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LITERATUR Hallo, ich bin der Herbert

Der Dichter und Filmer Herbert Achternbusch galt Freund und Feind seit längerem als erledigter Fall - nun verblüfft er mit seinem Leidensbuch »Der letzte Schliff«. Von Willi Winkler
Von Willi Winkler
aus DER SPIEGEL 39/1997

So untot, wie er mittlerweile zwischen den Kammerspielen und dem Weißen Bräuhaus herumstakst, gehört er längst zum Mobiliar der Landeshauptstadt München. Nicht ausgeschlossen, daß Herbert Achternbusch demnächst eine Reklame-Idee des Kafka-Freundes Max Brod aufgreift, der die Prager Fremdenführer für einen indiskreten Hinweis an der rechten Stelle bezahlte.

»Hier wohnt der Dichter Herbert Achternbusch«, erführen dann die durchreisenden Amerikaner und Japaner auf dem Weg zum Hofbräuhaus, und den Dichter in seiner Stube überliefen mit der Zuverlässigkeit des Glockenspiels am Marienplatz wohlige Schauer.

Schuld an diesem zweifelhaften Weltruhm sind zwei Gespenster, ein Film und der damalige CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann. Der mochte 1983 Achternbuschs leider Gottes ziemlich mickrigen Film »Das Gespenst« nicht, nannte das Werk »blasphemisch« und verlangte nach einem Schnaps. Weil der Film-Minister danach Achternbusch die letzte Rate eines Bundesfilmpreises verweigerte, wurde das arme Opfer über Nacht heiliggesprochen und zum Märtyrer.

Seine besinnungslosen Verehrer betrachten den Waldler längst als Heiligen (wenngleich ohne päpstlichen Segen, huldigt der Meister doch schon länger einem selbstgezimmerten Tibetanismus), und pflichtschuldig drohte er, von jetzt an in Würde zu altern, »weil ich ein angesehener Künstler bin und längst nicht mehr als Hallodri gelte«.

Eigentlich spricht ja schon lang alles gegen ihn: daß er gelegentlich als Fahnenmaler für das Edelkitsch-Kaufhaus Beck wirkt; daß er einen schlechten Film nach dem anderen dreht und daß er in den Drehpausen, zugesoffen bis zum Zäpfchen, Buch für belangloses Buch ("Büchl") heraushaut.

Vor zwei Jahren gab es endlich wieder was zu lachen bei ihm: Im Goldmann-Verlag erschien ein Glaubensbekenntnis von Herbert Achternbusch in der Reihe »querdenken!« - so breit und quer und allzeit Talkshow-kompatibel wie Peter Glotz und August Everding zusammen wahrscheinlich.

Was mußten seine Fans nicht alles ertragen von diesem angesehenen Künstler: gräßliche Stücke ("meine Altersversorgung"), die allenfalls aufopferungswillige Schauspieler wie Sepp Bierbichler oder Rolf Boysen zu retten vermochten; Filme, die nicht einmal mehr blöd waren - und dann der Zinnober mit seinen Gemälden!

Eine ganze Serie malte er auf Blättern aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und widmete sie dann Stück für Stück seinen Kritikern, aber natürlich nur den netten, die gelenkknackend in die Knie brachen vor lauter Begeisterung über den jeweils neuesten Kracher ihres Herbert.

Nach fast zehnjährigem Rechtsstreit hat Achternbusch sein Gespenster-Geld doch noch zugesprochen bekommen. Zimmermann ist längst auf dem Altenteil und geistert nur noch selten im Fernsehen, etwa um sich und den anderen Ex-Offizieren noch nachträglich Tapferkeitsmedaillen für den Einsatz während der Entführung von Hanns Martin Schleyer anzuheften.

Ja, und die CSU ist auch nicht mehr, was sie mal war. Inzwischen fördert sogar der bayerische Staat Achternbuschs neuesten Film (»Picasso in München«). Erster städtischer Filmpreisträger ist der Verfemte bereits, Akademiemitglied sowieso, und bald wird er sich durch sein langes Herumlungern im Kulturwirtshaus Klassikerstatus erhockt haben. Achternbusch ist also hoffnungslos versackt. Oder fast.

In seinem neuen Buch, das »Der letzte Schliff« heißt und dem genau dieser, wie bei Achternbusch üblich, schmerzlich fehlt, vergißt er den Künstler gelegentlich und zeigt sein Herz endlich wieder als die vertraute Mördergrube*. Die gut 400 augenpulvrigen Seiten sind aus einem unendlichen Wirtshausstrom abgeschnitten, frisch weg vom Zapfhahn, Tagebuch und Baustelle in einem, vor allem aber ein verzweifelter Liebes- und Scheidebrief. Den letzten Schliff aus dem Titel verpassen ihm diesmal nicht die unverständigen Kritiker, es ist auch nicht die böse CSU, sondern, ganz klassisch, eine Frau.

»Nur eine Frau, die einen unglücklich macht, existiert wirklich«, verspricht er und stürzt sich in die Liebesgeschichte mit einer Schönen namens Langboh. Der mittlerweile 58jährige Dichter Herbert, soviel Peinlichkeit glitzert aus dem Wortgeröll heraus, ist auf seine reiferen Tage offenbar an ein Groupie und mit ihrer Hilfe an ein Kind geraten. Und offenbar hat ihn die rund 30 Jahre jüngere Dame, wie's älteren Herren zukommt, ordentlich ausgenommen. Natürlich sind wir herzlich eingeladen in dieses Ehe-Jammertal.

»Der Inhalt meiner Kindheit paßt in einen Fingerhut, und doch trinke ich noch immer davon.« So eine Kindheit nährt den ganzen Mann, deshalb hat Achternbusch diese starke Biersuppe seit seinen ersten Büchern immer wieder verlängert und eingedickt, sie in immer neuen Portionen ausgeteilt, oft genug einfach nur ausgespien. Jetzt hatte er das zweifelhafte Glück, an diese Frau und neues Leid zu kommen. Der Lebensroman, den Achternbusch seit nunmehr 28 Jahren anfallsartig niederschreibt, geht erbarmungslos weiter.

Saison für Buchmesse wird die neueste feingesponnene Deutschländer-Prosa bejubelt. Die jeweiligen Stars haben alles gelernt auf der Universität, aber sonst nichts. Wenigstens der studierte Barbar Achternbusch zeigt, daß Literatur auch noch was anderes sein kann als Auslegeware für das Ingeborg-Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt, daß sie anstrengend ist und lustig, verantwortungslos und irgendwie nicht von dieser Welt.

Doch ist selbst der blutigste Märtyrer keiner, wenn er sein Lebensopfer nicht vor Zeugen darbringen kann. Deshalb müssen wir immer und überall dabeisein, bei Filmpreisverleihungen und im Urlaub, beim dritten Weißbier und nachts im Bett. Achternbusch nimmt den Leser wieder einmal in Haft: als wären wir dafür verantwortlich, daß seine Mutter ihn nur unehelich zur Welt brachte und ihm auch noch die Schuld aufdrückte, daß sie, die große Sportlerin, nicht die ersehnte Goldmedaille erschwamm.

Natürlich muß Langboh darunter leiden und wird immer nur an der toten Mutter gemessen. Die Rache war süß und gehört der verhinderten Olympiasiegerin, die sich 1974 erschoß: »Ich höre noch heute meine Mutter zu mir ins Kinderbett flüstern: Herbert, du mußt berühmt werden.«

Seit Thomas Bernhard tot ist, schreibt keiner mehr diese verantwortungslose Selbstmörderprosa. Keiner pflegt den Haß auf sich und die Welt so ungeschlacht und unzensiert, aus keinem redet es so finster heraus, so grauenhaft und so wahr zugleich. »In der Schule war es unerträglich und zu Hause auch. In einem jeden Menschen sah ich eine Begrenzung. Auf drei Seiten vernagelt, sahen sie mit einer offenen Seite auf das hin, womit sie ihr Leben fristeten. Ich konnte nichts, als an den Menschen zu leiden. Am meisten litt ich daran, daß angeblich niemand an dem trostlosen und armseligen Zustand der Leute schuld war.«

Da muß sich einer schon viel Ecstasy reintun, um auf solche Sätze zu kommen. Oder viel Bier trinken. Ungehemmt läuft der Zapfhahn in diesem Text, gestreckt um Reden und Aufsätze, Programmhefttexte und referierte Telefonate und die Briefe an den Anwalt, der ihm beistehen soll in der grausligwüsten Auseinandersetzung mit der Frau. Das Geschreibe höret nimmer auf.

In seinen ersten Büchern träumte sich Achternbusch ins Kino hinein, wollte er Filme machen und die Literatur aufgeben. Im Kino, so glaubte er, könnte er aus dem Leben in den Traum aufwachen. Aber inzwischen hat er da seine sämtlichen Stammtischbrüder und -schwestern vorgestellt, alle Zoten erzählt und genug getrunken. Es wurde höchste Zeit, daß er sich wieder hinsetzt und was Vernünftiges schreibt, von seiner Mutter und der Kindheit im Bayerischen Wald, von seinem Ärger mit Frauen und, wenn's sein muß, sogar der Freude an seiner kleinen Tochter.

»Ich erzog mir die Sprache zum Bösewicht«, hat Achternbusch einmal versprochen. Sie ist ihm noch immer feind, und so schlampt er sich eben durch, ringt noch immer wie frisch hereingeschneit aus dem Bayerischen Wald mit ihr, schreit, stöhnt, blutet mit ihr.

Seine ganzen Kraftsprüche nützen ihm nichts mehr, ganz kläglich wird er, wimmert beim Sozialamt um das Sorgerecht für seine kleine Tochter, während die verhaßte Ehefrau ihn auch noch um ein Zeugnis bittet – sie hätte bei ihm und beim Film doch ein Praktikum gemacht.

Dieses ganze Durcheinander, diese schrecklich alltägliche Finsternis, das bringt so kunstlos und so wahrhaftig doch nur der Herbert Achternbusch zustande.

»Ist jemand da?«, fragt er sich einmal, stürzt schließlich ab aus seinem Größenwahn (»Auch wenn ich noch so angebe, habe ich keine gute Meinung von mir«) und steht zuletzt doch mutterseelenallein auf seiner viel zu großen Bühne.

»Hallo! Hallo! Hallo! Hallo! Ich bin der Herbert«, winselt er geständnissüchtig, als sei er bei den Anonymen Alkoholikern gelandet, aber niemand hört ihn. Zum Entzug findet er sich nicht bereit, deshalb strapaziert er seine Leser mit der Therapie.

Der Süchtige ist nämlich resistent gegen jede Kur. Sollen wir ihm doch helfen, uns alles anhören, was er aus sich herauslallt in seinem Säuferwahn.

Aber es geht nicht anders, es muß sein. Achternbusch gibt es nur so. Und dann, mitten in dieser ausgemergelten Querdenker-Prosa, ein Lichtblick, ein Gedicht, wie es nur Achternbusch kann (und es ist so schön, daß er es bei sich selber, aus dem Prosaband »Der Tag wird kommen«, abgeschrieben hat):

Nichts tun
Nichts sein
Selbst mit dem Gebet
Läuft die Zeit davon

Nur im Herbst
Eine Pflaume essen
Eine gelbe
Oder eine blaue

»Ich suche nicht Mitleid, ich will Bewunderung«, wünscht er sich dann noch.

Bitte, kann er wieder haben.

* Herbert Achternbusch: »Der letzte Schliff«. Hanser Verlag, München; 432 Seiten; 45 Mark.

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