FILM Heiße Sohlen
Außerhalb der Sportstadien und der Städtemarathons gilt der Turnschuh gerne als Erkennungsrequisit für Triebtäter. Folgerichtig stellt uns dieser Film den perversen Sexkiller zunächst durch die Charakterisierung seines Schuhwerks vor. Soweit so üblich.
Dann aber schneidet Regisseur Richard Tuggle auf ähnliche Sneakers, und in denen steckt der Polizist Wes Block (Clint Eastwood), der gerade mit seinen beiden Töchtern - Mama hat sich mit einem reichen Pinkel davongemacht - auf der Straße tollt. Wem es bei dieser Adidas-Psychologie noch nicht gekommen ist, dem wird später durch Traumsequenzen auf die Erkenntnis-Sprünge geholfen: Jäger und Gejagter neigen gleichermaßen zum Sex der strengen Form. Dazu bietet das rotschimmernde »French Quarter« von New Orleans reichlich Gelegenheit. Die Story des Krimis, die sich in diesem peitschenschwingenden Sado-Maso-Milieu abspielt, ist allerdings von der eher konventionellen Art.
Es geht um eine eigentlich nur im Dekor neue Variante vom Dirnenmörder, der, von Bluttat zu Bluttat immer dreister auftretend, fast schon sein eigenes Ende inszeniert, während der ihn verfolgende Polizist durch den lockenden Kontakt mit dem Milieu auch noch gegen seine eigene dunkle Seite zu kämpfen hat. Ohne die Erfordernisse des Genres zu vernachlässigen, taucht dieser Film allerdings in eine psychologisch tiefere Dimension, indem er immer wieder die Einsicht suggeriert, es handle sich beim Täter und dessen Verfolger um zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Denn in dem Katz-und-Maus-Spiel eröffnet der Killer plötzlich eine besonders perfide Variante, indem er jene Prostituierten tötet, mit denen Block zuvor intimen Kontakt hatte. So zieht der Täter seine Fährtenschlinge um Block immer dichter, bis er sich auch der Kinder des Polizisten bemächtigt. Doch damit - so will es das dramaturgische Gesetz - hat er sein Urteil gesprochen, der Rest ist Formsache, die man Showdown nennt.
Eastwood, auch Produzent des Films, läßt hier am Ende New Orleans zu seinem touristischen Recht kommen: Die Jagd geht durch Bourbon- und Canal-Street, wo aus jeder Kneipentür der Dixie trällert, dann durch einen Lagerschuppen, wo die überdimensionalen Pappfiguren des Mardi-Gras-Umzuges gestapelt sind, um schließlich, wenig einfallsreich, auf Güterwaggons und Eisenbahnschienen zu enden.
Verglichen mit dem Macho-Bullen aus der Dirty-Harry-Serie, mutet Eastwood seinen Fans dennoch Ungewöhnliches zu. Zwar wird dem Psycho-Killer auch hier nicht der Hauch eines Verständnisses gegönnt - man sieht ihn bis zum Ende, wenn überhaupt, nur in Maske -, doch das altbekannte Bild des selbstherrlichen Gesetzeshüters trägt hier sozusagen menschliche Risse.
Ausgerechnet zur Leiterin einer Selbsthilfegruppe für vergewaltigte Frauen (Genevieve Bujold) knüpft der einstige Draufgänger eine intensivere Beziehung - der Teufel duscht mit Weihwasser, und der dreckige Harry mausert sich zum weichen Wes.
Eastwoods lakonische Spielweise kommt dieser Absicht entgegen, gerade weil sie Einblicke in tiefere Seelenschichten nicht zu bieten scheint. Das Macho-Image bröckelt so aus dem Unsichtbaren heraus. Die Verkniffenheit dieses durchtrainierten Gesichts droht nicht mehr allein als Härtesignal, sie demonstriert auch die Anstrengung, Selbstzweifel niederzuhalten.
Das mag sicher nicht vornehmlich mit einem größeren Drang zu Aufrichtigkeit zu tun haben, eher schon mit dem Zwang, einem von Krimis auf der Mattscheibe überfluteten Publikum im Kino Außergewöhnliches zu bieten, ohne jedoch die Nahtstelle von Recht und Verbrechen zu zerreißen.
So gesehen ist Eastwoods Drahtseilakt - »Tightrope« heißt der Film auch im Original - perfekt und spannend gelungen. Schimanski, geh doch mal ins Kino und nimm Deine traurigen Autoren mit!
Wolfgang Limmer