Zum Tod von Hans Neuenfels Der Buhmann der Herzen

Hans Neuenfels wurde als Opern- und Theaterregisseur gefeiert und verteufelt wie kaum ein Kollege. Er war ein vielfach begabter Ausnahmekünstler. Eine Verbeugung.
Regisseur Hans Neuenfels (während der Salzburger Festspiele 2018): »Schicksal lehne ich ab«

Regisseur Hans Neuenfels (während der Salzburger Festspiele 2018): »Schicksal lehne ich ab«

Foto:

MMV / ddp imags

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Er war ein Sex-Maniac, ein Krawallkerl und ein toller Bühnenträumer. Gar nicht so selten zeigten seine Arbeiten auch wunderbaren Witz, wenn er zum Beispiel den griechischen Helden Ikarus im Theater als halbnackten Bruchpiloten in den Trümmern eines Segelflugzeugs platzierte. Hans Neuenfels war unter den Theater- und Opernregisseuren des deutschsprachigen Bühnenbetriebs ein Mann, der nicht nur »umstritten« genannt wurde. Sondern auch einer, der selbst gern stritt und klug und leidenschaftlich argumentierte. Über die Lehren von Sigmund Freud zum Beispiel, über die Bücher von Robert Musil, über die Malerei der Surrealisten.

Im Rückblick auf den schönsten Skandal seines Arbeitslebens, eine Frankfurter »Ai­da«-Inszenierung, in der 1981 die versklavte äthiopische Königstochter als Putzfrau ägyptische Böden schrubbte und die Choristen während des Tri­um­ph­mar­sches mit Brat­hähn­chen war­fen, sagte er in einem Interview mit dem SPIEGEL-Redakteur Joachim Kronsbein : »Als wir an einem Abend eine Bom­ben­dro­hung bekamen, wurde das Thea­ter durch­sucht, die Auf­füh­rung fand unter Po­li­zei­schutz statt. Und hin­ter­her haben wir hit­zig dis­ku­tiert. So muss das sein in einer De­mo­kra­tie.«

Höchstwahrscheinlich gibt es so gut wie keinen Bühnenkünstler, der ähnlich innig und ähnlich oft ausgebuht worden ist wie der Regisseur Neuenfels. Immer wieder fanden Kritikerinnen und Kritiker und einzelne Menschen aus dem Publikum seine Inszenierungen skandalös. Die ihm von vielen Medien angedichtete Berufsbezeichnung »Regie-Provokateur« trug er mit Stolz.

Aus Angst vor islamistischen Anschlägen zeitweise vom Spielplan genommen

Er schaffte es, dass eine Inszenierung von Mozarts »Idomeneo« in der Berliner Deutschen Oper 2006 aus Angst vor islamistischen Anschlägen zeitweise vom Spielplan genommen wurde – weil in einer Szene die Statuen von Po­sei­don, Chris­tus, Bud­dha und Mohammed zu sehen sind, denen die Köpfe abgeschlagen werden. Er wurde als Jungregisseur 1966 von einem Theaterintendanten in Trier entlassen – weil er mit frechen Flugblättern für die eigene Arbeit warb. Auf denen stand unter anderem: »Hel­fen Sie mit, den Trie­rer Dom ab­zu­rei­ßen?« Und er brachte die Wagner-Fans zur Weißglut, als er 1994 in Stuttgart die »Meistersinger von Nürnberg«, ein während der Nazizeit besonders gehätscheltes Werk, als wilden Abgesang auf die deutsche Geschichte inklusive rassistischer Krawalle präsentierte. So grandios, dass der SPIEGEL-Kritiker Klaus Umbach damals lobte: »Erst jetzt, als ma­ka­bre Re­vue, sind die ›Meis­ter­sin­ger‹ end­gül­tig ent­na­zi­fi­ziert.«

Neuenfels, in Krefeld geboren, wuchs als Sohn einer opernbegeisterten Mutter und eines Oberregierungsrats in ziemlich kunstsinnigen Verhältnissen auf und begeisterte sich für Literatur, Malerei, Film und Musik. Er begann als hochbegabter, schon früh unbändig expressiver Gedichteschreiber und veröffentlichte als 18-Jähriger einen Ly­rik­band mit dem Titel »O­var und Opi­um«. In Paris diente er dem Maler Max Ernst eine Weile als Sekretär. An der Folk­wang­schule in Essen und am Max Rein­hardt Se­mi­nar in Wien studierte er Schauspiel und Regie. In den Theatern in Krefeld und Heidelberg gelangen ihm mit Edward Bonds Sechzigerjahre-Skandalstück »Ge­ret­tet« und mit dem Revolutionsdrama »Ma­rat/Sa­de« von Peter Weiss die ersten spektakulären Erfolge.

Dem Regieberuf sei er als Jugendlicher ausgerechnet bei der Beobachtung zweier onanierender Soldaten in einer Waschküche verfallen, hat Hans Neuenfels in seinem 2011 erschienenen, »Bastardbuch« genannten Erinnerungsband behauptet. Damals habe er zum ersten Mal die Grundsätze des Voyeurismus und die Lust der Be­trach­ter­po­si­tion begriffen, »was aber auch einen Reiz, einen Kit­zel bei mir aus­lös­te. Ein Zu­stand, der mein Beruf wer­den soll­te. Re­gis­seur! Eine höchst zwei­fel­hafte Be­ru­fung, aber un­ent­rinn­bar, zwang­haft.«

In seinem Erinnerungsbuch pries Neuenfels auch die Liebes- und Arbeitsbeziehung, die ihn viele Jahrzehnte lang mit der Schau­spie­le­rin Eli­sa­beth Tris­sen­aar  verband – als eigentlich unmögliches Glück, das ihn verlegen mache.

Sinnliches, verwegen assoziatives, hochgebildetes Theaterverständnis

Unter den bedeutenden Frauen und Männern des deutschen Regietheaters blieb Neuenfels neben Ruth Berghaus und Andrea Breth, Peter Zadek und Peter Palitzsch, Frank Castorf und Claus Peymann ein Einzelgänger. Er begründete keine Schule und fand für sein sinnliches, verwegen assoziatives, hochgebildetes Theaterverständnis auch eher keine Nachahmer. Aber er war ein Pionier, der die Räume weit machte für eine Art von individueller Glücksucherei im Regieberuf, die heute manchen Menschen verdächtig ist, weil sie darin die Selbstverklärung eines – männlichen – Künstlers sehen, der sich für ein Genie hält. Im Fall von Neuenfels darf man sagen: Nicht er selbst gebärdete sich genialisch, es waren seine Bewunderinnen und Bewunderer, die nicht selten eine überirdische Inspiration in seinen Arbeiten zu erkennen glaubten.

So laut und zornig der Protest gegen seine Inszenierungen oft war, so heißt es nun in einer Würdigung der Deutschen Oper in Berlin, Neuenfels »blieb stets der souveräne Grandseigneur«. Er habe sich dem Publikum ohne jede Spur von Trotz oder Beleidigtsein präsentiert. »Ein wenig mochte seine Gelassenheit in diesen Momenten auch in der Gewissheit liegen, dass das Publikum sein Urteil früher oder später schon ändern würde.«

Über sein Wirken als Schriftsteller, Regisseur, Musikverrückter hat Neuenfels, der nun im Alter von 80 Jahren in Berlin gestorben ist, im Jahr 2003 in einem Interview, das er mit dem KulturSPIEGEL führte, gesagt: »Wenn man et­was ­ge­fun­den hat, muss man da auch dran­blei­ben. Mein Traum ist, durch die Kunst etwas über mich zu er­fah­ren. Die­ser Traum hört nicht auf, selbst wenn ich kei­nen Er­folg mehr haben sollte.« Das Interview trug den – natürlich von Neuenfels selbst formulierten – Titel: »Schicksal lehne ich ab.«

Mehr lesen über

Verwandte Artikel

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren