Zur Ausgabe
Artikel 64 / 89

Heraus aus der muskulären Insolvenz

Peter Brügge über weibliches Bodybuilding in der Bundesrepublik
aus DER SPIEGEL 6/1981

Zu Vaters Geburtstag und ähnlich hohen Festen zieht die Schülerin Diana Brandt sich aus und präsentiert auf Wunsch der Familie ihre Muskeln. Das ist etwas, das haben die vom Blumenhandel lebenden Brandts anderen Familien in Essen voraus. Dianas Muskeln bringen die Familie Brandt in zunehmend öffentliches Interesse.

Letztes Jahr ist das Kind, neunzehnjährig, »Miß Oberhausen« geworden bei einem Wettbewerb der Internationalen Föderation der Bodybuilder (IFBB), und bald darauf in Herne Dritte bei der Wahl zur »Miß Westfalen«.

Seither sind die Werbephotographen hinter dem straffen Mädchen her. Mit Bildern ihres Körpers wird Werbung für Solarien getrieben und »für so Männersachen«, wie sie's nennt, eine Bohrmaschine etwa oder einen Peilstab. Diana Brandt strebt auf dem zweiten Bildungsweg zum Abitur. Aber nun fühlt sie das eigentliche Medium ihres Fortkommens in ihrer vorzeigbaren Fitness.

Muskeln dienen neuerdings der Frau zur Zierde, und Diana fragt nicht, ob das nun Mode ist, Masche oder eine Art Emanzipation. Es lohnt jedenfalls, dieses sich auf Waden und Armen, Bauch und Schultern abzeichnende Kapital täglich durch mindestens zwei Stunden härtester Leibesübung zu pflegen, gegen die sogar eine deutsche Abendschule wie Erholung wirkt.

Mit 120 Pfund Eisen beladen beugt Diana in einem Fitness-Studio die Knie. Imaginäre Lastwagen lädt sie ab, strampelt lange Strecken am Trockenrad, hängt sich an verchromte Beinpreß- und Bizeps-Maschinen. Sie keucht da nicht als einzige Frau. Sie tut es als Mitglied einer Bewegung.

Vielen der allerorts aufblühenden Fitness-Studios und Kraft-Werkstätten läuft derzeit mehr weibliche als männliche Kundschaft zu. Die will heraus aus der angestammten muskulären Insolvenz, stemmt sich gegen Fettpolster, Orangenhaut, Haltungsschäden und das alte Leitbild der Schwäche. Wie jeder Rollenwechsel spannt das an. Neben der Festigkeit der Muskeln wächst bei auffallend vielen der Verbrauch an Zigaretten.

Es ist eine ansteckende Art Gesundheit, die häufig auch bloß überspringt von einem Eisen stemmenden Liebsten. Diana Brandts beide Schwestern haben gleichfalls bereits die Hanteln ergriffen. Ihnen setzt die Mutter zwar noch nicht all das aufwendige Vitamin, Eiweiß und Protein in den Mahlzeiten vor, sie süßen noch nicht mit Fruchtzucker, sehen aber ein, daß eine erwählte Muskel-Miß das eben braucht.

Denn heuer steigt Diana auf noch höhere Podeste. Ende Januar hat sie der »Verband Deutscher Hantel-Sportler« in der Essener Gruga-Halle vor 3000 im Eisenpumpen sichtlich geübten Johlern erkoren zu seiner »Miß Germany«. Darauf war sie gefaßt. Verfügt sie doch über einen ihrer Meinung nach »totalen Siegeswillen« und die »besttrainierten Beine im ganzen Bundesgebiet«. Notfalls konnte sie damit einer anderen der konkurrierenden Kraftmeiereien e. V. zulaufen.

Vergleichbare Größe hatten die meisten ihrer achtzehn herbeireisenden Konkurrentinnen sich gleichfalls zugemessen. Unter denen befanden sich welche, die auf die Dreißig zugehen. Krankenschwestern, Sekretärinnen, Hausfrauen und eine taubstumme Laborantin ließen ihren kleinen Bizeps und den Latissimus spielen und schaukelten zur Musik von ihrer mitgebrachten Kassette einnehmend mit ihrem abgespeckten Popo. Im Sinne von »Emma« war das wohl nicht.

Einige vergossen Tränen auf ihre Tangas. Eine stampfte enttäuscht mit den Stöckeln auf, ohne deren männerschärfende Unterstützung weibliche Muskeldarstellung nicht auskommt. Höchstens mit dem »Heimvorteil«, rief sie, sei der Triumph so einer kleinen Eingeborenen zu erklären. Dann wandte sie sich noch in der Garderobe dem tröstlich reichhaltigen Terminkalender der heuer bevorstehenden Muskelwettbewerbe zu, bei denen nun jedesmal neben Kraftwerken von Mann auch Frauen vorführen sollen, was an ihnen zu entwickeln ist.

Es herrscht enorme Nachfrage nach femininem Bizeps und Trizeps. Gleichzeitig besteht Unklarheit darüber, wieviel davon die deutsche Frau herausarbeiten und was sie damit auf einer Bühne am besten anfangen soll.

In den Vereinigten Staaten, aus denen die deutsche Muskel-Bildung bisher all ihre Impulse und Leitbilder bezog, wird an weiblichen Bodybuildern S.199 bereits jede erreichbare Faser konsequent aufs Maximum getrimmt.

Muster ist der Mann. Dessen Muskelmasse läßt sich viel schneller und stärker als die der Frauen durch Belastung vermehren. Im Gegensatz zur weiblichen kann sie durch künstliche Reize zu einem naturwidrigen Überangebot bis an die Ohren aufgeschichtet werden.

Um die Grenzen der Weiblichkeit in Richtung Mann zu überschreiten gilt es, den Anwärterinnen unter anderem männliche Hormone ins Kraftfutter zu mischen. Diese Rezeptur wird vorderhand in den 600 deutschen Fitness- und Kraft-Studios verabscheut. Die deutsche Frau soll sich im Rahmen halten.

Auf »allgemein gültige Vorstellungen von Anstand und gutem Geschmack« möge man sich bei der Bewertung weiblicher Muskeln und Posen stützen, verlangt der Pforzheimer Kraftmacher Helmut Wagner, der unter den 250 Abonnenten seines Hinterhof-Studios bereits 100 weibliche in Schweiß treibt. Er pfeift die Signale durch die Zähne und bewegt dazu den Daumen auf und nieder.

Zu einer festlichen Miß- und Muskel-Wahl in Schwetzingen bronzierte er zwei entschlackte Buchhalterinnen und seine Ehefrau, die sich nach dem Frühstück ihre 900 »Sit-ups« abverlangt. Die von ihm entwickelte Pforzheimer Goldschmiedin Jutta Schollenberger vollführte andernorts für die Aktion Sorgenkind 2000 Kniebeugen, das Stück zu einer Mark. Wagner wird das bei Guinness als Rekord einreichen. Er selbst hat sich im Ehrgeiz kürzlich etwas invalide gehoben.

Der von ihm geistig mitbediente »Deutsche Bodybuilding- und Kraftsport-Verband e. V.« brütet jetzt über einem Reglement für den weiblichen Auftritt, wonach »innere Ruhe und Selbstvertrauen« erwünscht sind, nicht aber »Unreinheiten, Risse, Narben, Tätowierungen, trockene Haut« und erst recht nicht eine »Überbetonung einzelner Körperpartien«. Einem »attraktiven Gesicht«, einer »sympathischen Erscheinung« dürfe man Rechnung tragen. Und vor allem: Frauen sollen im Preisgericht die Mehrheit bekommen. Einige Muskel-Werkstätten werden bereits von ihnen geführt.

Etwas anderes als Männermaß werden sie ohnehin nicht anlegen. Denn beim weiblichen Eisenpumpen verflüchtigt sich regelmäßig aller natürlicher Widerwille gegen die Wülstlinge, die ein langes, verbissenes Bodybuilding aus Männern macht. Respektvoll erfassen die Hantelfrauen, die manchmal vom Kietz, aber häufiger aus Kontoren kommen, welch ungeheure Investition an Arbeitszeit, Lebenszeit und Lebensmitteln, kurz, welche Vor-Leistung in einer so pompösen Muskulatur stecken. Dann finden sie, daß ein zweckfreier Überfluß an Muskeln nicht komischer ist als ein Porsche im Stadtverkehr oder die ungenutzte Wattstärke einer häuslichen Stereoanlage.

Beim ersten Blick auf die zuckenden Muskelstränge am Körper posierender Mannsmonster hat der Teenager Diana Brandt ausgerufen: »Mutti, ist das ekelhaft!« Heute empfindet sie Hemmungen bei ihrer eigenen possierlichen Doppelbizeps-Pose, aus Angst, die könne auf Zuschauer wirken, als wolle sie die Männerposen »ins Lächerliche ziehen«. Bullies sind jetzt für sie die Größten, auch wenn manche davon vor lauter Muskeln kaum noch an ihre Schnürsenkel reichen.

Fitness aus dem Studio erspart gestreßten Stadtfrauen den weiten Weg zur Natur. Und, an den doppelt breiten Männern schichtet sich greifbares Beweismaterial dafür, wie Natur sich an Muskelmaschinen überlisten läßt.

Angelika Leopold, 26 Jahre, Bilanzbuchhalterin: »Ich hatte Schwierigkeiten mit einigen Körperpartien, die nicht so zusammenpaßten, wie ich es wollte.« Drum hat sie sich etwas umgebaut und findet, mit keiner Sportart oder Diät wäre Vergleichbares in so knapper Zeit zu erreichen. Gewöhnlich arbeitete sie an sich bloß zwei Feierabende die Woche, eingespannt in Helmut Wagners viele Muskelmaschinen. Damit erreichte sie bei jedem Wetter jede Faser. Es kostete sie im Monat 38 Mark. (Für Zigaretten braucht sie dreimal soviel.)

Nun freilich verfällt sie der Verlockung, an Wochenenden mit dem Ergebnis auf Veranstaltungen der Muskel-Branche zu posieren. Und dazu bedarf es eines täglichen Trainings, das sie »echt grausam« nennt. Die Kolleginnen bei der Firma lachen über sie. Doch die Buchhalterin und Bodybuilderin tut das ab: »Nur Neid.« Davon wird sie nicht berührt. So sicher macht sie das Gefühl von Stärke, das ihr aus den Muskeln in den Kopf steigt.

Peter Brügge
Zur Ausgabe
Artikel 64 / 89
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren