Forschung Heiße Flamme
Am Abend des 6. Mai 1937 erreichte das deutsche Luftschiff »Hindenburg« nach einem Transatlantikflug den Landeplatz Lakehurst bei New York. Da, unmittelbar vor der Landung, schoß eine Stichflamme aus dem Heck des Zeppelins. Mehr als 1000 Zuschauer sahen mit an, wie das gasgefüllte Riesenluftschiff innerhalb weniger Minuten bis auf das Skelett verglühte.
Es war das Finale der Zeppelin-Ära. Ausströmendes Wasserstoff-Gas, so urteilten später die Experten, habe die Explosion verursacht. Die Techniker, durch die Katastrophe verunsichert, scheuten sich fortan jahrzehntelang, das Unglücks-Gas zu Nutzzwecken zu verwenden.
Erst neuerdings haben sie begonnen, sich von dem »Hindenburg-Syndrom« (so ein US-Wissenschaftler) zu befreien: Seit Nasa-Techniker Wasserstoff erfolgreich als Treibstoff etwa für die Mondrakete »Saturn V« benutzen. gilt die einst gefürchtete Substanz vielen Wissenschaftlern als verheißungsvolle Energiequelle -- Wasserstoff, so schrieb jüngst die US-Zeitschrift »New Scientist«, werde womöglich als »idealer Brennstoff« dereinst Kohle, öl und Erdgas ersetzen.
Mit Wasserstoff, dem im ganzen Universum am häufigsten vorkommenden Element, könnten schon in naher Zukunft nicht nur Raketen, sondern auch Autos und Flugzeuge, Schiffe und Schienenfahrzeuge angetrieben, Wohnblocks oder Warenhäuser geheizt werden -- so jedenfalls meinen Energie-Fachleute, die seit kurzem immer intensiver nach neuen Kraftstoffquellen suchen.
Spätestens um die Mitte des nächsten Jahrhunderts dürften die bislang bekannten Vorräte an fossilen Brennstoffen zur Neige gehen; bis dahin, so sorgen sich die Experten, müsse sich die Menschheit andere Energieträger erschlossen haben.
Bei der Suche nach einem Ausweg aus der drohenden Energie-Krise entdeckten die Wissenschaftler entscheidende Vorteile, die ein künftiges »Wasserstoff-Zeitalter« (so das US-Fachblatt »Chemical & Engineering News") zu bieten hätte:
Schier unerschöpfliche Wasserstoff-Reservoirs stehen auf der Erde zur Verfügung -- Flüsse. Seen und Ozeane.
Wasserstoff läßt sich problemlos herstellen -- teils in bereits vorhandenen Produktionsstätten, demnächst aber auch in Atomkraftwerken.
Die Verteilung des neuen Energieträgers würde keine Schwierigkeiten bereiten -- Wasserstoff kann sowohl in Pipelines wie in Tankwagen oder Gasflaschen transportiert werden.
Bei der Verbrennung von Wasserstoff entstehen kaum nennenswerte Rückstände -- die Umweltverschmutzung könnte somit erheblich reduziert werden.
Die Verwendung von Wasserstoff anstelle von Kohle oder Erdöl würde keine wesentliche Umstellung der gegenwärtigen Technologie erfordern -- Wasserstoff-Gas kann. beispielsweise, gängigen Gasöfen wie Automotoren als Brennstoff dienen.
So haben etwa Techniker an der Universität von Miami bereits serienmäßige Personenwagen, aber auch einen 30 Jahre alten Ford »Model A«, versuchsweise für den Wasserstoff-Betrieb umgerüstet.
Nur ein paar Eingriffe am Motor. spezielle Korrekturen am Vergaser waren für die Umstellung erforderlich.
Das Resultat: ein PS-Zuwachs von vier Prozent und, nebenbei, entgiftete Abgase. Lediglich etwas Stickstoffoxid und ein bißchen Wasserdampf kommen aus dem Auspuff der Wasserstoff-Fahrzeuge. Dabei kostete der Umbau der Autos weit weniger als die Entgiftungsvorrichtung für ein normales Benzin-Gefährt.
Allerdings, noch kämpfen die Wissenschaftler mit einer Reihe von Hindernissen, die dem Anbruch einer Wasserstoff-Ära vorläufig im Wege stehen. Einerseits experimentieren die Techniker erst mit geeigneten Verfahren, Wasserstoff in großen Mengen zu möglichst niedrigen Kosten herzustellen; zudem ist auch das Problem, den flüchtigen Brennstoff gefahrlos zu speichern, noch nicht befriedigend gelöst.
So gibt es beispielsweise noch keine dafür geeigneten Automobiltanks: Ein druckfester Wasserstoffbehälter, dessen Inhalt für rund 900 Fahrkilometer ausreichen sollte, würde fast ebensoviel wiegen wie ein Mittelklassewagen -- etwa eine Tonne.
US-Techniker konstruierten deshalb leichtere Spezialtanks, in denen tiefgekühlter, flüssiger Wasserstoff transportiert werden kann; doch auch diese Behältnisse sind noch viermal so groß wie gebräuchliche Benzintanks. Chemiker wiederum entwickelten ein Verfahren. bei dem Wasserstoff in einer Metailverbindung, etwa als Magnesiumhydrid, gespeichert und durch wohldosierte Erwärmung freigesetzt wird -- eine zwar kostspieligere, doch nach Ansicht der Fachleute am ehesten praktikable Methode.
Als vergleichsweise teuer und technisch aufwendig erscheint bisher auch die Gewinnung von Wasserstoff. Von den verschiedenen gängigen Herstellungsweisen ist nach Ansicht der Experten vor allem eine für die Großproduktion geeignet die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse. Dabei wird Wasser durch Elektrizität in seine atomaren Bausteine, Wasserstoff und Sauerstoff, aufgespalten.
In Zukunft, so hoffen die Techniker. könnten Atomkraftwerke den elektrischen Strom dafür liefern -- gleichsam nebenbei. Damit würde der Nutzwert der Atommeiler erheblich steigen; denn neben der Stromlieferung für Haushalt und Industrie könnten sie dann bei der Ablösung von Kohle, Erdgas und -öl mitwirken, die gegenwärtig noch 80 Prozent des gesamten Energiebedarfs zu decken haben.
Auf absehbare Zeit wird der elektrolytisch hergestellte Kraftstoff die konventionellen Brennstoffe noch nicht verdrängen können. Erst in zwei oder drei Jahrzehnten, wenn Kohle und Erdöl immer knapper und damit teurer werden, dürfte nach Berechnungen der Fachleute Wasserstoff konkurrenzfähig sein.
Vielleicht aber, so spekulieren die Experten, werde sich der umweltfreundliche Energieträger doch schon früher durchsetzen -- aufgrund seiner unbestreitbaren Vorzüge: Wasserstoff-Gas ist ungiftig, es erzeugt bei der Verbrennung eine heißere Flamme als fossiler Brennstoff, und es fließt schneller als öl oder Erdgas durch ein Netz von Rohrleitungen. Außerdem fallen bei der Wasserstoff-Herstellung große Mengen Sauerstoff an, die (etwa bei der Stahlproduktion) industriell genutzt werden könnten.
Schließlich arbeiten Forscher in Europa und den USA derzeit an neuen. billigeren Verfahren zur Erzeugung von Wasserstoff. Techniker etwa am Euratom-Forschungszentrum im norditalienischen Ispra produzieren Wasserstoff durch Überhitzung von Wasserdampf in einem Kernreaktor; bei dem Verfahren ist die Wasserstoff-Ausbeute doppelt so groß, doch nur halb so teuer wie bei der Elektrolyse.
Ein US-Forscher dagegen entwarf den Plan zu einer Wasserstoff-Fabrik auf hoher See, die mit Sonnenenergie betrieben werden soll. Und etliche Techniker in Amerika spielen gar mit dem Gedanken, an Küsten und Seeufern eher altertümliche, aber idyllische Kraftwerke für die Wasserstoff-Gewinnung zu errichten -- Windmühlen.