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LITERATUR Heldenleben eines Hundes

In deutschen Kinos ist gerade der Film »Royal Flash« angelaufen. Doch er zeigt nur einen faden Abglanz des wahren Flashman, dem berühmten Antihelden des schottischen Autors Fraser.
aus DER SPIEGEL 45/1975

Good old Flashy! Feige und voll fröhlichem Zynismus, ein Hurenbock und Lump mit Witz, so schlawinert er sich zum Entzücken englischamerikanischer Leser-Millionen nun schon in fünf Bänden seiner angeblichen Memoiren durch die Schlachten, Schlafzimmer und schmutzigen Intrigen des Viktorianischen Zeitalters.

Als komischer Held und eher trauriger Fall kommt er, in Richard Lesters »Royal Flash«, jetzt auch in die deutschen Kinos: Von Wagner-Musiken umtost, hechelt er durch altdeutsche Flecken, durch Schlösser und Burgen, Küchen und Keller, über den Abgrund der tiefen Wotansschlucht.

Denn Harry Flashman, Esq., sitzt stets in der Tinte, ist immer auf der Flucht -- vor den Londoner Konstablern oder der unersättlichen Lola Montez, die ihn im Bett malträtiert, besonders aber vor seinem Kidnapper Otto von Bismarck, dem er in teuflischem Komplott zu Willen sein muß: Als Doppelgänger eines in Ketten schmachtenden Prinzen hat Flashy -- es geht um die Einigung der deutschen Kleinstaaten -- die junge Herrin des Herzogtums Strackenz zu heiraten, anschließend soll er dann aus dem Weg geräumt werden.

So etwas verlangt natürlich nach manch Lester-hafter Parodie, etwa auf den guten, alten Degen-und-Mantel-Kintopp, in dem einst richtige Draufgänger wie Douglas Fairbanks, Ronald Colman oder Errol Flynn in kilometerlangen Zelluloid-Duellen gegen die Finsterlinge dieser Welt anfochten.

Der Pechvogel Flashman, großmäulig und arrogant nur in sicherer Distanz, schlägt sich da weit weniger bravourös. Er handhabt sein Florett, wenn's denn unbedingt sein muß, wie einen Slapstick, am liebsten rennt er einfach davon und dabei unweigerlich in neues Mißgeschick hinein, in immer neue Turbulenzen und Gag-Fallen nach altbewährter Lester-Manier.

Und das kann streckenweise ganz ulkig sein. Nur vom wahren, vom literarischen Flashman des schottischen Autors George Mac Donald Fraser, 50, offenbart er kaum mehr als einen schäbigen Abglanz; der nämlich ist, wie seine fiktiv-autobiographischen Schriften demonstrieren, von ganz anderem Schrot als Lesters jämmerlicher Clown.

In so manchen Krieg und manch anderes Desaster seines Jahrhunderts hat sich dieser Virtuose der Feigheit und Drückebergerei nun schon hinein-, dann allerdings auch mit heiler Haut und oft hochgeehrt wieder herausmanövriert, um heimzukehren zur schönen Ehefrau Elspeth, dem »größten Flittchen, das je eine Matratze abgenutzt hat«. Er ist (nachzulesen im ersten »Flashman« von 1969) schmählich aus den Massakern der Afghanenkriege (1839 bis 1842) getürmt und wurde dennoch von Königin und Volk als »Held von Dschallalabad« gefeiert.

Er hat sich (siehe »Royal Flash«, 1970) mit Bismarck und der wilden Lola in den Haaren gehabt, war ("Flash for Freedom«, 1971) abwechselnd Sklavenschiffer, Sklavenaufseher und (was ihm die Sympathien des jungen Lincoln eintrug) Sklavenbefreier am Mississippi; im Krimkrieg hat er (laut »Flashman at the Charge«, 1973) sogar die Leichte Brigade in die berühmte Attacke von Balaklawa (1854) geführt weil sein Pferd mit ihm durchging.

Und selbstverständlich war er auch beim großen indischen Aufstand (1856 bis 1858) dabei; seine Reminiszenzen an die wüsten Gemetzel von Cawnpore und Lucknow, an Nana Sahib und die scharfe Maharani Lakshmibai sind gerade erst, nach Vorabdruck im »Playboy«, unter dem Titel »Flashman in the Great Game« in London veröffentlicht worden*.

So ruft denn Flashy noch einmal die Erinnerung an jene großen, lang vergangenen Zeiten wach, als Britannien die Wellen beherrschte und hochmoralische Empire-Erbauer zumindest in viktorianischen Abenteuerromanen die Fackel der Erleuchtung in alle Welt trugen -- bloß geht es in seinen Denkwürdigkeiten ganz und gar nicht mehr viktorianisch-sittsam zu.

Er ist, wahrhaftig, ein rüder Bursche, ein Hundesohn und Witwenschänder. Doch er ist auch ein Idol der Nation,

* George MacDonaid Fraser: »Flashman in the Great Garne. Verlag Harne & Jenkins; 336 Seiten; 3,95 Pfund.

und er weiß: »In England kann man nicht gleichzeitig ein Held und ein schlechter Mensch sein. Es ist so gut wie gesetzlich verboten.«

Vor allem aber ist er ein sagenhafter Augenzeuge, ein phantastischer Chronist. Denn mit dem gleichen heiter-zynischen Freimut, mit dem er von seinen eigenen Schändlichkeiten berichtet, zieht er auch er hat sie ja in »50 unrühmlichen Jahren widerwillig erduldeten Soldatentums« zur Genüge studieren dürfen -- über die schmutzige Historie und die großen Akteure seines Jahrhunderts her. Und sein Geschichtsunterricht auf der Hintertreppe wirkt dabei in Fakten-Exaktheit und Zeitkolorit derart authentisch, daß ein amerikanischer Professor den ersten Band der »Flashman Papers« sogleich als den bedeutendsten literarischen Fund seit Entdeckung der Boswell-Tagebücher pries.

Seither hat Flashys Autor George Mac Donald Fraser, der sich als Nachfahr der großen schottischen Garnspinner Walter Scott und Robert Louis Stevenson empfindet und jedenfalls mit Pfiff und geradezu flashmanischer Unverfrorenheit alle nur möglichen Motive, Themen und Spannungselemente der gediegenen alten Abenteuer-Literatur zusammenträgt, noch des öfteren Leserpost bekommen.

Amerikanische Vietnam-Veteranen haben Flashman zu ihrem Vorbild erhoben. Ein Fan aus New Orleans beteuerte, er sei Flashmans illegitimer Urgroßonkel. Ein britischer Armee-Offizier meldete, sein Großvater habe Flashman einst 50 Dollar und ein Pferd geliehen und beides nie zurückbekommen.

Inzwischen sind weit über drei Millionen Flashmans, laut Fraser vor allem »Bestseller für Universitätsleute«, in aller Welt verkauft, nur in Deutschland wollten sie bisher nicht recht ankommen -- die ersten zwei Bände, vor Jahren von Hoffmann und Campe offeriert, wurden nur mäßig beachtet.

Aber mögen die Deutschen nun mitlesen oder nicht -- die Denkwürdigkeiten des hochdekorierten Brigadegenerals Harry Paget Flashman (Viktoria-Kreuz, Bath-Orden, Ritter der Ehrenlegion, US-Ehrenmedaille, San-Serafino-Orden für Reinheit und Wahrheit 4. Klasse) sind noch lange nicht abgeschlossen. Mindestens zehn weitere Bände sollen folgen, einer über Flashys Amouren mit Königin Ranavalona von Madagaskar, ein weiterer über seine fragwürdigen Heldenstücke beim Blutbad am Little Big Horn (1876).

Doch zuerst einmal kommt der amerikanische Bürgerkrieg an die Reihe, in dem Flashman, wie immer gezwungenermaßen, sowohl auf seiten der Unionstruppen wie der Konföderierten kämpfte und schließlich, aus Zufall, für Lincoln die Schlacht von Gettysburg (1863) gewann.

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