Intendanten Heile, heile, Sägen
Man stelle sich vor: eine deutsche Schauspielbühne, die seit Ende des letzten Krieges traditionsfest ihren Kurs hält, als wüßte man in der Theaterwelt nichts von Turbulenzen. In der Freien und Hansestadt Hamburg gibt es eine solche krisenresistente Bühne, ihre bescheidenste, das Harburger und Altonaer Theater. Dort waltet Hans Fitze, 88, als Intendant, auch als Regisseur und Schauspieler, seit nunmehr 45 Jahren.
Hamburgs berühmtere Bühne, das Deutsche Schauspielhaus, hat in diesem Zeitraum 11 Intendanten verschlissen: Kaum einer wurde glücklich auf seiner Kommandobrücke, und etliche gingen vorzeitig von Bord. Eine hamburgische Spezialität, so scheint es, ist das Intendanten-Absägen - kaum je ging es dabei um Kunst, immer um Geld - , und so ist das angebliche Flaggschiff in den Ruf geraten, in Wahrheit ein Seelenverkäufer zu sein: Auch der amtierende 12. Intendant Michael Bogdanov, 52, will überstürzt zum Jahresende abmustern.
Der stämmige Pragmatiker, der im Sommer 1989 die Nachfolge des Luxus-Chaoten Peter Zadek antrat, sollte als Sparkommissar mit scharf heruntergestutztem Etat wieder Fleiß und Disziplin _(* Im Mai 1990 anläßlich eines Festes ) _(zugunsten des FC Basel. ) in den Laden bringen. Und obwohl ihm die Stadt als Aufpasser einen kaufmännischen Geschäftsführer beigesellt hatte, der sich vor allem als Bremser hervortat, ackerte er sehr wacker.
Doch da Politiker stets den nächsten Wahltermin im Blick haben, neigen sie zu habitueller Ungeduld: Der Sanierer soll rasch Wunder vollbringen, die dem Prestige der Stadt und ihres Kultur-Häuptlings zugute kommen. Das konnte Bogdanov nicht, so begann schon nach anderthalb Jahren seine Demontage, und dabei agierte der Kultursenator Ingo von Münch (FDP) so elefantenmäßig, daß der Intendant den Bettel am liebsten gleich hingeschmissen hätte.
Die Krise war wieder mal da, aus heiterem Himmel herbeigeredet, eilig wurde Bogdanov mit dem Lob besänftigt, sein Theater sei »erfolgreich« und »außerordentlich attraktiv« (von Münch), eilig wurden eine Struktur- sowie eine Findungskommission ins Leben gerufen, und eilig wurden Gespräche mit dem Wunder-Macher angebahnt, der als »Wunschkandidat« gilt, wo immer eine Staatstheater-Intendanz zu vergeben ist, dem Wiener Burgtheaterchef Claus Peymann.
Der Norddeutsche Peymann, 53, dem einstigen Gründgens-Tempel durch Jugenderinnerungen verbunden, ließ die Hamburger wissen, mit welchem Aufwand sie ihn locken könnten, und eilfertig - ein Vertrag mit ihm noch vor den Bürgerschaftswahlen im Juni wäre ein Triumph gewesen - versprach man alles, was er sich wünschte. Daß Peymann dann absagte (weil ihm auch die Wiener seine dortigen Wünsche erfüllten, um ihn zu halten), war kaum überraschend und doch für das Hamburger Schauspielhaus segensreich: Die Stadt hat ihre Kulturspar-Vorsätze flink über den Haufen geworfen, technische Aufrüstung der Bühne und eine satte Subventionserhöhung beschlossen - das kommt dem nächsten Chef zugute, wie immer er heißen mag.
Der neue »Wunschkandidat« des Kultursenators, da denn Gefahr im Verzug liegt, heißt Frank Baumbauer, 45, hat sich als kunstsinniger Betriebsprofi in München, in Stuttgart und seit 1988 in Basel als Intendant ohne Regie-Ambitionen bewährt. Das eine Problem: Baumbauer ist noch bis Sommer 1993 in Basel gebunden. Und das zweite Problem: Die Intendanten-Krise ist kein spezifisches Waterkant-Phänomen, auch anderswo werden neue Theaterchefs gesucht, etwa am Bayerischen Staatsschauspiel in München, am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, am Schauspielhaus Zürich oder in Bremen; allerorten wird auch Baumbauer als »Wunschkandidat« gehandelt.
Am Ende wird er die Wahl haben. Da er in München verwurzelt ist und da er nach seinem Frühstart als Chef des Bayerischen Staatsschauspiels 1986 abgesägt worden war (er hatte notorischen CSU-Feinden wie Achternbusch, Schroeter oder Polt seine Bühne geöffnet), könnte ihn die Rückkehr an die Spitze dieses Hauses als besondere Satisfaktion locken.
Offenbar sind gute Intendanten so schwer zu finden wie gute Bundesliga-Trainer; das Anforderungsprofil ist bizarr, die Erwartung diffus, aber gewaltig, und weil eine reibungslose Wachablösung nur noch selten gelingt, hat sich ein Metier der Überbrücker und Interimsherrscher entwickelt. Als solche obenauf sind anderswo abgesägte Veteranen wie der frühere Stuttgarter Generalintendant Hans Peter Doll, 66: Er hat sich vor einem Jahr des siechen Frankfurter Schauspiels erbarmt, dann dazu noch die Frankfurter Oper unter seine Fittiche genommen.
Einen Waisenhaus-Vater dieses Schlags wird auch Hamburg wieder mal brauchen, bis Baumbauer oder ein anderer Wunschkandidat antrittsbereit ist - es sei denn, Bogdanov läßt sich bewegen, dem Haus aus der Patsche zu helfen, in die nicht er es gebracht hat.
Man stelle sich vor: Eine Intendanz ist zu vergeben, und niemand meldet sich. Aber nein, selbst in der Provinz gehen leicht 50 Bewerbungen ein, wenn ein Chef-Schleudersitz frei wird. o
* Im Mai 1990 anläßlich eines Festes zugunsten des FC Basel.