Zur Ausgabe
Artikel 42 / 69

Heißes Kabel

aus DER SPIEGEL 27/1966

Das weiße Telephon stand auf der Tribüne im Kongreßsaal zu Philadelphia - derselben Stadt, in der vor neunzig Jahren der Taubstummenlehrer Alexander Graham Bell seinen krächzenden Sprechapparat zum erstenmal vorgeführt hatte. Zehnmal drückte Lowell Wingert, Vizepräsident des amerikanischen Fernmeldekonzerns A.T. & T. (American Telephone and Telegraph Company) die kleiner weißen Ziffernknöpfchen. Dann klingelte es in Genf. Dort meldete sich der UN-Beamte Jean Rouviere, Chef des Beratungskomitees in der Internationalen Fernmelde-Union.

»Dieses Gespräch«. sprach Wingert in die Muschel, »ist das erst in der Geschichte der Nachrichtentechnik, bei dem ein europäischer Partner direkt von einem Teilnehmer in den Vereinigten Staaten angewählt wurde.« Das transatlantische Zwiegespräch am Mittwoch vorletzter Woche markierte den Beginn - einer neuen Fernsprech-Epoche: Anfang der siebziger Jahre soll der Selbstwähl-Ferndienst weltumspannend Togo mit Tahiti ebenso wie Moskau mit Miami verbinden.

Jeder der gegenwärtig 200 Millionen Fernsprechteilnehmer in der Welt wird dann jeden anderen - ohne die Hilfe des Amtsfräuleins - anwählen können.

Bisher waren für jedes Gespräch zwischen Europa und den Vereinigten Staaten mindestens zwei Vermittler nötig, die in den Fern- und Überseeämtern die Verbindung herstellten. Viele interkontinentale Ferngespräche laufen derzeit noch über die relativ störanfälligen Kurzwellen-Funkbrücken. Erst durch den Einsatz moderner Nachrichten-Satelliten und die Erweiterung des unterseeischen Kabelnetzes wird der weltweite Selbstwählverkehr möglich.

Schon Ende 1963 haben Telephontechniker auf einem Kongreß in Rom die technischen Modalitäten für das Welt -Wählnetz festgelegt. Danach sollen am Ende mit jeweils höchstens zwölf Wählziffern fast alle Anschlüsse auf der Welt erreichbar sein.

Mit der ersten Wählziffer - sie entspricht der Null im innerdeutschen Selbstwähldienst - wird sich der Teilnehmer in die automatische Auslandsvermittlung einschalten, Dann wählt er eine ein- bis dreistellige Zifferngruppe, zum Beispiel eine Eins für die Verbindung nach Amerika, eine Sieben für die. Sowjet-Union, 49 für Deutschland und 951 für Äthiopien. Selbst die Pazifik -Insel Niue mit 102 Fernsprechteilnehmern erhielt eine eigene Anschlußzahl.

Technische Kunstkniffe sind nötig, um den weltweiten Wähldienst zu realisieren.

So löst zum Beispiel bei deutschen und amerikanischen Telephonen das Wählen der Null zehn Stromimpulse aus; bei schwedischen Apparaten dagegen steht die Null am Anfang der Wählscheibe, sie entspricht nur einem elektrischen Impuls. Noch ungewöhnlicher ist die neuseeländische Nummernscheibe: Sie beginnt mit der Neun und zählt dann abwärts bis zur Null. Solche Unstimmigkeiten lassen sich durch automatische Korrekturgeräte bereinigen. Ein elektronisches Kleinhirn wird dafür sorgen, daß beispielsweise eine schwedische Null im Verkehr mit Amerika oder Deutschland in der Leitung zehn Impulse auslöst.

Als problematischer erwies sich jedoch der Brauch mancher Telephon-Länder, den ersten Teil der Rufnummern durch Buchstabenkombinationen zu ersetzen. Die Dänen etwa, die kein »W« auf ihrer Wählscheibe haben, wüßten nicht, wie sie einen US-Partner erreichen konnten, der zum New Yorker Wählbezirk »WAlkr« gehört. Die Amerikaner andererseits haben kein »Q«, um die Pariser »ROQuette«-Teilnehmer anzuwählen. Zudem sind in Ländern wie Japan, Rußland und Persien die Buchstabengruppen aus kyrillischen oder asiatischen Schriftzeichen zusammengesetzt. Einziger Ausweg aus diesem Dilemma: Für den Welt- Wählverkehr müssen alle Buchstabensymbole durch die entsprechenden Ziffern ersetzt werden.

Schon 1968 sollen einzelne Teile des europäischen Fernsprechnetzes mit dem amerikanischen zusammengeschaltet werden. Dann wird jeder Amerikaner, wie derzeit nur sein Präsident, ein »heißes Kabel« zu den Gewaltigen des roten Reiches haben. Direkt-Nummer zum Kreml: 7-24 05 55.

Zur Ausgabe
Artikel 42 / 69
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren