details. Ein Panorama der 50er Jahre, sagt der Conférencier, »kann von niemandem entworfen werden«, so etwas »kann nur mühsam in kargen Fragmenten geschildert werden«.
Beispielsweise mit dem beiläufigen Hinweis, die Witwe des SS-Führers Heydrich habe vor Gericht einen Pensionsanspruch erstritten. Den Stalin-Vorschlag aus dem Jahr 1952 zur Wiedervereinigung und Entmilitarisierung Deutschlands lassen Menge/Schamoni in einer Hörfunk-Diskussion debattieren. Von »Demonstrationen in der Zone« -- 17. Juni 1953 -- hören die Baumanns, beim Frisieren, im Radio. »Das Trio Ulbricht, Pieck, Grotewohl«, sagt zufrieden ein Stammkunde, »hat jedenfalls ausgespielt.«
Den Barbier Otto F. interessiert das alles nur am Rande. Er hat ein eigenes Geschäft eröffnet, eine Liebelei mit einem drallen Blondchen angefangen und verpaßt männlicher Kundschaft gern den letzten Schrei der Coiffure, die »Koreabürste«.
Sabine ist einem ranken GI verfallen, die Hochzeit wird pompös gefeiert, die Rosy-Singers feiern noch einmal die rosigen Zeiten. Zum Finale kommt der Conferencier und gibt Nachdenkliches auf den Weg. »Ist es vielleicht so«, fragt er, »daß unsere Sorgen von heute erst dadurch entstanden sind, daß wir damals in falsche Richtungen gegangen sind?«